Ausstellung Pippa Garner «Act Like You Know Me»
Kunsthalle Zürich vom 4.2.-14.5.2023

 

Pippa Garner (1942) –

oder die Kunst des Abstrusen


An der Kunstfigur Pippa ist alles abstrus. Das beginnt schon bei ihrem Geschlecht. Eigentlich ist sie ja ein Mann. Geboren 1942 als Phil in der Nähe von Chicago. Eines Tages beschliesst er, sich in eine Frau umzuwandeln und spritzt sich Östrogen, das er auf dem Schwarzmarkt besorgt. Das Abstruse daran: Er will gar kein Transgender sein und hat auch nie geglaubt, im falschen Körper geboren zu sein oder das falsche Geschlecht zu haben. Er tut es einfach, weil er es kann.

 

 

Pippa Garner alias Phil Garner (1942).

Source: spikeartmagazine.com,
>Interview with Fiona Duncan

 

 

 

1966 arbeitet Phil Garner noch am Fliessband in einer Autofabrik, als er eingezogen und als Soldat nach Vietnam in den Krieg geschickt wird. Dort hat er Glück: Er wird einem «Combat Art Team» zugeteilt. Als begabter Zeichner muss er nicht in den Kampf, sondern darf mit Illustrationen den Krieg dokumentieren. In Vietnam kommt er auch mit der Fotografie in Kontakt.

 

1969 zurück in den USA, möchte er Autodesign studieren. Am Art Center College in Pasadena ist er aber nicht erwünscht, weil er mit einem anstössigen «Erotic Car» für Wirbel sorgt. Nun wird Fotografie Garners neue Kunstform. In seiner Freizeit fährt er mit dem Velo durch Los Angeles und fotografiert skurrile Dinge, abgewrackte Autos oder provokante Aufkleber und Ladenschilder.

 

Seine provokanten Fotos kann er im progressiven Magazin «West» platzieren, einer Beilage der Los Angeles Times. Das ist sein Einstieg in die Kunst. Später erscheinen dann Garners Arbeiten auch in Zeitschriften wie Esquire, Rolling Stone, Vogue und Playboy bis hin zu Car & Driver und Arts & Architecture. «Es wurde zu einer Obsession», erinnert sich Pippa Garner, «Dinge in Printmagazinen zu veröffentlichen, wo Tausende von Menschen sie sehen konnten.»

 

In den 1980ern tritt er als «Erfinder» abstruser Alltagsgegenstände in der Late Night Show bei Johnny Carson auf und sorgt für Amüsement. 1984 wandelt er sich in eine Frau um und nennt sich jetzt Pippa.

 

Garner hat aber auch eine ernsthafte Seite. Sie versteht sich als Vorkämpferin gegen verschwenderisches Konsumverhalten und gegen die Ausbeutung der Ressourcen. Sie tut das mit Zeichnungen, Gemälden, Skulpturen, Performances, Videos und Installationen.

 

Allerdings ist von ihren Werken nur wenig erhalten geblieben – auch die Ausstellung in Zürich kann nur noch Fotos davon zeigen.

 

Pippa Garner lebt in Long Beach, Kalifornien.

 

Die Zürcher Ausstellung «Act Like You Know Me» war schon vom 24.9.–13.11.2022 im Kunstverein München zu sehen und wird anschliessend an die Präsentation in Zürich auch in Metz nochmals gezeigt.

 

 

 

 

 

Titelbild

Pippa Garner, der Backwards Car, 1974.
Fotoquelle Website Kunsthalle Zürich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Phil Garner (1942). Half Human Half Car, 1969. Courtesy Künstlerin und STARS Gallery.

 

Der verhinderte Auto-Designer

 

Nach der Rückkehr aus dem Vietnamkrieg 1969 studiert Garner «Transportation Design» am ArtCenter College in Pasadena (Kalifornien) mit dem Ziel Autodesign.

 

Als er jedoch sein Projekt Half Human Half Car vorstellt, jagt man ihn vom College – diese Art von Design ist in der seriösen Lehranstalt nicht erwünscht.

 

Sein anstössiger Erotic Car ist ein Hybrid: Vorne ein Automobil, hinten ein nackter Mann, der sein linkes Bein so vom Körper streckt, wie es ein pissender Hund tut. Die Skulptur existiert nicht mehr, es gibt nur noch Fotos davon.

 

 

Der Backwards Car aus dem Jahr 1974.

 

 

Der abstruse «Backwards Car»

 

Wahrscheinlich Garners berühmtestes Werk. Mit diesem zieht er 1974 die Aufmerksamkeit der Kunstwelt auf sich. Eine Art Durchbruch für den Künstler.

 

Es handelt sich um einen normalen Chevrolet, den Garner aber so umbaut, dass die Karosserie auf dem Fahrgestell verkehrt herum sitzt. Nun scheint das Auto rückwärts zu fahren... was auf den Strassen rund um San Francisco für Verwirrung sorgt. Das Bild zeigt den Backwards Car (der silberfarbene Wagen) im Verkehr auf der Golden Gate Brücke.

 

Finanziert wird der Chevrolet vom Magazin «Esquire» – den anspruchsvollen mechanischen Umbau besorgt der Künstler selbst.

 

 

 

Palmbrella

Talkman

 

Dance-Instruction Shoes

 

Der «Erfinder» in der Johnny Carson Show

 

In der berühmten «Tonight Show Starring Johnny Carson», die von 1962 bis 1992 im Fernsehen läuft, tritt Garner als Erfinder von abstrusen Alltags-Gegenständen auf.

 

In dieser TV-Show stellt er dem Publikum seinen Better Living Catalog vor («Absolute Necessities for Contemporary Survival...») und zeigt so überaus sinnvolle wie nützliche Dinge wie zum Beispiel einen Sonnenschirm aus Palmenblättern, den er Palmbrella nennt. Oder eine Doppelmütze, die Platz für zwei Köpfe bietet. Oder die Dusche in der Druckdose. Oder einen Talkman, der das Geblabber seines Trägers nicht nach aussen trägt. Oder die unerlässlichen Dance Instruction Shoes, damit sich die Tanzpartner nicht auf die Füsse stehen. So genial wie abstrus.

 

>Video

 

 

 

Pippa Garner Selfie in Uniform, 1997.
Courtesy the Artist and STARS Gallery.

 

 

Das «Gender-Hacking»

 

Garner nennt das ein «persönliches und kulturelles Experiment». Ohne Not verwandelt er sich in eine Frau, obwohl er nie das Gefühl hatte, im falschen Körper geboren zu sein. Er beginnt damit 1984.

 

Später beschreibt er – jetzt sie, als Pippa – diese Entscheidung als einen Aha-Moment: «In meiner früheren Arbeit habe ich immer Objekte verwendet, die Konsumgüter waren, also Dinge, die vom Fliessband kamen. Ich erinnere mich, wie ich eines Tages in den Spiegel schaute und dachte: Hey, auch ich bin ein Objekt. Warum sollte ich nicht auch meine eigene Anatomie umkehren, so wie ich es mit dem Chevy getan hatte?». Nicht alle halten das für angebracht. Vor allem die LGBTQ+-Community empfindet sein Handeln als wenig respektvoll.

 

 

Pippa Garner im Tretauto. «Queen of the Future«, 2021. David Matorin.

 

Vom Benziner zum Tretmobil


Schon in den frühen 1990ern gibt Pippa Garner das Autofahren auf und bewegt sich nur noch mit komplex modifizierten Tret-Fahrrädern fort. Damit will sie die Ölindustrie anprangern, die Kriege, die Verschwendung von Ressourcen und von Land. Sie möchte klar machen, dass es sinnvoller ist, den eigenen Körper als Motor zu verwenden statt benzingetriebene Maschinen.

 

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