Seit dem Frühjahr 2022 wird die Ukraine von russischen Truppen attackiert. Als am 10. Oktober 2022 das Gebäude des Chanenko-Kunstmuseums Kiew durch russische Raketenangriffe >schwer beschädigt wurde, wandte sich die Direktion des Kiewer Museums mit einer Anfrage an das Kunstmuseum Basel: Ob es möglich wäre, rund fünfzig Gemälde hier in Sicherheit zu bringen.
Anatoly Zaslawsky (1939).
Sophienkathedrale Kiew, 1990.
National Art Gallery, Kyiv.
Allerdings wollte man die Bilder nicht einfach in den Basler Katakomben einlagern, sondern diese auch dem Publikum zugänglich zu machen – mit einer Ausstellung.
Nun präsentiert das Kunstmuseum Basel rund dreissig Werke von ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern. Die Ausstellung sollte zugleich eine Einladung sein an die zahlreichen ukrainischen Geflüchteten in der Schweiz. Deshalb sind auch alle Gemälde mit ukrainischem Text beschriftet.
Die Ausstellung bietet Zugang zu einer europäischen Kultur, die bisher im Westen kaum bekannt war. Tatsächlich sind die gezeigten KünstlerInnen hiesigen Kunstfreunden kaum ein Begriff – vielleicht mit einer Ausnahme: Ilja Repin. Repin steht als wichtiger Vertreter grosser russischer Maler – aber eigentlich ist er Ukrainer.
Die in der Ausstellung gezeigten KünstlerInnen sind das auch. Viele erhielten jedoch ihre Ausbildung in Russland und wurden so zu kulturellen Exponenten der Sowjetunion. Jetzt legt die Ukraine Wert darauf, dass sie wieder als Ukrainer gesehen werden.
Dawyd Schterenberg (1881-1948).
Emigrant, 1913-14. National Art Gallery, Kyiv.
Und was passiert mit den Bildern nach der Ausstellung, die am 30.4.23 endet, falls dann der Krieg noch andauern sollte? Werden sie in ein anderes europäisches Land weitergegeben, in eine neue Ausstellung? Oder kommen sie zur Sicherheit in die Katakomben des Kunstmuseums Basel? Noch ist bis jetzt (Januar 2023) keine Entscheidung gefallen. Je nach Verlauf des Krieges werden die beiden Museen von Kiew und Basel das Gespräch wieder aufnehmen und nach Lösungen suchen.
*) Das Chanenko-Kunstmuseum im historischen Zentrum Kiews wurde im Oktober 2022 bei einem russischen Angriff schwer beschädigt. Die Direktorin Julia Waganowa über das leere Museum, die Sorge um die Kunstwerke und die aggressive russische Kulturpolitik.
Titelbild (Ausschnitt)
Leonid Kabachek (1924-2002).
Feiertag, 1963. National Art Gallery, Kyiv.
Ilja Repin (1844-1930). Kopf eines Bauern, 1870-80. Nationalgalerie Kiew.
Ilja Repin (1844-1930). Der Dichter Serhij Horodetsky mit seiner Frau Hanna, 1914. Detail. Nationalgalerie Kiew.
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Ilja Repin – kein Russe?
Seit Russland im Frühjahr 2022 die Ukraine attackiert, reklamieren die Ukrainer den «grossen russischen Maler» als ihren Landsmann. Tatsächlich ist Repin in Charkow geboren, also in der Ukraine.
Der Künstler musste schon zu UdSSR-Zeiten miterleben, wie die ukrainische Kultur unterdrückt wurde – und jetzt, 2023, ist das wieder der Fall. Diesmal muss Repin es nicht mehr selbst erleben.
Als Ilja Repin 1872 sein Studium an der Akademie in St. Petersburg beendet, belohnt man ihn für seine Abschlussarbeit mit einem fünfjährigen Ausland-Stipendium. Dieses führt ihn nach Wien und Paris. In Paris versucht er sich dann am gerade in Mode gekommenen Impressionismus, ist damit aber nicht erfolgreich. Und auch nicht mit einem Werk im Stil des Realismus, das er für den >Salon de Paris einreicht.
1876 kehrt er nach Russland zurück. Seither gilt er als grosser Vertreter des russischen Realismus, obwohl er Ukrainer ist. 1900 heiratet er die finnische Schriftstellerin Natalia Nordman und lässt sich 1903 in Kuokkala (Finnland) auf dem Landsitz seiner Frau nieder, wo er sein Atelier einrichtet. Dort lebt und arbeitet er bis zu seinem Tod am 29. September 1930. In Kuokkala ist er auch beigesetzt.
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Mykola Kuznetsov (1850-1929). Laienschwester, 1892. National Art Gallery, Kyiv.
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Mykola Kuznetsov (1850-1929)
Er kommt 1850 in einer Kleinstadt bei Odessa zur Welt. Mit 16 beginnt er sein Studium an der Kaiserlichen Akademie der Künste in St. Petersburg. Nach Abschluss seiner Ausbildung wird er ein geschätzter Porträtmaler, ist aber auch mit Genreszenen erfolgreich. Ab 1893 verlegt Kuznetsov sein Atelier nach Odessa. Dann lehrt er bis 1897 als Professor an der Kaiserlichen Akademie in Sankt Petersburg.
1900 schliesst er sich der «Gruppe der Wanderer»
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Sinaida Serebrjakowa (1884-1967). Selbstbildnis, 1923-24. National Art Gallery, Kyiv.
Sinaida Serebrjakowa (1884-1967). Schlafendes Modell, 1941. National Art Gallery, Kyiv. |
Sinaida Serebrjakowa (1884-1967)
Sie kommt in Charkow in einer grossbürgerlichen Familie zur Welt. Ihr Vater ist Bildhauer, einer ihrer Brüder Monumentalmaler. Ab 1900 besucht sie private Kunstschulen und die Akademie der Bildenden Künste in Sankt Petersburg. Dort ist >Ilja Repin einer ihrer Lehrer. 1906 studiert sie in Paris in der >Académie de la Grande Chaumière.
Zurück in Charkow arbeitet sie im Archäologischen Museum, dann im Tschechow-Theater in Moskau.
1924 erhält sie einen Malauftrag aus Paris – und bleibt dort in der Emigration. Zwei ihrer vier Kinder kann sie nachholen, zwei bleiben in der UdSSR.
Im Zweiten Weltkrieg erhält sie die französische Staatsbürgerschaft – ihre Arbeiten sind in der UdSSR unerwünscht. Das ändert sich ab 1960 wieder. Nun darf sie in Moskau, St. Petersburg und Kiew ausstellen. Ihre Werke kommen gut an, aber die Künstlerin ist zu diesem Zeitpunkt schon zu krank, um nochmals in die Sowjetunion zu reisen. Sie stirbt 1967 in Paris und wird auf dem Russischen Friedhof von Sainte-Geneviève-des-Bois beerdigt.
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Oleksandr Tyschler (1898-1927). Machnowscht-schyna (Huljajpole), 1927. National Art Gallery, Kyiv.
Oleksandr Tyschler (1898-1927). Machnowscht-schyna, 1927. Detail. National Art Gallery, Kyiv.
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Oleksandr Tyschler (1898-1927)
Er wird in eine jüdische Handwerkerfamilie in Melitopol (Saporischschja) geboren und studiert ab 1912 an der Kiewer Kunsthochschule und bei der Avantgarde-Künstlerin Oleksandra Ekster. Anfänglich interessiert er sich für abstrakte Malerei, Futurismus und Expressionismus. 1919 tritt Tyschler der Roten Armee bei und gestaltet Agitationsplakate. Er macht sich einen Namen als Buchillustrator und arbeitet auch als Gestalter von Theaterkulissen.
Sein Werk von 1927 Machnowschtschyna bezieht sich auf eine anarchistische Volksbewegung, die zwischen 1917 und 1921 grosse Teile der Ukraine kontrollierte. Ihr Anführer, Anarchist Nestor Machno (1888-1934), stammte aus dem ukrainischen Huljapole. Bei den Bauern in dieser Gegend war er beliebt, aber andernorts für seine Brutalität berüchtigt. Er soll sich auf Pferdekarren bewegt haben, die mit Maschinengewehren ausgerüstet waren. Tyschler widmete Machno mehrere Werke.
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Fotos Ausstellung «Born in Ukraine»
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