Wie in aller Welt kommt jemand auf die Idee, in einem kleinen Walliser Bergdorf auf 1140 m.ü.M. ein Museum für Kunst von australischen Ureinwohnern, den Aborigines, zu betreiben?
Fondation Opale, Lens VS
Es ist das einzige Kulturzentrum in Europa, das sich der
zeitgenössischen Kunst der australischen Aborigines widmet. Die Stiftung Opale gibt es seit 2018. Sie sieht in der Kunst der australischen Aborigines die «älteste zusammenhängende Kultur der Welt, die sich über
40'000 Jahre erstreckt».
Aborigines-Kunstwerke sind visuelle Darstellungen von Gedichten, die von Generation zu Generation gesungen werden. Die Stiftung erforscht nun diese Kunst anhand von zeitgenössischen Werken, versehen mit Botschaften von Aborigine-Künstler:innen.
Blick auf die Terrasse der Fondation Opale
Und wie kommt dieses Museum in ein kleines Bergdorf im Wallis? Antworten gibt ein Interview, das die Journalistin und Kunstexpertin Ewa Hess für die «Sonntags-Zeitung» 2020 mit der Gründerin der Fondation Opale führte, mit Bérengère Primat.
Die Kunstsammlerin besitzt über 1000 Werke aus dem Kulturkreis der Aborigines. Als sie sich überlegte, ein Zentrum für diese Kunst ausserhalb Australiens zu eröffnen, sprach sie mit australischen Vertretern der dortigen Kunstbewegung – und stellte fest, dass diese von einem Museum in den Walliser Bergen begeistert wären.
«Es gefiel ihnen, einen Ort in Europa zu haben, in dem ihre Kunst gesehen und verstanden werden kann», sagt sie. «Es war für sie undenkbar, einen solchen Ort etwa in London zu etablieren, bei den ehemaligen Kolonialherren, die ihr Land annektierten und ihre Lebensräume vernichteten. Inmitten der Natur, in den Schweizer Bergen, schien es aber genau richtig zu sein.»
«Natürlich sehe ich mich nicht als Sprecherin der Tradition, das wäre ganz falsch», sagt Bérengère Primat. Sie wolle vielmehr Ermöglicherin und Bewunderin dieser Kunst sein. Und findet, unsere Kunst könnte von jener der Aborigines sogar noch einiges lernen.
«Die Spiritualität stammt aus der gleichen Quelle», sagt die Museumsgründerin, «die Achtsamkeit der Natur, der Erde, den inneren Vorgängen gegenüber ist wichtig.»
***
Die Fondation Opale organisiert mehrmals jährlich Sonderausstellungen zum Thema Australien und deren Ureinwohner. Eingeladen sind Aborigines- und internationale Künstler.
Bérengère Primat, Kunstsammlerin und Gründerin der Fondation Opale. ©SonntagsZeitung, Pedro Rodrigues.
Zerbrochene Träume: Michael Cook, Aborigines-Maler aus Brisbane, prangert die Tragödie des
|
Bérengère Primat, Kunstsammlerin
Wer ist Bérengère Primat? Sie ist die Erbin des französischen Erdölmagnats Schlumberger. Seit ihrer Kindheit wohnt die älteste Tochter des in die Schweiz übersiedelten Schlumberger-Enkels Didier Primat in Genf und im Wallis.
Der Aborigines-Kunst begegnet sie in Paris. Später macht sie sich nach Australien auf. Sie lebt mit den Aborigines in der Nähe von Alice Springs und lauscht deren Überlieferungen.
«Die Kunst der australischen Aborigines unterscheidet sich in vielem von der zeitgenössischen Kunstpraxis anderswo», sagt Bérengère Primat.
«Sie birgt immer noch uralte Geheimnisse der Wüstenvölker. Seit 40’000 Jahren stellen die Aborigines Malereien und Zeichnungen her, es ist die älteste Kunsttradition der Welt. Die Themen der Kunstwerke drehen sich um Schöpfungsmythen, die als «Traumzeit» bezeichnet werden. Die Malereien wurden ursprünglich auf Höhlenwände und Felsen angebracht. In Tausenden von farblich abgestuften Punkten werden Geschichten festgehalten, die von der Schöpfungsgestalt des Grossen Kängurus, Buschfeuern und von den Freveln ungeteilter Beute erzählen».
|
Jarinyanu David Downs (1925-1995)
|
Kurtal treibt als Regenwolke
Kurtal, der Regenmann. Er wurde auf einer fernen Insel geboren und reiste als Zyklon in die Kimberley-Region. Als er weiter ins Landesinnere zog, schuf er Orte der «lebendigen Wasser» (Wasserquellen) und besuchte andere Regenmänner.
Der Künstler David Downs verarbeitete aber auch christliche Themen wie Jona vom Wal verschluckt (1993) oder Jesus predigt dem Volk (1986). Für ihn können die beiden Religionen nebeneinander leben, da sie beide der göttlichen Ordnung im Kosmos dienen. Dennoch ist es Kurtal, der wichtigste Vorfahre der Aborigines, der in seinem Oeuvre eine vorherrschende Stellung einnimmt.
|
Nyunmiti Burton (1964), Seven Sisters, 2020.
|
Die sieben träumenden Schwestern
Viele Geschichten werden anhand von Sternkonstellationen nachgezeichnet. Diese Geschichte handelt von der Konstellation des
Die Schwestern sind das Sternbild der Plejaden und Orion ist der schelmische Mann Wati Nyiru, der stets auf der Jagd nach den Schwestern ist. Die Sieben Schwestern reisen immer wieder vom Himmel zur Erde und verwandeln sich in ihre menschliche Gestalt. Hier verstecken sie sich – aber Wati findet sie immer wieder und versucht, sie mithilfe von Magie einzufangen. Hin und wieder gelingt es ihm. Aber die Schwestern sind zu schlau und überlisten ihn, schliesslich fliegen sie zurück in den Himmel.
|
Tiger Yaltangki (1963). Yankunyt-jatara (APY), Süd-Australien. Rock 'n Roll, 2020. |
Der moderne Sternenhimmel
Was fällt uns ein, wenn wir an Sterne denken? Ja, Himmelskörper. Aber auch Rockstars, Filmstars und Sportstars. In seinem Werk «Rock n‘ Roll» befasst sich Tiger Yaltangki mit den Rockstars.
Er ist ein zeitgenössischer Künstler aus Indulkana im Anangu Pitjantjatjara Yankunytjatjara (APY) – Land im äussersten Norden von Südaustralien. In diesem aus Plattencovern bestehenden Werk wird seine Begeisterung für Rock'n'Roll-Musik deutlich, darunter Roy Orbison, Led Zeppelin und natürlich die legendäre australische Hardrock-Band AC/DC.
|
Alicja Kwade (1979) |
Prinzipien des Kosmos
In ihrem skulpturalen Werk spielt die Polin Alicja Kwade mit der Natur von Materialien. Sie verändert Alltagsgegenstände, bringt die visuellen Qualitäten von Rohstoffen wie Marmor, Glas, Holz, Kupfer und Halbedelsteinen zur Geltung.
Sie tut dies, um auf die Prinzipien hinzuweisen, die unsere Präsenz im Kosmos bestimmen. Und will daran erinnern, dass Künstler Bilder produzieren, mit denen neue Realitäten am Rande des Sichtbaren beschrieben werden.
|
Not Vital (1948) Head 3, 2013. Stainless steel.
|
Der glänzende «Meteorit»
Für den in Sent (Graubünden) geborenen Künstler ist die Natur voller Kräfte, die die Kunst offenbaren kann.
Seine Werke scheinen aus seltsamen geologischen Bewegungen oder aus unterirdischen Quellen entstanden zu sein. Not Vital spielt mit komplexen Techniken, um einem Objekt «Reinheit» zu verleihen. Hier spiegelt sich die Welt in einem glänzenden Meteoriten wider – effektiv ist der «Kopf» aber aus Stahl.
|
Lofty Bardayal Nadjamerrek(ca. 1926-2009).Northern Territory. Regenbogen-schlange, ohne Datum. |
Das spektakuläre Mischwesen
In der Region Western Arnhem Land im tropischen Norden Australiens taucht die Regenbogenschlange in Felsenmalereien auf, die vor etwa 6'000 Jahren entstanden sind. Ein zeitgenössischer Felsenmaler ist Lofty Bardayal Nadjamerrek, der auch auf Rinde und Papier malt.
Er stellt die Regenbogenschlange (Ngalyod) mit den Zähnen eines Krokodils dar, dem Kopf eines Kängurus, der Brust eines Emu, dem Körper einer Schlange und dem Schwanz eines Barramundi (tropische Fischart). Auf dem Körper wachsen Seerosenblätter, symbolisch für die Verschmelzung von Landschaft und der schöpferischen Kraft der Schlange.
|
Sonderausstellung |
|
|
Die Aborigines und das Universum
Die Sonderausstellung INTERSTELLAR (18.6. bis 12.11.23) zeigt rund 60 Werke zeitgenössischer Aborigine- und internationaler Künstler – Installationen, Gemälde, Skulpturen, Fotografien und Videos. In den Kulturen der Aborigines spiegelt sich alles, was auf der Erde ist, im Himmel wider. Traumgeschichten, wie die der «Sieben Schwestern» erzählen von dieser Verbindung mit dem Universum.
|