Ist es denn vorstellbar? Haben wir nicht das strahlende, prachtvolle Marmorweiss im Kopf, wenn wir uns zum Beispiel die schönste Frau der Antike – die Venus von Milo im Pariser Louvre – vorstellen? Und auf einmal soll «unsere» Venus einst mit bunter Farbe verunstaltet gewesen sein? Was für ein Frevel, was für eine Zumutung an unsere Vorstellungskraft. Vielleicht lässt sich ja ein Kompromiss aushandeln? Wie wär's damit: Nicht ALLE antiken Skulpturen waren farbig. Und der Marmor unserer Venus immer blütenweiss?
Venus von Milo, 120 v.Chr., Marmor.
Musée du
Louvre Paris.
Die Chance ist allerdings ziemlich hoch, dass ein Umdenken in Richtung Farbe notwendig wird. Davon sind jedenfalls die beiden ArchäologInnen Vinzenz Brinkmann und Ulrike Koch-Brinkmann überzeugt. Seit Jahren gehen sie wissenschaftlich der Frage nach, ob und wie die antiken Skulpturen im Original bemalt waren.
Im Skulpturenmuseum Liebighaus in Frankfurt
zeigen die beiden in einer spektakulären Ausstellung (Januar 2020 bis September 2021), was sie bisher alles entdeckten. Ähnliche Ausstellungen haben sie schon seit 2003 u.a. in München, Rom, Athen, San Francisco, Mexico-City und in den Universitätsmuseen von Harvard und Oxford durchgeführt. Und damit das Publikum geschockt, das bis heute nicht so recht glauben mag, dass die prächtigen, blütenweissen Marmorkunstwerke nicht dem Originalzustand entsprechen.
Wieso sind die Forscher so überzeugt davon, dass da Farbe im Spiel war? Ganz einfach, weil man immer mehr Skulpturen entdeckt hat, die deutliche Farbspuren aufweisen. Einer der wichtigsten Funde wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf der Akropolis in Athen gemacht: Es ist ein Fragment eines Reiterstandbildes, auf dem Farben und Muster heute noch klar erkennbar sind. Zwar verblasst, aber noch so gut «lesbar», dass man die einzelnen Farben und Muster relativ einfach rekonstruieren konnte.
Mit der Zeit sind immer mehr solche Werke mit Farbresten gefunden worden, die nun die These der Brinkmanns erhärten, die da lautet:
Liebighaus Frankfurt
Prof. Dr. Vinzenz Brinkmann (Göttingen, 1958)
ist ein klassischer Archäologe. Er leitet seit 2007 die Antikensammlung des Liebighauses Frankfurt und lehrt als Professor am Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bochum.
>Mehr über das Liebighaus Frankfurt
>Film über die Ausstellung Bunte Götter
>Führung mit Kurator Vinzenz Brinkmann
Titelbild (Ausschnitt)
Experimentelle Farbrekonstruktion des
so genannten «Treu-Kopfes».
Liebighaus Frankfurt.