Ausstellung «Yayoi Kusama – Retrospektive».
Fondation Beyeler, Riehen-Basel.
12.10.25 bis 25.1.2026
Ihre «Polka Dots» sind zu Ikonen geworden. Sie sind charakteristisch für ihr künstlerisches Werk, spiegeln aber auch dramatische Erlebnisse in ihrer Kindheit wieder. Polka Dots malt die heute 96-jährige Japanerin immer noch, überall und endlos. Auf Papier, Leinwand, auf Skulpturen ...und in Rauminstallationen wie jetzt in der Fondation Beyeler in Riehen.
Yayoi Kusama (1929). >Self-Obliteration, 1967.
Ink on photograph by Harrie Verstappen.
Collection of the artist.
Warum malt Kusama wie versessen Punkte? Das hat
mit ihrer Kindheit zu tun. Halluzinationen in Form von Punktemustern sollen ihr erschienen sein, die Wände, Decke und ihren Körper verschlangen. Grund für diese Visionen waren traumatische Erlebnisse mit ihrer überstrengen Mutter und einem sexsüchtigen Vater. Daraus resultierten Depressionen und psychische Störungen, die sie ein Leben lang begleiten – bis heute. Das unendliche Malen von Punkten ist Teil der Therapie zur Überwindung ihrer Erkrankung.
Die 96-jährige Yayoi Kusama, 2025.
Yayoi Kusama wird 1929 in Matsumoto (Japan) als jüngstes von vier Kindern in eine wohlhabende Famiie geboren. Ihr Vater ist im Saatguthandel tätig. Schon als kleines Mädchen zeichnet sie Samen und Pflanzen. Ihre gestrenge Mutter versucht, sie davon abzuhalten. Im Elternhaus gibt es Probleme. Ihr sexsüchtiger Vater hat zahlreiche Affären und die Mutter verlangt von ihrer Tochter, dass sie ihn bespitzelt. Yayoi entwickelt psychische Störungen und eine tiefe Abneigung zur Sexualität.
1948 kann sie gegen den Widerstand ihrer Eltern in Kyoto ein Kunststudium beginnen. 1952 bekommt sie in ihrer Heimatstadt Matsumoto ihre erste Einzelausstellung.
1957 zieht sie nach New York, wo sie mit Künstlern wie Andy Warhol und Donald Judd in Kontakt kommt. Hier organisiert sie publikumswirksame Happenings wie Bodypainting-Festivals und Nacktperformances.
In den 1960er-Jahren wird sie zu einer Pionierin der feministischen Kunst. Ihre Skulpturen, die sie über und über mit Stoff-Penissen bedeckt, machen Furore. Viele Leute glauben, die Künstlerin sei sexbesessen – wahr ist das Gegenteil. Sie produziert Tausende von Stoff-Penissen als Therapie gegen ihre Phallophobie und ihren Ekel gegenüber Sex.
Yayoi Kusama (1929). Phallic Girl, 1967.
Moma Contemporary Co Ltd.
1973 kehrt sie nach Japan zurück. Wegen ihrer labilen psychischen Verfassung geht sie 1977 freiwillig in eine psychiatrische Klinik in Tokio, wo sie fortan lebt.
In den 1980er-Jahren beginnt sie, Romane zu schreiben. Sie weitet auch ihr künstlerisches Schaffen aus und ergänzt dieses in den 1990ern mit grossen Outdoor-Skulpturen. Nach der Jahrtausendwende entstehen ihre ikonischen Kürbisgemälde und -Skulpturen – auch diese dominiert von endlosen magischen Punkten.
Yayoi Kusama (1929). Pumpkin, 2009.
Museum Voorlinden, Wassenaar, NL.
Yayoi Kusama zählt zu den berühmtesten Künstler:innen Japans. Sie ist jetzt (2025) 96 Jahre alt, lebt in Tokio in einer psychiatrischen Klinik (frei gewählt) und ist auch im hohen Alter noch künstlerisch tätig. Die Fondation Beyeler ehrt ihr Lebenswerk nun mit der ersten umfassenden Retrospektive in der Schweiz.
Titelbild
Blick in den «Infinity Mirrored Room», den die
Künstlerin 2025 eigens für die Fondation Beyeler eingerichtet hat. Der Titel: «The Hope of the Polka Dots buried in Infinity will eternally cover the Universe» (Die Hoffnung der Polka Dots, begraben in der Unendlichkeit, wird das Universum ewig bedecken).
1957-Yayoi Kusama (1929). Nets and Sun, 1957. Private Collection Basel.
1991-Yayoi Kusama (1929). Pumpkin, yellow, 1991. Collection of the artist.
2025-Kugeln statt Punkte im Teich vor dem Museum der Fondation Beyeler.
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Punkte, Punkte, Punkte...
Sie sind das Markenzeichen der japanischen Künstlerin. Ikonische, sich ständig wiederholende Punkte. Ihre «Polka Dots» sind Sinnbild für Kusamas Auseinandersetzung mit ständiger Wiederholung, mit Mustern und Strukturen, die sie in ihrer Kindheit in Form von Halluzinationen verfolgt haben. Mit dem Malen von Punkten geht die Künstlerin gegen ihre psychischen Störungen an – als Therapie.
Punkte malt die heute 96-Jährige ein Leben lang –
Im Seerosenbecken vor dem Beyeler-Museum sind Kusamas Polka Dots in Form von schwimmenden Kugeln sichtbar. Es sind grosse, verchromte Kugeln, die wie Spiegel wirken und die Umgebung unendlich multiplizieren.
Eine ähnliche Installation präsentierte die Künstlerin schon 1966 an der Biennale von Venedig. Dort aber auf einer Wiese, die sie «Narcissus Garden» nannte. Bestückt mit 1500 silbern spiegelnden Kugeln.
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1952-Yayoi Kusama (1929). A Flower with Nets, 1952-1963. Collection of the artist.
1979-Yayoi Kusama (1929). Flower Blooming, 1979. Collection of the artist. |
Kusamas Freude an Blüten und Blumen
Ihre Beziehung zu Blüten, Blumen und Samen entstand nicht zufällig. Ihr Vater betrieb einen Saatguthandel. So kam Klein-Yayoi früh mit organischen Formen und Mustern aus der Natur in Kontakt. Daraus entstanden Motive, die sie schon in frühester Kindheit zeichnete und malte. «Ich verbrachte jeden Tag versteckt unter einem Tisch im Laden und bastelte Schachteln für die Samen», erzählt die Künstlerin über ihre Kindheit.
Die «Flower with Nets» enstand 1952, also im Jahr, in dem Kusama ihre erste Einzelausstellung in ihrem Geburtsort Matsumoto hatte. Dort konnte sie rund 200 Zeichnungen und Gemälde mit Naturmotiven wie Blumen, Pflanzen und Knospen präsentieren.
Ihr Vorname Yayoi passt gut in dieses «Blumenbild». Yayoi bedeutet im Japanischen den dritten Monat des alten Lunisolar-Kalenders, der etwa dem März entspricht und somit den Übergang zum Frühling symbolisiert.
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1962-Yayoi Kusama (1929). Accumulation of Globulars (No.B), 1962. Private Collection.
1962-Yayoi Kusama (1929). Accumulation of Globulars (No.B), 1962. Detail. Private Collection.
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Kusamas Zwang zu Wiederholungen
Kurz nach Kusamas Übersiedlung nach New York befasst sie sich mit der Serie Accumulations, in der es um serielle Wiederholungen von Sujets geht. Hier verwendet die Künstlerin industriell gefertigte, ovale Aufkleber, die sie dicht an dicht auf dem Bildträger arrangiert. Sie will damit keine Figuren oder Gegenstände bilden, sondern eine quasi-abstrakte Oberfläche erzielen, wie sie in der Minimal Art jener Zeit in den USA oft vorkommt. Die Globulars (Zellen, Keime, Samen) werden zum einfachen Modul, das sich durch Wiederholung im Muster auflöst. Erst aus der Nähe betrachtet, werden die einzelnen Module wieder sichtbar.
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1967-Yayoi Kusama (1929). Phallic Girl, 1967. Detail. Moma Contemporary Co.
1968-Yayoi Kusama (1929). Untitled (Dress), 1968. Collection of the artist.1976-Yayoi Kusama (1929). Ennui, 1976. Sewn stuffed fabric, silver paint. Detail. Takahashi Ryutaro Collection. |
Ängste vor Sex und Penissen
«Phallophobie» heisst das unter Fachleuten. Der Ausdruck steht für «Angst vor dem Penis» und im weiteren Sinne auch für Angst vor Sex generell. Yayoi Kusama erklärt ihre tief verwurzelte sexuelle Abneigung, ihre Ängste und Zwangsstörungen mit traumatischen Kindheitserfahrungen. Auslöser war ihr Vater, der offenbar sexbesessen war und oft fremd ging. Traumatisch auch, dass ihre Mutter von ihr verlangte, den Vater dabei zu bespitzeln. Alles Auslöser ihres Ekels und ihrer Ängste.
Kunst als Therapie gegen den Ekel
«Die Leute dachten, ich sei sexbesessen, weil ich so viele solcher Objekte machte, aber das ist ein vollständiges Missverständnis. Es ist genau umgekehrt: Ich begann, Penisse herzustellen, um meine Gefühle des Ekels gegenüber Sex zu heilen. Das wiederholte Reproduzieren der Objekte war meine Art, die Ängste zu besiegen».
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1967-Yayoi Kusama (1929). Self-Obliteration, 1967. Ink on photograph, Harrie Verstappen. Collection of the artist.
1967-Yayoi Kusama (1929). Self-Obliteration #3, 1967. Collection of the artist.
Detail.
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Self-Obliteration – was ist das?
Yayoi Kusamas Konzept der «Obliteration» stammt aus den 1960er-Jahren. (Obliteration = totale Auslöschung, Auflösung). Für die Künstlerin geht es um ihre eigene Selbstauflösung im optischen Sinn. Sie bedeckt Objekte, Räume und ihren eigenen Körper mit Punkten, um ihr Selbst in einem endlosen Punktemuster aufgehen zu lassen, es also gewissermassen aufzulösen.
In der Tate Modern London lässt sie 2012 die Besucher den Raum mit farbigen Stickern überkleben. Sticker überall, auf Wänden, Decke, Möbeln und Boden, bis der ursprünglich weisse Raum «verschwunden» ist. Oder: sich aufgelöst hat in einem endlosen Punkte-Muster.
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2025-Yayoi Kusama (1929). Infinity Mirrored Room. «The Hope of the Polka Dots buried in Infinity will eternally cover the Universe» 2025. Fondation Beyeler, Riehen.
Yayoi Kusama (1929). Infinity Mirrored Room, 2025.
2025-Yayoi Kusama (1929). Infinity Mirrored Room. Illusion inside the Heart, 2025. Fondation Beyeler, Riehen. |
Kusamas fantastische Rauminstallationen im Museum Beyeler
Sie hat ihrer Installation einen etwas sperrigen Namen verpasst: «Infinity Mirrored Room. The Hope of the Polka Dots buried in Infinity will eternally cover the Universe». Was will sie damit sagen?
Es ist Kusamas ewiges Thema mit der Symbolik ihrer Polka Dots und der Unendlichkeit. Der Titel drückt aus, dass «die Hoffnung, symbolisiert durch die Punkte, unendlich ist».
Geschaffen hat sie diese Rauminstallation speziell für ihre Retrospektive in der Fondation Beyeler. Das Resultat ist schlechthin überwältigend.
Eigentlich sind es zwei Räume, beide riesig und begehbar. Der erste Raum enthält schlangenartige Wesen – die (natürlich) die Handschrift der Künstlerin tragen: Sie sind über und über mit Polka Dots bedeckt. Das Begehen dieser Raumwelt ist ein einmaliges, eindrückliches Highlight.
Schon seit den 1960er-Jahren befasst sich Kusama mit Spiegelräumen. Ein solcher ist Kusamas zweiter Raum im Museum Beyeler. Er trägt den Namen «Illusion inside the Heart». In diesem Raum – mächtig wie eine Kathedrale – verwirren zahllose Spiegel das Auge der Besucher:innen und vermitteln die Illusion von unendlichen Wiederholungen. Man torkelt und sieht alles mehrfach – alle Skulpturen, Menschen und auch sich selbst.
In diesem Spiegelraum möchte die Künstlerin das Publikum einladen, über die menschliche Existenz zu meditieren – und zwar im Verhältnis zur kosmischen Unendlichkeit. Aber das hört sich leichter an, als es ist. Erstens sind in dieser verspiegelten Welt die Ablenkungen zu gross, und zweitens fehlt die Zeit für eine Meditation, denn der Ansturm der Besucher ist riesig und die Zeit knapp.
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