Wie kam es, dass die französischen Modernen
am Ende des 19. Jahrhunderts von der japanischen Kunst so begeistert waren? Sie fanden in den farbigen Holzschnitten aus Asien neue Ausdrucksformen, mit denen sie den bisher verfolgten Kurs der klassisch-akademischen Bildsprache ablösen oder ergänzen konnten. Sie waren fasziniert vom zweidimensionalen flächigen Bildaufbau, von den neuen Ornamenten und vom bewusst frei gelassenen Weissraum in den Holzschnitten.
Ausstellungsplakat.
«Alles und Nichts» – was heisst das? Es ist eine Anlehnung an die buddhistische Philosophie, wonach in der formlosen Leere die Dualismen der sichtbaren Welt aufgehoben sind. Diese Lehre sagt aus, dass es keinen Gegensatz zwischen Geist und Körper, zwischen Gott und der Welt gibt, sondern alles eins ist. Die Leere, oder eben das NICHTS, beinhaltet demnach immer auch ALLES.
Vor allem der französische Künstler Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901) war von der japanischen Kunst begeistert und liess sich von den Farbholzschnitten aus Asien beeinflussen. Ihm gefiel auch das Lebensmotto der Ukiyo-e-Künstler, die ihre Motive in der Welt der Bordelle fanden – genau so wie er selbst im Nachtleben von Montmartre. Seine berühmten Plakate mit den flächigen Farben sind Zeugen davon.
Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901).
Femme au tub, Blatt 4 der «Elles-Mappe», 1896. Kunsthaus Zug, Stiftung Sammlung Kamm.
Auch Edouard Manet (1832-1883) und Claude Monet (1840-1926) übernahmen Stilemente der japanischen Malerei für Porträts und Landschaften. Monet entwarf sogar seinen Wassergarten in Giverny im japanischen Stil. Dort entstanden seine berühmtesten Werke: die Monumentalgemälde mit dem Seerosenteich.
Vincent van Gogh (1853-1890) lernte die japanischen Holzschnitte in der Galerie seines Bruders Theo kennen. Er kopierte etliche davon, liess aber den neuen japanischen Stil auch wiederholt in seine eigenen Arbeiten einfliessen.
Auch der Schweizer Grafiker Félix Vallotton (1865-1925) und der tschechische Plakatgestalter Alfons Mucha (1860-1939) sowie der Star des Wiener Jugendstils Gustav Klimt (1862-1918) oder auch Egon Schiele (1890- 1918) liessen sich vom japonistischen Stil inspirieren.
Ohara Koson (1877-1945).
Vogel und Weinranken, 1900-1912.
Historisches Museum St. Gallen.
Kitagawa Utamaro (1753-1806). Surimono (=Drucksache) einer Schönheit mit Nachtigall,
1800. Historisches Museum St. Gallen.
Hishikawa Sori III (aktiv 1797-1813).
Aus dem Buch «Spiegel mit 36 Handwerkern»,
1803. Detail. Historisches Museum St. Gallen.
Titelbild (Ausschnitt)
Utagawa Hiroshige (1797-1858).
Kawasaki. Das Dorf Namamugi am
Tsurumi Fluss, 1855.
Historisches Museum St. Gallen.
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Utagawa Kuniyoshi (1798-1861). Braut bei der Ankleide, 1845. Historisches Museum
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Japonismus – was ist das?
Man versteht darunter den Einfluss der japanischen Kunst auf die Künstler der westlichen Welt. Vor allem bei den französischen Modernen ab 1870 lösten die japanischen Farb-Holzschnitte eine Welle der Begeisterung aus. Besonders beliebt waren die Ukiyo-e, die in der Edo- Zeit gefertigt wurden.
Als Edo-Zeit (auch Tokugawa-Zeit) bezeichnet man den Abschnitt der japanischen Geschichte von 1603 bis 1868, in der die Tokugawa-Shogune herrschten. Edo ist der historische Name der japanischen Hauptstadt, das heutige Tokio.
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Farb-Holzschnitt von Utagawa Hiroshige (1797-1858). Kawasaki. Das Dorf Namamugi am Tsurumi Fluss, 1855. Historisches Museum
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Was bedeutet Ukiyo-e?
Ein Sammelbegriff für die japanische Druckgrafik. Genauer: für Farb-Holzschnitte, in der das unbeschwerte Leben dargestellt wurde. Vornehmlich weibliche Schönheiten und Erotik, Sumo-Ringer und Schauspieler, aber auch Fauna, Flora und Landschaften. Der Begriff Ukiyo-e bedeutet übersetzt etwa «Bild der schwebenden Welt».
Das «e» im Begriff steht für «Bild»; ukiyo heisst auch «irdische Welt». Ukiyo-e löste die bisher bevorzugten Darstellungen des Jenseits ab und steht auch für «Lebe jetzt und geniesse das Leben».
Ukiyo-e-Holzschnitte waren beliebt und preisgünstig. Tausende von Künstlern fertigten bis zum Ende der Edo-Zeit im Jahr 1868 Millionen von Farb-Holzschnitten. In Europa wurden diese Drucke ab 1870 zu einer Quelle der Inspiration für die Künstler der Moderne.
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Katsushika Hokusai (1760-1849). Die grosse Welle vor Kanagawa, 1829-30. Historisches Museum
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Eine Ikone des Farb-Holzschnittes
Das wohl bekannteste Werk von Katsushika Hokusai. Es stammt aus einer Serie von 36 Ansichten des Berges Fuji. Allerdings ist hier der Berg nur klein im Hintergrund zu sehen.
Hauptmotiv ist eine gewaltige Tsunami-Welle, die eine Reihe von Fischerbooten bedroht. Der japanische Künstler arbeitete mit einer räumlichen Perspektive, wie man sie von den europäischen Malern kennt. |
Kikugawa Eizan (1787-1867). Masagoji aus dem Tsuruya, 1810. Historisches Museum |
Modisch gekleidete Kurtisanen
Der Maler und Hersteller von Farb-Holzschnitten Kikugawa Eizan ist berühmt für Darstellungen von schönen Frauen (bijin-ga). Diese nehmen innerhalb der ukiyo-e-Bilder eine besondere Stellung ein.
Eizan ging es aber nicht nur um die Schönheit der Frauen, sondern vor allem auch um Mode und um vergnügliche Zeitvertriebe. Bordelle spielten dabei eine gewichtige Rolle. Der Künstler zeigt in seinem Holzschnitt eine prächtig und aufwändig gekleidete Kurtisane im Bordellviertel Shin-Yoshiwara.
>mehr über die Technik des Holzschnittes
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Torii Kotondo (1900-1976). Junge Frau beim Haare kämmen, 1929. Historisches Museum
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Zu nackt und zu provokant
Torii Kotondo (1900-1976) gehört zu den modernen Künstlern Japans. Er machte sich einen Namen mit der Darstellung von jungen Frauen im Stil der Shin-hanga («Neue Drucke»), die Anleihen bei den westlichen Künstlern machte, wo ja Akte gang und gäbe waren.
In Japan kamen Akte nicht gut an. Dieses Werk, das «Kamisuki» (Haare kämmen) heisst, wurde von den japanischen Behörden als zu provokant befunden und verboten. Von den 100 fertigen Drucken wurden dreissig vernichtet. Das Gute daran: Siebzig Drucke haben überlebt – einer davon im Museum in St. Gallen.
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Westliche Künstler – japanisch inspiriert |
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Ilya Kabakov (1933). «Am Rande 2», 1974. Kunsthaus Zug.
Ausschnitt aus dem Gemälde von Ilya Kabakov (1933) «Am Rande 2», 1974.
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Weissflächen extrem interpretiert
Die für die japanischen Holzschnitte typischen Weissflächen interpretiert der russische Maler und Konzeptkünstler Ilya Kabakov in exstremster Form: Er bemalt nur die Ränder und lässt den gesamten Innenraum weiss. Damit will er darauf hinweisen, dass es noch Anderes, Unbekanntes gibt, das den Freiraum für die Fantasie öffnet.
Kabakov war in der Sowjetunion als Illustrator für Kinderbücher tätig. Die Serie der verbotenen Werke «Am Rande» malte er in seinem geheimen Atelier in Moskau. Er ging nicht davon aus, dass sie je ausgestellt würden – dafür waren sie zu gross, sie passten nicht durch die Türe. Schliesslich fanden sie ihren Weg nach draussen doch noch – durch das Dachfenster. In Bern konnten sie 1985 an der ersten Einzelausstellung Kabakovs gezeigt werden – der Künstler selbst durfte damals noch nicht aus der Sowjetunion ausreisen.
1988 emigrierte Kobakov dann in die USA. Er lebt und arbeitet mit seiner Frau Emilia in New York und stellt auch in Japan aus. 2008 verlieh der japanische Kaiser dem Künstlerpaar den «Praemium Imperiale», die höchste Auszeichnung für Kunst.
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Roman Opalka (1931-2011). Opalka 1965/1, Detail 3353470-3367853. Kunsthaus Zug, Stiftung Sammlung Kamm.
Nahaufnahme der weissen Zahlen. |
Von der Sinnlosigkeit des Lebens
Noch eine japanisch inspirierte, leere Weissfläche? Nicht doch. Der 1931 in Frankreich geborene Pole Roman Opalka schuf ein wahrhaft verrücktes Werk: Ab 1965 malte er bis zu seinem Tod im Jahr 2011, also 46 Jahre lang (!), nichts als Zahlen. Sein erstes Werk heisst «1965/1 bis unendlich».
Auf einer fast zwei Meter grossen Leinwand (196 x 135 cm) mit dunkelgrauer Grundierung malte er weisse Zahlen. Die Zahl 1 in der linken oberen Ecke und dann fortlaufend von links nach rechts...bis die Leinwand voll war. Ab 1972 begann er, die Hintergründe aufzuhellen – jede folgende Leinwand enthielt 1% mehr Weiss. So wurden die Gemälde immer heller. In 46 Jahren Jahren – bis zu seinem Tod – schaffte er 233 Leinwände – die der Künstler «Detail» nannte.
Das Exemplar im Kunsthaus Zug gehört der Sammlung Kamm und enthält die Zahlen 3'353'470 bis 3'367'853. Die letzte Zahl, die Opalka vor seinem Ableben malte, war die 5.607.249.
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Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901). Frontispice d'«Elles», 1896. Kunsthaus Zug, Sammlung Kamm. |
Toulouse-Lautrec's Flair für Japanisches
Der französische Künstler war von der japanischen Kunst fasziniert. In Toulouse-Lautrec's Arbeiten zeigt sich der japanische Einfluss (>Japonismus) sehr gut: Er malt flächig, verzichtet auf Modellierung und Schattenbildung, ebenso auf perspektivische Tiefe. Auch die «weisse Leere» übernimmt er teilweise von den japanischen Holzschnitten.
Mit seinem Kunsthändler tauschte er eigene Werke gegen Holzsschnitte von Hokusai, Hiroshige, Utamaro, Toyokuni, Kiyonanga und Harunobu aus und besass eine grössere Sammlung erotischer Drucke (shunga).
Toulouse-Lautrec sammelte auch selbst japanische Objekte wie Rollbilder und Waffen. Mit Van Gogh fachsimpelte er über die asiatische Malerei und bestellte seine Pinsel und Tuschen in Japan.
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Fotos Ausstellung
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