«MOVING FOCUS» heisst die Ausstellung. Was verbirgt sich hinter diesem Titel? Es geht um David Hockneys Einstellung zum Leben und zur Kunst: Stets in Bewegung bleiben, die Dinge ständig aus neuen Perspektiven betrachten und sich Veränderungen anpassen. «Das gilt auch für Künstler», sagt er selbst. «Es braucht alle Arten von Künstlerinnen und Künstlern, denn alle betrachten das Leben aus einem anderen Blickwinkel».
Ausstellungsplakat Luzern
Was an dem heute 85-jährigen Künstler verblüfft, ist seine Begeisterung für neue Technologien. Stets ist er auf dem neuesten Stand und bereit, auch im hohen Alter alles auszuprobieren, was gerade neu auf den Markt kommt. Als er in den 1950ern sein Kunststudium in der Bradford School of Art und im Royal College of Art absolviert, da ist sein Werkzeug noch der Pinsel. Aber schon bald experimentiert er auch mit der Fotografie, entdeckt den Reiz der Sofortbildkamera von Polaroid für Collagen. Dann kommt der Fotokopierer auf den Markt. Auch mit diesem lässt sich Kunst machen, genauso wie später mit der «neuesten technischen Errungenschaft», dem Faxgerät.
David Hockney (geb. 1937) um 2018.
Foto Rineke Dijkstra. Aus Ausstellungs-
katalog Moving Focus, 2022.
Auch zu Beginn des Computerzeitalters fühlt er sich für die neue Technologie nicht zu alt. Und als ab 2007 das iPhone und das iPad Furore machen – da ist Hockney immerhin schon siebzig – nimmt er sich auch dieser neuen Spielerei sofort an und malt digitale Werke. In der Folge arbeitet er sich durch die ganze Palette des digitalen Angebotes und bleibt stets auf dem neuesten Stand. Wie sagt er doch selbst: «Man muss flexibel sein und sich den neuesten Veränderungen ständig anpassen.»
Das Buch zur Ausstellung
David Hockney einen bestimmten Stil zuzuordnen, ist gänzlich unmöglich. Dafür ist seine Neugier zu gross, er muss zeitlebens Neues ausprobieren. Und das tut er auch im hohen Alter noch – man darf gespannt sein, was da alles noch kommt.
David Hockney (1937).
An Image of Celia, 1984-86.
Tate London.
Titelbild (Ausschnitt)
David Hockney (1937).
Man in Shower in Beverly Hills, 1964.
Tate London.
David Hockney (1937). The Perspective Lesson, 1984. Tate London.
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Gibt es die richtige Perspektive?
Der Titel der Ausstellung «Moving Focus» (etwa «sich wandelnder Blickwinkel») thematisiert diese Frage. Im Leben ist die Anwort darauf komplex, in der Kunst hingegen ist die Sache klar: Das Mass aller Dinge ist die Zentralperspektive, die von Künstlern der Renaissance geschaffen wurde und die seither für alle verbindlich ist. Für alle?
Hockney sieht das anders. In seinem Bild «Perspective Lesson» von 1984 macht er klar, was er damit meint: Man darf es auch anders sehen. Im oberen Teil ist ein Stuhl in der «richtigen Perspektive» zu sehen. Den streicht der Künstler aber als falsch durch. Er bevorzugt dagegen die untere Variante – die offensichtlich falsche. Für ihn fühlt sich diese Version richtig an.
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David Hockney (1937). Tea Painting in an Illusionistic Style, 1961. Tate London. |
1960: Picassos Einfluss
Hockney besucht 1960 die Picasso-Ausstellung in der Tate London und erkennt, dass eigentlich kein Künstler einem einzigen Stil zuzuordnen ist. Er stellt fest, dass auch Picasso zahllose Malstile und verschiedene «Epochen» durchlaufen hat. Nach dieser Erkenntnis beginnt er zu experimentieren.
Sein Werk Tea Painting versteht er als Parodie auf den abstrakten Expressionismus. Hintergrund: «Tearooms» waren öffentliche Toiletten, die von Männern aufgesucht wurden, um Sex zu haben. Hockneys Teebeutel-Schachtel ist eine Annäherung an diese intimen geschlossenen Räume.
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David Hockney (1937). Serie A Rake's Progress, 1961-63. 1-The Arrival. Tate London. |
1961: New York – A Rake's Progress
Die ersten Ausstellungserfolge ermöglichen dem Künstler eine Reise nach New York. Diese dokumentiert er in der Zeichnungsserie «A Rake's Progress» (Werdegang eines Wüstlings), inspiriert von William Hogarths gleichnamigem Bildzyklus von 1732-34. Hockney erzählt seine eigene Geschichte als jungem, schwulen Künstler in New York. Die aus 16 Blättern bestehende Serie spiegelt seine Eindrücke der Grossstadt und zeigt Trinkgelage, Gospelkonzerte, Wahlkampf, Tod, Liebesszenen etc.
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David Hockney (1937). California Copied From 1965 Painting in 1987. Los Angeles County Museum of Art. |
1964: Neue Perspektiven in Kalifornien
Den «Moving Focus» überträgt der Künstler auch auf sein Leben. Im England der 1960er-Jahre ist die Homosexualität ein Tabu – deren Ausleben sogar strafbar. Also verändert der junge Hockney seinen Blickwinkel und zieht 1964 nach Kalifornien. Hier kann er so leben und arbeiten, wie er es möchte.
Ab 1964 entstehen in Los Angeles seine berühmten Werke von nackten Liebhabern im und rund um den Swimmingpool. >mehr
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David Hockney (1937). Kavafis Gedichte, Zeichnungsserie 1966. «The Beginning». |
1966: Homoerotische Zeichnungen
1966 macht sich Hockney daran, die Gedichte des griechischen Autors Konstantinos Kavafis zu illustrieren und thematisiert in seiner freizügigen Zeichnungsserie die homosexuelle Liebe.
Diese Serie, veröffentlicht in Buchform, hat in England Nachwirkungen bis ins Jahr 1988. Man hält Hockney den Paragrafen 28 unter die Nase, der es verbietet, «Homosexualität in ein positives Licht zu rücken». Der Künstler lässt sich das nicht bieten, er erhebt Einspruch gegen diese «Bedrohung der menschlichen Freiheit». Was aber mehr bringt als der Einspruch, ist seine Drohung, die 1988 geplante Retrospektive in der London Tate abzusagen. «Wenn mein Buch nicht ausgestellt werden darf, dann werde ich in England nie mehr ausstellen», droht er.
>Sechs Zeichnungen der Serie (PDF)
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David Hockney (1937). Mr and Mrs Clark and Percy, 1970-71. Tate London.
David Hockney (1937). My Parents, 1977. |
1970: Die Ikonen in der Tate Britain
Kurz nach der Fertigstellung dieses naturalistischen Gemäldes in Acryl kauft es ihm die Tate Britain ab. Bis heute ist es im Museum eines der meist beachteten Werke Hockneys – eine echte Ikone. Es zeigt den Modeschöpfer Ossie Clark und die Textil-Designerin Celia Birthwell im Schlafzimmer ihrer Wohnung. Das Werk beeindruckt vor allem durch die raffinierte Gegenlichtwirkung.
1977: My Parents
Für dieses grossformatige Doppelportrait seiner Eltern kehrt der Künstler zur Ölfarbe zurück. Es zeigt sie als Paar, das sich offenbar nicht mehr viel zu sagen hat. Um das auszudrücken, arbeitet Hockney mit viel Leerraum und zeigt die beiden isoliert und in sich gekehrt. Obwohl die elterliche Beziehung nicht ohne Probleme ablief, soll sie stabil gewesen sein.
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David Hockney (1937). Hotel Acatlan, Two Weeks Later, 1985. Tate London.
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1985: Der Panoramablick
Mit einer Gruppe von grossformatigen Interieurs und Landschaften erweitert Hockney seine Idee vom «Moving Focus» in Richtung Panorama. Sein Werk Hotel Acatlan kann man als Betrachter förmlich durchwandern. |
David Hockney (1937). Bigger Trees Near Warter, 2007. Tate London. |
2007: Das Geschenk zum 70. Geburtstag
«Bigger Tree Near Warter Or/Ou Peinture Sur le Motif Pour le Nouvel Age Post-Photographique» lautet der etwas sperrige Titel seinen grössten Gemäldes. Er schenkt es zum Anlass seines 70. Geburtstages der Tate London.
Es besteht aus 50 Einzeltafeln und misst 4.5 x 12 Meter. Zu sehen ist eine typische Yorkshire-Landschaft vor Frühlingsbeginn. Hockney nutzt für die Erstellung digitale Hilfsmittel, um die einzelnen Elemente fotografisch festzuhalten und die Entwicklung des Gesamtbildes nachverfolgen zu können.
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David Hockney (1937). Im Studio in Los Angeles, digitale Collage, 2017. Tate London.
Ausschnitt mit dem 80-jährigen Künstler.
Fra Angelico-Detail: Die Verkündigung |
2017: Die digitale Collage aus dem Atelier
Auch dieses monumentale Panorama schenkt der Künstler der Tate London – diesmal zu seinem
Die digitale Panoramafotografie zeigt den Künstler inmitten seiner alten und neuen Werke in seinem Atelier in den Hollywood-Hills in Los Angeles.
Dabei sind auch Kopien von Klassikern aus der Renaissance wie zum Beispiel die «Verkündigung» von >Fra Angelico, die dieser 1442 gemalt hat. Es ist eine aus 3000 Bildern zusammengefügte Fotokomposition.
Hockney liefert folgenden Text dazu: «Das Auge ist in ständiger Bewegung. Bewegt es sich nicht, ist man tot. Die Perspektive verändert sich, je nachdem, wie ich etwas ansehe. Das heisst, sie verändert sich laufend. Wenn man im richtigen Leben sechs Menschen anschaut, gibt es tausend Perspektiven».
Damit schliesst er den Kreis zum Thema der Ausstellung Moving Focus – und seine Perspektiven dürfen und werden sich noch weiter verändern.
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>Fotos Hockney-Ausstellung «Moving Focus»
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>Hockney-Ausstellung 2017 Tate London | |