Ausstellungsreihe «ReCollect!»

im Kunsthaus Zürich 2023

 

Hulda Zwingli
kämpft für Frauenkunst


Über Jahrhunderte hinweg wurden Künstlerinnen konsequent unterdrückt. Sie hatten keinen Zugang zu Kunstakademien. Und jene Frauen, die auf eigene Faust Kunst machen wollten, wurden nicht ernst genommen. So war die Stimmungslage noch vor gut hundert Jahren. Um es mit den Worten des damaligen Präsidenten der Gesellschaft Schweizerischer Maler und Bildhauer >Ferdinand Hodler zu formulieren: «Mer wei kener Wiiber».

 

Die Konsequenz dieser Ablehnung: In den Museen hängen viel mehr Werke von Männern als von Frauen.

 

Hulda Zwingli prangert dieses Missverhältnis an und weitet ihn auch gleich noch auf den öffentlichen Raum aus, wo ebenfalls nur männliche Kunst steht. Nun bietet das Kunsthaus Zürich Hulda Zwingli die Chance, dieses Thema museal zu behandeln und über ihre Protest-Aktionen zu berichten.

 

 

 

 

 


Tragen Hulda Zwinglis Aktionen bereits Früchte?

Sie wird es so sehen, denn seit ihrer Gründung 2019 boomen Ausstellungen mit Frauenkunst in der Schweiz richtiggehend. Hier eine Auswahl:

 

2019: >Miriam Cahn

2019: >Ida Ekblad

2019: >Helen Dahm

2020: >Ottilia Giacometti

2020: >Frauen erobern die Kunst

2020: >Ottilie Roederstein

2020: >Sophie Taueber-Arp

2021: >Kara Walker

2021: >Close Up Frauenpower

2022: >Meret Oppenheim

2022: >Gabriele Münter

2022: >Giorgia O'Keefe

2022: >Xenia Hauser

2022: >Niki de Saint Phalle

2023: >Katarina Grosse

2023: >Doris Salcedo

2023: >Käthe Kollwitz

 

Man kann es so sehen. Oder auch so: Hulda Zwingli

rennt heute mit ihren Protestaktionen offene Türen ein. Wie auch immer: Die Zeit der Frauenkunst ist jedenfalls angebrochen und blüht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ReCollect!

 

Was will die Ausstellung «ReCollect!» bewirken?

Es ist eine Einladung an Künstler:innen, mit Werken aus der Sammlung in einen Dialog zu treten und diese mit eigenen Ideen und Kreationen zu beflügeln.


Im Titel stecken aber auch die Ideen des

Re-Inszenierens (neue Raumgestaltung, neue Hängung), des Erinnerns (recollect) und des Wiederentdeckens von Werken und Geschichten rund um die Sammlung des Kunsthauses Zürich.

 

ReCollect! ist keine klassische Ausstellung, die sich mit einem bestimmten Thema oder mit bestimmten Künstler:innen befasst. Sie ist für vieles offen und
läuft auf unbestimmte Zeit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ReCollect! im Kunsthaus Zürich

 

Hulda Zwingli in einem fiktiven Selbstporträt nach einem Porträt des Zürcher Malers Hans Asper
(1499-1571).

 

 

Auf Instagram sieht sie manchmal so aus – dort hat sie als Influencerin über 3000 Follower.

 

 

Wer ist Hulda Zwingli?

 

Eine Kunstfigur, oder besser: ein Kunstkollektiv, genauer: ein Künstlerinnen-Kollektiv aus Zürich. Wer dahinter steckt, will frau nicht preisgeben, man möchte anonym bleiben und anonym handeln.

 

Das Ziel ist aber klar definiert: Das Künstlerinnen-Kollektiv will das Missverhältnis bei ausgestellten Werken von Männern und Frauen anprangern. Ganz besonders im Kunsthaus Zürich, aber auch im öffentlichen Raum.

 

Das anonyme Kollektiv wurde am 14. Juni 2019 gegründet, am Frauenstreiktag. Seither tritt es mit Instagram-Posts und mit regelmässigen Protest-Aktionen im öffentlichen Raum auf.

 

Wie kam der Name Hulda Zwingli zustande? Es ist eine Verbindung des Vornamens der Schweizer Kunstsammlerin und Wirtin des Restaurants Kronenhalle Hulda Zumsteg (1890-1984) und des Zürcher Reformators Zwingli (1481-1531).

 

 

>mehr über Huldrych Zwingli

 

 

 

Der unbekannten Künstlerin in Memoriam.

 

Protestaktion auf der Strasse.

 

 

Künstlerinnen stark untervertreten

 

Seit seiner Gründung 2019 kritisiert das Kollektiv das Kunsthaus Zürich dafür, dass Künstlerinnen in der Sammlung stark untervertreten sind.

 

Gemäss Angaben des Kunsthauses beträgt ihr Anteil tatsächlich nur etwa elf Prozent. Ohne auf die Gründe dafür einzugehen – Künstlerinnen hatten während Jahrhunderten keinen Zutritt zu Akademien – hat das Kunsthaus das Kollektiv Hulda Zwingli eingeladen, im Rahmen der Ausstellung ReCollect! seine Anliegen öffentlich zu machen und über seine Protestaktionen zu berichten.

 

Zudem durften die «Hulda-Zwinglianerinnen» das Depot des Kunsthauses durchforsten, um dort vielleicht bisher noch unbekannte Werke von Künstlerinnen zu finden. Hulda hat einige Werke gefunden.

 

>mehr in der Fotogalerie


 

«Do women in Zurich have to be naked to get into public space?»

 

 

Angelika Kauffmann
(1741-1807). Selbstporträt, 1784. Neue Pinakothek München.

 

 

Miriam Cahn (1949). Schauen, 2018. Ausstellung Kunstmuseum Bern.
 

 

Die Nackten im öffentlichen Raum

 

In diesem Punkt ist nicht ganz klar, wogegen sich der Protest des Hulda-Zwingli-Kollektivs richtet. Geht es gegen die Aufstellung von nackten Frauenfiguren im öffentlichen Raum – oder geht es darum, dass die Autoren dieser Skulpturen männlich sind?

 

Einiges spricht für Letzteres. Denn ursprünglich suchte Hulda Zwingli für die Ausstellung im Kunsthaus nach männlichen Akten (Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen) – aber von Frauen gefertigt. Es liessen sich aber keine solchen finden. Es gibt schlicht keine.

 

Das ist nicht weiter erstaunlich. Sogar an spezifischen «Frauenausstellungen» (Beispiele: >Frauen erobern die Kunst im Kunstmuseum Thurgau im Jahr 2020 oder >100 Jahre Frauenpower in Zürich, 2016) waren keine männlichen Akte von Frauen zu finden – weibliche Akte von Frauen hingegen schon.

 

Man darf sich also die Frage schon stellen,
wer dafür verantwortlich ist
, dass es Männerakte von Frauen schlicht nicht gibt. Die Schuld den Museen zuzuschieben, ist sicherlich unangebracht.

 

Der Grund für dieses Manko liegt auf der Hand: Über viele Jahrhunderte war es Frauen strikte verboten, männliche Akte zu zeichnen oder zu malen. Ein krasses Beispiel: Sogar als Mitglied der Royal Academy in London durfte die Schweizer Malerin >Angelika Kauffmann (1741-1807) nicht einmal den Zeichensaal der Akademie betreten, denn da wäre sie möglicherweise auf nackte Männer getroffen, die den (männlichen) Malern Modell standen.

 

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich das aber grundlegend geändert. Und heute haben Künstlerinnen wie >Marlene Dumas oder >Miriam Cahn keinerlei Erschwernisse mehr, wenn sie nackte Männer zeichnen oder malen möchten. Das tun sie auch ungehemmt – manchmal in Formen, bei denen man sich nicht wundern würde, wenn Zwinglianer (nicht Hulda) zu Protesten aufriefen.

 

 

   

Weitere Themen in der Ausstellung ReCollect!

 

Daniela Ortiz (1985). La tierra para quien la trabaja. Das Land gehört denjenigen, die es bearbeiten. Teppich, 2023.

 

Daniela Ortiz: Wem gehört das Land?

 

Diese Frage stellt sich die peruanische Künstlerin und gibt gleich auch die Antwort: Jenen, die das Land bebauen. Natürlich ist auch ihr klar, dass das nicht die Realität ist.

 

Ihr Kunstwerk – ein Teppich mit aufgesticktem Text «La tierra para quien la trabaja» – reflektiert den heutigen Zustand kritisch. Es sind multinationale Unternehmen, denen das Land nicht nur gehört, sondern die auch noch mit den darauf gewonnenen Produkten spekulieren. Ortiz' Werk ist als Spiel angelegt: Jeder Schritt auf dem Teppich (bitte ohne Schuhe!) bedeutet einen symbolischen Schritt zur Rückgewinnung von Land. Um es denen zu geben, die es bearbeiten.

 

Die aufgehängten Stickereien im Hintergrund zeigen Porträts von Priestern und Nonnen, die sich im Laufe der Jahrhunderte für die Rechte der Bauern und für Landreformen engagiert haben und dafür ermordet wurden. In der Mitte ist Camilo Torres zu sehen. Er war kolumbianischer Priester und ein Vorläufer der Befreiungstheologie, die sich mit ihrer Interpretation der Bibel gegen Entrechtung, Ausbeutung und Unterdrückung der Armen einsetzt.

 

 

 

Ida Ekblad (1980). Fries «Their heads are wide and their eyes are lidless», 2023.

 

Arnold Böcklin (1827-1901). Der Krieg, 1897.

 

Matias Faldbakken (1973). «The War enlarged», 2023. Der vergrösserte Krieg. Keramikkacheln.
 
 

 

 

Wo einst Monets Seerosen hingen...

 

In diesem Saal geht es um Werke, die bereits in der Sammlung des Kunsthauses sind. Zum Beispiel die >Rückenbronzen von Henri Matisse. Die norwegische Künstlerin Ida Ekblad (1980) und der dänische Künstler Matias Faldbakken (1973) zeigen nun von einer dieser Bronzeschalen die Rückseite. Interessant für Bronzetechniker.

 

In diesem Raum hing früher Claude Monets berühmtes «Bassin aux nymphéas, Le soir, 1916-22. Nun ist dort Ida Ekblads monumentaler Fries zu sehen, den die Künstlerin eigens für diese Ausstellung geschaffen hat. Sehr farbig, sehr abstrakt. Auch sein Titel «Their heads are wide and their eyes are lidless» ist ziemlich abstrakt. Vielleicht versteht man das besser, wenn man mehr über >Ida Ekblad liest?

 

Matias Faldbakken schliesslich nimmt sich das berühmte Gemälde von Arnold Böcklin vor: «Der Krieg» von 1897. Faldbakken habe «Böcklins Technik des Rasters und der Übertragung des Motivs übernommen, um eine grosse Version auf weissen Keramikfliesen zu erstellen» – heisst es im Begleittext. Die Kachelzeichnung sei keine Blaupause von Böcklins Originalmotiv, sondern eine «vergrösserte und entstellte Version». Allerdings.

 

Und weiter im Originaltext: «Ekblad und Faldbakken haben sich dafür entschieden, diese verschiedenen Positionen in einem Raum zu vereinen, um eindeutige konzeptionelle Schlussfolgerungen zu vermeiden. Ihr eklektischer Blick auf die Bestände des Kunsthauses driftet vielmehr in eine Richtung von Abstraktion – Abstraktion der Intention, Abstraktion der Erzählung, Abstraktion als eine Art umgedrehte Politik».

 

Vielleicht versteht das jemand – ich nicht.

 

 

 

 

Frauenkunst aus dem Depot des Kunsthauses