Joseph Beuys (1921-1986)


«Jeder Mensch ist ein Künstler». Mit diesem Satz macht sich der berühmteste deutsche Aktionskünstler unsterblich. Aber gleichzeitig spaltet er auch die Kunstwelt. Mit seinen Kunstaktionen provoziert und verwirrt er, schafft neue Kunstformen und kreiert neue Kunstbegriffe, erfindet die «Soziale Plastik». Er mischt sich in die Politik ein und legt sich mit alten Bildungsstrukturen an. Als Mitglied der Grünen versteht er sich als Bewahrer und Retter der Natur.

 

 

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Joseph Beuys, Plakat.
Modern Tate Gallery, London.

 

 

Joseph Beuys kommt am 12. Mai 1921 in Krefeld am Niederrhein zur Welt. Sein Vater handelt mit Düngemitteln, ab 1930 betreibt er in Kleve eine Mehl- und Futterhandlung. In Kleve besucht Joseph Beuys das Staatliche Gymnasium, er lernt Klavier und Cello und beweist zeichnerisches Talent. Kontakt zum Malen und Bildhauern erhält er durch den in Kleve lebenden flämischen Künstler Achilles Moortgat (1881–1957).

 

1936 wird er Mitglied der Hitlerjugend. 1938 lernt er die Werke von Wilhelm Lehmbruck (1881-1919) kennen und entschliesst sich, Bildhauer zu werden.

 

1941 meldet er sich freiwillig zur Luftwaffe, kann aber nicht Pilot werden, weil er an einer Rot-Grün-Blindheit leidet. Also wird er Bordfunker auf einem Stuka-Bomber. 1944 stürzt die Maschine in der Krim (Ukraine) ab. Der Pilot ist tot, Beuys überlebt. Später wird er erzählen, dass er schwer verletzt von Tataren aufgefunden worden sei, die ihn «in Filz eingewickelt und seine Wunden mit Fett behandelt und ihm so das Leben gerettet hätten». Das sei auch der Grund, weshalb Filz und Fett in seinen Kunstwerken eine so gewichtige Rolle spielten. Nachforschungen ergeben dann allerdings, dass an der Tataren-Geschichte nichts stimmt. Vielmehr wurde er von einem deutschen Suchtrupp gefunden und ganz normal ins Lazarett eingeliefert.

 

Beuys dient dann nochmals 1944 an der Westfront in einer Fallschirmjägerdivision und gerät 1945 in britische Kriegsgefangenschaft. Im August 1945 kehrt er nach Kleve zu seinen Eltern zurück.

 

1946 wird er Mitglied des «Klevner Künstlerbundes» und schreibt sich an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf ein. Sein Studium heisst Monumental-Bildhauerei, sein Lehrer ist Ewald Mataré (1887-1965). 1951 ernennt ihn Mataré zu seinem Meisterschüler. Beuys arbeitet an Matarés Aufträgen mit, u.a. an den Mosaiken für die Pfingsttür des Kölner Doms.

 

1953 hat Beuys seine erste Einzelausstellung in Kranenburg. Mit 32 Jahren beendet er sein Studium und bezieht ein eigenes Atelier in Düsseldorf. Er fertigt Grabsteine und entwirft Möbel.

 

1958 bewirbt er sich um eine Professur an der Kunstakademie Düsseldorf, wird aber zunächst abgelehnt. Erst 1961 beruft man ihn auf den «Lehrstuhl für monumentale Bildhauerei».

 

 

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«Komm Jörch, wir gehen», 2005. Skulptur
von Jörg Immendorff (1945-2007).

Haus der Kunst München, Ausstellung 2019. Kunstmuseum Wolfsburg.

 

 

Nun beginnt die Zeit, in der er für Aufsehen sorgt – mit Aktionen, die mit der Bildhauerei nichts gemein haben. 1963 inszeniert er sein «Festum Fluxorum», entwickelt den «sozialen Kunstbegriff» und greift später die gängigen Bildungsstrukturen an. Beuys vertritt die Ansicht, dass niemand davon abgehalten werden darf, Kunst zu studieren. Einen Numerus Clausus lehnt er strikte ab. Als 1971 von 232 Bewerbern für die Kunstakademie Düsseldorf 142 abgewiesen werden, nimmt er alle Abgewiesenen in seine Klasse auf. Das Bildungsministerium tobt.

 

1972 besetzt Beuys mit weiteren abgewiesenen Studenten das Sekretariat der Kunstakademie – und wird daraufhin durch Minister Rau entlassen. Die öffentliche Meinung ist gespalten, die Studenten gehen auf die Barrikaden: «1000 Raus machen noch keinen Beuys» heisst es auf ihren Transparenten – aber ihr Protest bleibt ohne Erfolg. Der Entscheid steht und wird nicht zurück genommen.

 

Beuys reicht Klage ein. Sie führt zu einem Rechtsstreit, der erst 1980 mit einem Vergleich endet: Beuys darf zwar bis zu seinem 65. Altersjahr sein Atelier in der Kunstakademie Düsseldorf weiter nutzen und den Titel eines Professors führen, muss aber im Gegenzug die Auflösung des Arbeitsvertrages akzeptieren.

 

1985 – da ist er erst 64 – wird bei Beuys eine seltene Form einer Lungenerkrankung diagnostiziert. Zur Erholung reist er nach Capri und Neapel. Von Dezember 1985 bis Mai 1986 zeigt das Museo di Capodimonte in Neapel Beuys letzte grosse Rauminstallation «Joseph Beuys – Palazzo Regale».

 

Am 12. Januar 1986 erhält Joseph Beuys noch den Wilhelm-Lehmbruck-Preis der Stadt Duisburg, aber schon wenige Tage danach, am 21. Januar 1986, erliegt er seiner Krankheit in Düsseldorf – mit erst 64 Jahren. Seine Asche wird in die Nordsee gestreut.

 

 

 

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Joseph Beuys (1921-1986).

Olivestone, 1984. Kunsthaus Zürich.

 

 

 

 

 

 

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Joseph Beuys (1921-1986). Grabstein für Fritz Niehaus, 1950. Foto Perlblau, WikiCommons.

 

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Bronzetür des Kölner Doms von Ewald Mataré und Joseph Beuys (Mosaik).
Foto T. Voekler, WikiCommons.

 

 

1950: Erste Arbeiten als Bildhauer

 

Ein Jahr nach Kriegsende, im Sommer 1946, beginnt Beuys sein Kunststudium zum Bildhauer an der Kunstakademie Düsseldorf. Genauer: Im Fach Monumental-Bildhauerei unter Professor Joseph Enseling. Zu seinen ersten Werken gehört der Grabstein für Fritz Niehaus auf dem Friedhof Meerbusch-Büderich.

 

1948 wechselt er in die Klasse von Ewald Mataré (1887-1965), bekannt für stilisierte Tierskulpturen und sakrale Werke. Mataré ernennt Beuys zu seinem Meisterschüler, was mehr ist als eine Auszeichnung: mit ihr verbunden erhält Beuys das Privileg, unter dem Dach der Kunstakademie sein eigenes Atelier einzurichten und zu führen.

 

Beuys darf sich auch an den Arbeiten seines Professors beteiligen. So zum Beispiel bei der Ausschmückung der Türen für das Südportal des Kölner Doms. An der «Pfingsttür» setzt Beuys im Auftrag von Mataré das Mosaik. Auch am Aachener Dom sind die beiden engagiert.

 

 

 

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Joseph Beuys (1921-1986). Wie man einem toten Hasen die Bilder erklärt.

 

>YouTube-Film

 

 

1965: Beuys und der tote Hase

 

Einer der Höhepunkte des Aktionskünstlers. Beuys bedeckt seinen Kopf mit Honig, Blattgold und Goldstaub und durchstreift mit einem toten Hasen im Arm die Galerie Schmela in Düsseldorf – und dabei erklärt er dem Hasen die Bilder. Er führt ein «Zwiegespräch» mit dem toten Tier.

 

Erst nach drei Stunden wird auch das Publikum in die Räume eingelassen. Beuys sitzt nun stumm auf einem Hocker im Entrée, den toten Hasen im Arm, und lässt die Leute eintreten. Diese dürfen jetzt ihrerseits die Bilder betrachten – allerdings ohne Beuys Erläuterungen und ganz auf sich selbst gestellt.

 

 

 

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Joseph Beuys (1921-1986). Erdtelefon, 1968. Pinakothek der Moderne München.

 

 

1968: Das Erdtelefon und die heilige Maria

 

«Ich habe kein Interesse, das Telefon zu interpretieren – mich interessieren die Kräfte, die an dieser Sache beteiligt sind», erklärt Beuys. Für ihn ist das Gerät ein Parallelbild für den Informationsaustausch zwischen zwei denkenden Wesen. Er stellt die Erde als ursprünglicher Kommunikationspartner des Menschen dar und sieht seine Installation als Metapher für die >Verkündigung. «Marias Nachfolger», die Menschen, werden als Empfänger der Botschaft zum Abnehmen des Hörers aufgefordert.

 

 

 

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Joseph Beuys (1921-1986). Filzanzug, 1970. Pinakothek der Moderne München.

 

 

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Schlitten mit Filz und Fettklumpen, 1969. Pinakothek der Moderne München.

 

 

1970: Beuys' Faible für Filz und Fett

 

Filz und Fett als Gestaltungsmaterial zählen zu Beuys' Markenzeichen. Warum, ist nicht ganz klar. Einerseits erklärt er, dass er mit der Verwendung dieser ungewöhnlichen Materialien Reaktionen provozieren wolle. Anderseits gibt es aber auch noch die Legende – es ist seine eigene –, dass ihm Filz und Fett im Krieg das Leben gerettet hätten.

 

Die Legende geht so: Bei einem Flugzeugabsturz in der Krim wird er schwer verletzt. Tataren finden ihn und pflegen ihn gesund, wobei Filz und Fett eine wichtige Rollen spielen. Es ist eine frei erfundende Geschichte >mehr.

 

Bei seinem Kunstwerk «Filzanzug» verweist er auf zwei Bedeutungsebenen der Isolation: «Der Filzanzug repräsentiert einmal ein Haus, eine Höhle, die den Menschen ab-isoliert gegenüber allem anderen. Zum anderen ist er ein Zeichen für die Isolation des Menschen in unserer Zeit.»

 

Schon ab 1958 setzt er Fett in seiner Kunst ein. Der Stuhl mit Fett (1963) ist eines seiner bekannten Werke. Er packt einen riesigen dreieckigen Klumpen Fett auf einen Holzstuhl. Für Beuys hat Fett die Bedeutung als Wärme speicherndes Material, das «den Wärmecharakter der Skulptur am besten demonstriert».

 

 

 

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Joseph Beuys (1921-1986). Badewanne mit Pflastern, 1960. Lenbachhaus München. Foto Mario Gastinger ©VG Bild-Kunst, Bonn.

 

 

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Badewanne für eine Heldin, 1950. Pinakothek der Moderne München.

 

 

 

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Badewanne 1961. Pinakothek der Moderne München.

 

1973: Die groteske Badewannen-Affäre.

 

Was hat das mit Kunst zu tun? schreiben die Zeitungen in den 60er- und 70er-Jahren über viele Beuys-Werke. Besondere Schlagzeilen generiert aber der Fall, als eine Beuys-Badewanne durch putzwütige Hausfrauen «zerstört» wird. Was ist passiert? Im Schloss Morsbroich findet 1973 eine kleine SPD-Feier statt. Es fehlen Stühle. Zwei Frauen gehen auf die Suche, werden im Schlossmagazin fündig. Dort stossen sie auf eine verlauste alte Badewanne, «verunstaltet» mit Pflastern und Fett. «Würde sich gut zum Gläser spülen eignen», befinden die beiden. Aber so dreckig, wie die ist... Also putzen sie die Wanne sauber, damit sie verwendbar wird.

 

Blöd nur, dass das keine schmutzige Wanne ist, sondern ein Kunstwerk von Joseph Beuys. Aber nach der «Putzaktion» ist die Wanne als Kunstwerk zerstört. Wer kommt nun für den Schaden auf? Der Kunstsammler Lothar Schirmer ist der Eigentümer des Kunstwerks. Er verlangt vom Museum eine Restaurierung. Als dieses nicht reagiert, verklagt Schirmer 1974 die Stadt Wuppertal als Betreiberin des Museums. Das Gericht verurteilt Wuppertal zu einer Schadensersatz-Zahlung von 40'000 Mark. Die Stadt legt Berufung ein... und so weiter.

 

Hauptthema in der Presse ist allerdings mehr die Frage, was Kunst ist und was nicht. Und ob die These Beuys denn stimmen könne, dass «jeder Mensch ein Künstler» sei, wenn doch offensichtlich nicht mal jeder/jede Kunst als solche erkenne.

 

Im Nachhinein kann man sich fragen, wieso Beuys die Gelegenheit nicht gepackt hat, aus dieser Story rund um den Gerichtsprozess um seine Badewanne eine «Kunst-Aktion» zu kreieren.

 

 

 

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Aktion «Stadtverwaldung statt Stadt-verwaltung, 7000 Eichen». Beuys pflanzt 1982 den ersten Baum. Foto R. Lehning ©Stadt Kassel.

 

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7000 Basaltstelen warten darauf, mit den Bäumen gesetzt zu werden. Foto Hilmar Deist ©Stadt Kassel.

 

 

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Ansicht 2019 von Bäumen, die 1987 in Kassel gepflanzt wurden. Foto Baum-mapper, WikiCommons.

 

 

>YouTube Film 7000 Eichen

 

1982: Stadtverwaldung statt Verwaltung

 

Seine berühmteste Aktion ist das Landschafts-Kunstwerk «Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung». Beuys stellt die Idee 1982 an der documenta 7 in Kassel vor. Mit der Unterstützung von vielen freiwilligen Helfern sollen 7000 Bäume gepflanzt werden, über mehrere Jahre hinweg. Zu jedem Baum soll eine grosse Basaltstele gesetzt werden. Es dauert fünf Jahre, bis die letzte Basaltstele vom aufgetürmten Haufen vor dem Kasseler Museum Fridericianum an ihren Bestimmungsort gelangt.

 

Beuys bezeichnet das Projekt als Soziale Plastik. Der erste Baum wird 1982 vor dem Museum Kassel gepflanzt. Die letzte Pflanzung, 1987, erlebt Beuys nicht mehr, er stirbt am 12. Januar 1986. Seine Witwe Eva Beuys und Sohn Wenzel sind beim letzten Akt anwesend, am 12. Juni 1987 vor dem Fridericianum. Die Aktion heisst zwar 7000 Eichen, aber es werden auch Eschen, Linden, Rosskastanien, Ahorn und Platanen gesetzt.

 

Und wer finanziert die ganze Aktion? Sie erfordert total 4.3 Mio Mark und ist die teuerste seiner Kunstaktionen. Ein erster Teil kommt von der New Yorker Dia Art Foundation, der Rest soll durch Spenden von Privaten beigebracht werden, heisst: durch den Kauf der Bäume – 500 Mark pro Baum. Das Echo ist lau, trotz Beuys' Berühmtheit.

 

Nun ist er gezwungen, die Restfinanzierung selbst zu besorgen. Er macht am japanischen TV Werbung für die Whiskymarke Nikka. Für den Satz «Ich habe mich vergewissert, der Whisky ist wirklich gut» soll er 400'00 Mark bekommen haben.

 

Dann verkauft er einige seiner Kunstwerke. Weitere 34 Künstler tun es ihm gleich – mit dabei ist auch >Andy Warhol –, und so kommt eine weitere Million zusammen, bis die gesamte Finanzierung steht. Über vier Millionen Mark.

 

 

 

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Joseph Beuys (1921-1986). Olivestone, 1984. Kunsthaus Zürich.

 

1984: Steinwanne mit Olivenöl

 

Fünfzig Millionen Jahre alt ist der Stein, aus dem diese Wanne gemacht ist. Sie diente im 18. Jht im Palazzo Durini in der Toscana als Olivenöl-Behälter. Beuys setzt ihr einen Steindeckel auf und begiesst das Ganze mit Olivenöl. Damit das Kunstwerk nicht eintrocknet, muss es ständig mit Olivenöl gegossen werden. Diese fragwürdige Ehre kommt dem Kunsthaus Zürich zu. >mehr

 

 

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Joseph Beuys (1921-1986). Capri-Batterie, 1985. Pinakothek der Moderne München.

 

 

1985: Die Capri-Batterie

 

Beuys Lunge macht Probleme. Zur Erholung reist er nach Neapel und auf die Insel Capri, wo sein neapolitanischer Galerist Lucio Amelio eine Villa besitzt. Dort bastelt Beuys eines seiner letzten Werke: Die Installation Zitrone mit Glühbirne. In sie packt er seine ökologische Aussage: «Alle Energien werden aus der Natur bezogen. Und alle natürlichen Ressourcen sind begrenzt. Wir müssen sorgsam mit ihnen umgehen».


Beuys beweist immer wieder sein Interesse an der grünen Politik. Als sich 1979 «Die Grünen» an der Wahl zum Europäischen Parlament beteiligen, ist Beuys einer ihrer Spitzenkandidaten. Er führt für die junge Partei Kampagnen durch und gestaltet Wahlkampfplakate.

 

Bis zu seinem Tod 1986 ist Joseph Beuys
offizielles Mitglied der Grünen.

 

 

 

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