Wieso richtet das Kunsthaus Zürich einem nahezu unbekannten italienischen Künstler des Barocks eine Ausstellung aus?
Es sind Castigliones einzigartige Ölpinsel-
Zeichnungen, die faszinieren. Obwohl fast vier Jahrhunderte alt, wirken sie in ihrer «unfertigen» Form erstaunlich modern. Zudem hat sich Castiglione einen grossen Namen im Umgang mit Drucktechniken gemacht. Er gilt als der Erfinder der >Monotypie.
Giovanni Benedetto Castiglione,
Vermutliches Selbstportrait um
1640-50. Musée Jenisch, Vevey.
Sein Geburtsdatum ist unbekannt. Getauft wird er
am 23. März 1609 in Genua. Im Alter von 20 Jahren zieht er nach Rom. Dort gibt er sich als Grieche aus, weshalb man ihn auch «il Grechetto» nennt, den kleinen Griechen.
Castiglione scheint ein aufbrausendes Temperament gehabt zu haben. Mal schiesst er mit der Pistole auf einen Künstlerkollegen, der sich über seine Zeichnungen lustig macht, mal zückt er im Streit um die Bewertung seiner Arbeit das Messer und zerstört ein Altarbild. Solche Ausbrüche begleiten ihn lebenslang und könnten ein Grund dafür sein, dass er es nie ganz nach oben geschafft hat.
In Rom beginnt er ab 1629 damit, seine Gemäldearbeiten an etablierten Meistern wie Lorrain, Bernini, Raffael und Tizian auszurichten.
Ein Jahrzehnt später, 1640, hat er seinen eigenen Stil gefunden: Ölpinsel-Zeichnungen mit brauner Ölfarbe auf Papier – es wird sein Markenzeichen. Zurück in Genua experimentiert er damit weiter, erprobt verschiedene Strichführungen und Texturen. Er ist dafür bekannt, alle technischen Grenzen auszuloten.
Seine Ölzeichnungen sind einzigartig. Castiglione ist aber auch der erste italienische Künstler, der sich von Rembrandts Radierungen inspirieren lässt. Dessen Technik lernt er vermutlich in Genua durch flämische Kunsthändler kennen. Er selbst setzt jetzt Radierungen in grosser Zahl ein, um sich einen Namen zu machen.
Ab den 1650er-Jahren gehört Castiglione zu den gesuchtesten Künstlern Genuas. Seine Arbeiten werden geschätzt, er hat mächtige Gönner wie den Herzog von Mantua, Carlo II Gonzaga. Für diesen produziert er aber nicht nur Gemälde – für Gonzaga ist er auch als Agent in Genua tätig und verhandelt dort Abschlüsse über Gewürze, Früchte, exotische Vögel und Kunst.
In seinen letzten Jahren leidet der Künstler an Arthritis und wird in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Giovanni Benedetto Castiglione stirbt am 5. Mai 1664 im Alter von 55 Jahren. Man bestattet ihn in der Kathedrale von Mantua.
Titelbild (Ausschnitt)
Giovanni Benedetto Castiglione (1609-1664).
Die Rast auf der Flucht nach Ägypten, 1650-55. Fondation Custodia, Paris.
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Giovanni Benedetto Castiglione (1609-1664). Geburt Christi mit Gottvater und Engeln, um 1655. Monotypie auf Papier. Bibliothèque nationale de France, Paris.
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Der Erfinder der Monotypie
Castiglione gilt als der Erfinder dieser Technik – einer Mischung aus Zeichnung und Druckgrafik, bei der aber nur ein Unikat entsteht, deshalb heisst sie «Mono»typie.
Wie funktioniert diese Methode? Bei «normalen» Bildern wird auf eine Leinwand gemalt.
Bei der Monotypie hingegen wird die Farbe
>Kurzgeschichte über die Druckgrafik
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Giovanni Benedetto Castiglione (1609-1664).
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Radierungen à la Rembrandt
Radierungen bringt Castiglione in den 1640er-Jahren in grosser Zahl in Umlauf, um seinen Namen bekannt zu machen. Er ist einer der ersten italienischen Künstler, die sich von Rembrandts Technik inspirieren lassen. Vermutlich lernt er dessen Radierungen durch flämische Händler in Genua kennen. Von Rembrandt übernimmt er die lockere Ausführung und die ausgeprägten Hell-dunkel-Effekte.
«Der Genius des Castiglione», 1648. Diese Radierung ist die wohl berühmteste des Künstlers. Er feiert sich darin selbst als Genius. Die relaxte Pose des Jünglings verwendet er aber auch in Werken, die er zur Verherrlichung seines Gönners, des Herzogs von Mantua, schafft.
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Giovanni Benedetto Castiglione (1609-1664). Frau mit Kind auf Esel, Mann zu Fuss nebenher, 1635-40. Städel Museum, Frankfurt.
Castiglione (1609-1664).
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Ölpinsel-Zeichnungen auf Papier
Solche Pinsel-Zeichnungen mit brauner Ölfarbe auf Papier sind Castigliones Markenzeichen. Manchmal wirken sie wie Skizzen oder Studien – es sind aber fertige Kunstwerke. Für diese These spricht, dass keine einzige der Ölzeichnungen einem seiner bekannten Gemälde entspricht. Castigliones Ölzeichnungen brillieren durch einen feinen und locker-lässig aufs Papier gesetzten Strich. Dadurch wirken sie überraschend modern.
«Frau mit Kind auf einem Esel reitend, ein junger Mann zu Fuss nebenher gehend» heisst der Titel dieses Werkes – einigermassen verwunderlich. Liegt es nicht eher auf der Hand, dass dieses Bild Maria mit dem Jesuskind darstellt, auf dem Esel reitend, und Josef nebenher gehend, wie bei der «Flucht nach Ägypten»?
Biblische Geschichten
Die meisten Werke Castigliones behandeln biblische Themen. Die Flucht nach Ägypten war schon im Mittelalter ein beliebtes Motiv unzähliger Künstler. Über die Flucht berichtet das Matthäus-Evangelium: Nachdem die Weisen aus dem Morgenland abgereist sind, erscheint Josef ein Engel im Traum. Dieser befiehlt ihm, mit Maria und Jesus nach Ägypten zu fliehen, weil Herodes alle neugeborenen Kinder töten will >mehr
Noch berühmter ist die Geschichte von Noah und der Sintflut. Diese spielt allerdings im Alten Testament. Gott erklärt Noah, dass er einen grossen Regen auf die Welt senden werde. Alles soll untergehen, nur Noah und seine Familie nicht, auch nicht die Tiere auf dieser Welt. Also befiehlt er Noah, eine Arche zu bauen. Der Künstler stellt in seinem Werk einen Moment dar, in dem Noah die Tiere versammelt. Bemerkenswert die hohe Kunst Castigliones, Tiere zu charakterisieren. Schon fast real, wie der Hund seinen Meister anhimmelt.
>mehr über Noah und die Sintflut
Und was steckt hinter Rachel verbirgt die Idole?
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Giovanni Benedetto Castiglione (1609-1664). Reise von Rebecca, 1637. Museum of Fine Arts, Houston. |
Überragende Tierdarstellungen
Dieses Ölgemälde ist in der Ausstellung im Kunsthaus Zürich nicht zu sehen. Es belegt die stupende Meisterschaft des Künstlers, Tiere abzubilden. Dafür ist er berühmt. Der Kopf des Dromedars, die Rinder, das Pferd, das Schaf, die Ziege, der Hund – alles sehr naturalistisch und detailgetreu dargestellt.
Und was hat es mit der «Reise der Rebecca» auf sich? Es handelt sich um eine Geschichte aus dem Alten Testament: Rebecca ist die Tochter eines Neffen des Stammvaters Abraham. Sie soll nach Gottes Willen die Ehefrau von Abrahams Sohn Isaak werden. Rebecca zeigt sich sofort bereit, Gottes Willen zu erfüllen, obwohl Isaak für sie ein völlig Fremder ist. Gottesfürchtig macht sie sich auf eine beschwerliche Reise zu ihrem unbekannten Künftigen. |
Fotos / Diashow Castiglione
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