Er ist weltberühmt für seine lärmenden Maschinen aus Altmetall und Schrott. Maschinen, die ohne jeden erkennbaren Sinn und Zweck sind. Sind sie deshalb sinnlos? Nein – denn sie entzückten ihren Erbauer und faszinieren ein weltweites Publikum, bis heute.
Jean Tinguely, 1990.
Foto von Vera Isler. Pressedienst Museum
Tinguely
© 2012, ProLitteris, Zürich.
Jean Tinguely stammt aus Fribourg und verbringt
seine Kindheit in Basel. Mit 15 beginnt er eine Lehre als Dekorateur im Warenhaus Globus. Sein rebellischer Charakter steht ihm im Weg. Er ist so undiszipliniert, dass man ihn feuert. Dennoch schliesst er seine Lehre 1944 als Dekorateur ab: bei Joos Hutter. Dieser empfiehlt im, die Kunstgewerbeschule zu besuchen. Dort lernt er Eva Aeppli kennen, die 1951 seine Ehefrau wird.
Als freischaffender Dekorateur ist Jean Tinguely dann in Basel und Zürich tätig – und fällt mit ausgefallenen Schaufenster-Auslagen auf. 1953 zieht das Ehepaar Tinguely nach Paris. Hier entwickelt er erste sich selbst bewegende Skulpturen aus Draht und Blech.
1959 baut er Zeichenmaschinen, die Méta-Matics. Die Méta-Matic No. 17 wird zur Sensation der Biennale von Paris. Ein erster Höhepunkt in seinem Frühwerk.
1960 geht er einen Schritt weiter und konstruiert das erste sich selbst zerstörende Kunstwerk, die «Homage to New York». Es folgen lärmende Maschinen aus Alteisen und Schrott.
1960 trennt er sich von seiner Ehefrau Eva Aeppli. Dafür zieht >Niki de Saint Phalle zu ihm in die Impasse Ronsin in Paris. In dieser Phase feiert Tinguely in der Schweiz den ersten grossen Erfolg mit seiner bis heute berühmten «Heureka», die er für die EXPO 64, die Landesausstellung in Lausanne baut. Dort wird sie zum Wahrzeichen der Ausstellung. Die Heureka kommt danach nach Zürich, wo sie auch heute noch das Publikum fasziniert.
1969 startet er mit Niki de Saint Phalle und Freunden das Monsterprojekt «Le Cyclop» in einem Waldstück von Milly-la-Forêt bei Paris. Es müssen 350 Tonnen Stahl verarbeitet werden, die Skulptur soll 22 Meter hoch werden. Die Arbeiten dauern über den Tod Tinguelys (1991) hinaus. Niki, seine Ehefrau seit 1971, übernimmt die Vollendung. 1994 kann der Zyklop durch den französischen Staatspräsidenten François Mitterrand eingeweiht werden.
1978 entsteht seine erste Méta-Harmonie. Bei dieser werden Musik- und Schlaginstrumente eingebaut. Fortan gehört auch der Klang zu Tinguelys Werk. Es folgen weitere Méta-Harmonien. Zum Höhepunkt wird die begehbare Méta-Maxi-Maxi-Utopia.
1986 erlebt Tinguely den Brand eines Bauernhofs in seinem Wohnort Neyruz. Aus den Überresten schafft er sein zentrales Spätwerk, den Mengele-Totentanz. Die Skulptur wird während seiner Retrospektive in der Kirche San Samuele in Venedig gezeigt.
Am Lebenstraum seiner Gattin, Niki de Saint Phalle, arbeitet er seit dem Planungsstadium 1976 mit: Am >Giardino dei Tarocchi, der in der Toskana entstehen soll. Die Arbeiten dauern so lange, dass er die Fertigstellung nicht erlebt. Erst 1998 kann der Garten dem Publikum übergeben werden.
1989 muss sich Jean Tinguely wegen Herzproblemen untersuchen lassen. 1991 erleidet er einen Herzinfarkt und verstirbt am 30. August 1991 im Spital in Bern.
Titelbild (Ausschnitt)
Der geknickte Turm im Giardino dei Tarocchi
in Capalbio / Toskana.
Jean Tinguely (1925-1991), Heureka. Foto Roland zh, WikiCommons.
YouTube-Film.
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«Heureka» – sein berühmtestes Werk
Seine erste Maschine aus Schrottteilen ist gleichzeitig auch seine berühmteste. Die Heureka ist eine kinetische Grossplastik aus Stahlrädern, Eisenstangen, Rohren und Metallpfannen. Tinguely baut sie 1964 für die Landesausstellung in Lausanne, die «Expo 64». Der Titel «Heureka», griechisch für «Ich hab’s gefunden!», ist die reine Ironie, denn die lärmende Maschine hat überhaupt keinen Zweck – ausser die Menschen zu faszinieren.
Es ist Tinguelys erste öffentliche Arbeit. Nach der Expo kommt sie 1967 nach Zürich an den See, und ist dort heute noch täglich im Betrieb. Je um 11.00, 15.00 und 19.00, für jeweils acht Minuten.
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Le Cyclop. Jean Tinguely, Niki de Saint Phalle und Freunde. Milly-la-Fôret bei Paris, 1969-1994.YouTube-Film 1.
YouTube-Film 2.
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Der Zyklop im Wald von Milly-la-Fôret
Ein Monster von 22 Metern Höhe und 350 Tonnen Stahl. Der riesige Kopf mit nur einem Auge glitzert vor Spiegeln, aus seinem Mund tritt eine Rutsch-Zunge, und im Innern werden die BesucherInnen von einer Fantasiewelt mit akustischen Skulpturen, einem automatischen Theater und von Eisenschrottgetrieben empfangen. Das Werk ist eine Mischung von Dada, Nouveau Réalisme, Kinetic Art und Art brut.
Die Arbeiten am Zyklopen dauern Jahre. Es ist ein Kollektivwerk einer Freundesgruppe rund um Jean Tinguely und seiner späteren Gattin (ab 1971)
Das Projekt nimmt seinen Anfang 1969 im Wald von Milly-la-Fôret in Paris. Es dauert zehn Jahre, bis der Zyklop errichtet ist und nochmals fünfzehn Jahre, bis das ganze Innenleben installiert ist. Die Finanzierung des Projektes wird von den Tinguelys selbst geleistet. Um seine Erhaltung zu sichern, spenden sie das Werk 1987 dem französischen Staat. Als Jean Tinguely 1991 stirbt, übernimmt Niki de Saint Phalle die Vollendung. Die Eröffnung erfolgt im Mai 1994. Die Einweihung übernimmt der französische Präsident François Mitterrand.
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Méta-Harmonie 1. 1978. YouTube-Film.
Méta-Harmonie IV, 1985. Fatamorgana, Vimeo-Film.
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Die Méta-Harmonien mit Musik
Seine erste musikalische Maschine präsentiert Tinguely an der Hammerausstellung in Basel im Jahr 1978. Sie besteht aus zahllosen diversen Musikinstrumenten, Alltagsgegenständen und grossen Rädern. Die einzelnen Komponenten sind in einem Eisenrahmen befestigt. Die Musik ist das Ergebnis des kontrollierten Zufalls.
Fünf Jahre später greift Tinguely das Thema nochmals auf, für die Tokioter Warenhauskette Seibu. Es entsteht Pandämonium No. 1 «Méta-Harmonie 3» von 1984. In dieser werden nun auch noch Tierschädel eingebaut.
1985 folgt der vierte Streich. Die grösste Méta-Harmonie mit dem Titel Fatamorgana. Bei ihr steht mehr die Mechanik im Fokus. Die riesigen Räder beschafft sich der Künstler bei ausgedienten Holzgussmodellen der Firma Von Roll AG. Die «Fatamorgana» bewegt sich behäbiger und ihr Klang ist etwas dumpfer als bei ihren Vorgängerinnen.
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Tinguely und Saint-Phalle. Strawinsky-Brunnen Paris, 1982-83. |
Der Strawinsky-Brunnen in Paris
Vor dem Centre Pompidou steht und sprüht er. Der nach dem russischen Komponisten Igor Strawinsky benannte Brunnen besteht aus 16 beweglichen und wasserspeienden Einzelplastiken. Tinguely produziert schwarze Maschinenplastiken aus Eisen; Saint Phalle gestaltet bunte Fabelwesen und Nanas, ihre berühmten üppigen Frauenfiguren.
Man sagt, dass Tinguely den Auftrag nur unter der Bedingung angenommen habe, dass seine Gattin den Brunnen mitgestalten dürfe. Und als zweiten Grund soll er angegeben haben: «Ich hab’s gemacht, weil ich mich in Madame Pompidou verliebt habe». Was Herr Pompidou dazu gesagt hat, ist nicht überliefert.
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Tinguely. Der geknickte Turm im Giardino dei Tarocchi in Capalbio, Toskana. |
Niki de Saint Phalles Traum
Ab 1976 plant er zusammen mit seiner Gattin Niki de Saint Phalle den Giardino dei Tarocchi im toskanischen Capalbio. In einem ehemaligen Steinbruch bauen die beiden während Jahren an ihrem Kunst-Garten, der das Lebensziel von Niki de Saint Phalle ist.
Für die mächtigen Eisengerüste ist ein Team von Schweizern mit Tinguely, Rico Weber und Sepp Imhof zuständig, während sich Niki mit der Gestaltung der Figuren beschäftigt. Tinguely erlebt die Fertigstellung nicht, er stirbt 1991. Die Eröffnung findet erst 1998 statt.
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