Nationalheld Wilhelm Tell
in Kunst und Legende


Natürlich weiss man das: Wilhelm Tell hat nie gelebt. Unser «Nationalheld» ist eine fiktive Figur, erfunden von
einem deutschen Dichter. Friedrich Schiller. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich musste Schiller weder die Figur noch die Story erfinden – die gab es schon. Schillers Verdienst ist es aber, die Geschichte zu einem Drama verarbeitet zu haben. Sein Stück «Wilhelm Tell» – uraufgeführt 1804 – wurde zum Renner und machte Tell auf der ganzen Welt zum Helden.

 

 

Das Tell-Denkmal von Richard Kissling
(1848-1919) auf dem Rathausplatz von
Altdorf. Eingeweiht am 28. August 1895.

 

 

 

Tells Apfelschuss ist Teil des Gründungsmythos der Eidgenossenschaft. Und die Ermordung des verhassten Landvogtes Hermann Gessler mit dem berühmten «zweiten Pfeil» steht symbolisch für die Auflehnung gegen tyrannische Herrschaften.

 

Tells mutige Taten haben nur einen Haken:
Sie haben nie stattgefunden. Und schon gar nicht in der Schweiz. Denn das Original der Geschichte spielt in Dänemark und ist (natürlich) auch eine Legende.

Niedergeschrieben wird diese etwa um 1200 von einem gewissen Saxo Grammaticus. In seiner Geschichte «Gesta Danorum» («Taten der Dänen») kommt alles schon vor, was man sich später über Wilhelm Tell erzählen wird – inklusive Apfelschuss vom Kopf des Knaben. Und inklusive zweitem Pfeil, den sich der Held aufspart, um damit «Gessler» zu töten. Bei Saxo ist es König Harald Blauzahn.

 

Der Kern der dänischen Erzählung wird dann von Schweizer Chronisten des 15. Jahrhunderts zur Ausschmückung der eidgenössischen Befreiungssage verwendet. Die Heldenfigur Wilhelm Tell wird erstmals 1472 erwähnt: im so genannten «Weissen Buch von Sarnen». Diese Chronik stammt vom Obwaldner Landschreiber Hans Schriber.

 

Ein weiterer bedeutender Chronist ist der Luzerner Petermann Etterlin (1450-1509), der um 1507 das «Chronicon Helveticum» veröffentlicht. In diesem wird die Geschichte der Schweiz von den legendären Anfängen 1291 bis in die Gegenwart Etterlins erzählt. Hier bringt Etterlin auch die Tell-Saga unter, die in wesentlichen Punkten der Geschichte von Saxo entspricht.

 

Auch im «Bundeslied» von 1477 kommt Tell vor.
Dieses reflektiert den starken Freiheitsgedanken der Eidgenossen und wird bei offiziellen Anlässen gesungen. Das Lied trägt dazu bei, ein kollektives nationales Bewusstsein unter den Eidgenossen zu fördern.

 

Tellsgeschichten werden noch von weiteren Schweizer Chronisten erzählt: Von Melchior Russ, 1507; Aegidius Tschudi, 1570; Josias Simler, 1576; Johann Gottfried Gregorii, 1729.

 

Um 1760 herum kommen aber Zweifel auf, ob sich der Held historisch überhaupt nachweisen liesse. Der Berner Pfarrer Uriel Freudenberger stellt die These auf, es handle sich beim schweizerischen Wilhelm Tell nur um die Nachdichtung einer Episode aus den «Taten der Dänen» des Saxo Grammaticus. Doch aus Angst vor den historischen Auswirkungen veröffentlicht er seine gewagte These nur anonym (!). Diese wirft deshalb
keine grossen Wellen. Tell bleibt der Held.

 

So richtig zum Leben erweckt ihn dann der deutsche Dichter Friedrich Schiller, der 1804 mit seinem Drama «Wilhelm Tell» den Freiheitshelden berühmt macht. Das Stück wird am 17. März 1804 im Weimarer Hoftheater uraufgeführt. Dann erobert es die ganze Welt.

 

 

Wie Hans Erni (1909-2015) den Freiheits-
kämpfer Wilhelm Tell sah. Gemälde von

1953. Hans Erni-Stiftung Luzern.

 

 

Der Bildhauer Richard Kissling (1848-1919)

in seinem Atelier mit dem Tell-Denkmal,
das 1895 in Altdorf eingeweiht wird.

>Fotoquelle ETH Zürich.

 

 

Franz Niklaus König (1765-1832).

Tellskapelle am Vierwaldstättersee, 1810.

Kunstmuseum Bern.

 

Sogar Salvador Dalì hat Wilhelm Tell ein
Werk gewidmet. Was er mit diesem Bild
ausdrücken will, weiss nur er selbst.
Salvador Dalì (1904-1989). Guillaume Tell,
1930. Centre Pompidou, Paris.

 


 

Titelbild (Ausschnitt)

Ferdinand Hodler (1853-1918).
Wilhelm Tell, 1897.
Kunstmuseum Solothurn.

 

 

 

 

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Friedrich Schillers Drama «Wilhelm Tell» von 1804

 

Friedrich Schiller (1759-1805) im Alter von 27 Jahren.
Porträt von Anton Graff (1736-1813), 1786. Kunstmuseum Dresden.

 

 

Friedrich Schiller um 1859. Von Friedrich Pecht (1814-1903), Stich von Johann Raab. Foto Schiller Galerie.

 

 

 

Schiller-Denkmal in der Taunusanlage in Frankfurt am Main. Von Johannes Dielmann (1819-1886), 1864. 

 

Wer waren Friedrich Schillers Quellen?

 

Es ist nicht bekannt, ob Schiller Kenntnisse der «Urfassung» des Apfelschusses des Dänen Saxo Grammaticus in der «Gesta Donarum» («Taten der Dänen») aus dem Jahr 1200 hatte.

 

Wahrscheinlicher ist, dass sich der deutsche Dichter auf den Schweizer Chronisten Aegidius Tschudi stützte, den Autor von «Chronica Helvetica», die 1572 veröffentlicht wurde. In Frage kommt aber auch Petermann Etterlins «Chronicon Helveticum» von 1507. Und ebenso die «Geschichte der Schweizer» des Schaffhauser Geschichtsschreibers Johann von Müller von 1788.

 

Sicher ist: Schiller hat Müllers Werk gelesen, denn im letzten Akt seines Dramas «Wilhelm Tell» wird genau dieser Müller erwähnt: «ein glaubenswerther Mann, Johannes Müller bracht’ es von Schaffhausen».

 

Am 17. März 1804 wird Schillers «Wilhelm Tell» im Weimarer Hoftheater uraufgeführt.

 

 

Tell wird zur internationalen Legende

 

Dank Schillers Drama von 1804 erlangt Wilhelm Tell internationale Anerkennung. Es wird zu einem der bekanntesten Werke der deutschen Literatur.

 

Hauptgrund für die rasche Verbreitung ist vor allem Schillers Berühmtheit – als Verfasser legendärer Stücke wie «Die Räuber» oder «Maria Stuart». Zudem ist auch die Zeit reif für solche Themen wie Kampf um persönliche Freiheit, Gerechtigkeit und allgemeine Menschenrechte. Es ist die Epoche der >französischen Revolution und politischer Bewegungen, die sich vornehmlich gegen feudale Systeme richten.

 

Schillers «Wilhelm Tell» wird in unzählige Sprachen übersetzt: Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch, Chinesisch, Japanisch... und viele mehr. Jede Übersetzung und jede Theater-Aufführung trägt zur Verbreitung bei.

 

Die Verbreitung der Freiheits-Legende führt zu lokalen Anpassungen und Interpretationen von Tells Geschichte. Deshalb ist Wilhelm Tell heute nicht nur in der Schweiz, sondern auch in vielen weiteren Ländern ein Symbol des Widerstandes gegen tyrannische Obrigkeiten.

 

 

Wie der dänische Illustrator Louis Maria Moe (1857-1945) seinen Saxo Grammaticus sieht.

 

 

Der Bogenschütze Palnatoki. Von Jenny Nyström (1854 - 1946), 1895.
Veröffentlicht in «Ekermann», 1895, Stockholm.

 

Die dänische Urfassung vom Apfelschuss

 

Saxo Grammaticus war ein dänischer Geistlicher und Historiker des frühen 13. Jahrhunderts, bekannt für sein umfangreiches Werk Gesta Danorum («Taten der Dänen»). Saxo verfasste eine monumentale Geschichte Dänemarks, die sowohl historische als auch mythische Erzählungen enthält.

 

«Gesta Danorum» besteht aus sechzehn Büchern und erzählt die Geschichte Dänemarks von der Vorzeit bis in das späte 12. Jahrhundert. Eines dieser Bücher weist bemerkenswerte Parallelen zur Apfelschuss-Episode des Wilhelm Tell auf.

 

Saxo lebte etwa von 1150 bis 1220. Den Beinamen «Grammaticus» gab man ihm, weil er in seinen Schriften ein so geschliffenes und perfektes Latein verwendete.

 

Bei Saxo heisst der Bogenschütze Palnatoki (oder kurz Toko) und sein Gegenspieler ist der dänische König Harald Blauzahn. Alles läuft fast gleich ab wie beim Armbrustschützen Tell. Auch hier verlangt der König von seinem Helden, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schiessen. Saxo sieht aber in Toko keinen Widerstandskämpfer gegen einen Tyrannen wie bei Tell, sondern er lässt seinen Helden eine persönliche Mutprobe bestehen.

 

Der berühmte «zweite Pfeil» kommt aber auch schon bei Saxo vor. Sollte Toko den Apfel verfehlen und seinen Sohn verletzen, so würde er den König mit dem zweiten Pfeil töten. Nicht weil dieser ein Tyrann ist, sondern weil Toko es als ungerecht empfindet, dass ihm der König den Auftrag zu diesem gefährlichen Apfelschuss erteilt.

 


   

Kurzfassung der Tell-Legende von Petermann Etterlin, 1507.

 

Ferdinand Hodler (1853-1918). Wilhelm Tell, 1897. Kunstmuseum Solothurn.

 

Claude Lalanne (1924-2019).
La Pomme de Guillaume Tell, 2004. Bronze. Skulpturenpark Gianadda Martigny.

 

Jean-Léonard Lugardon (1801-1884). Wilhelm Tell im Sturm, 1834. Bundesamt für Kultur, Bern.

 

Tells legendärer Apfelschuss

 

In Etterlins Tell-Legende von 1507 lässt der habsburgische Landvogt Gessler in Altdorf einen Hut auf eine Stange stecken und befiehlt seinen Untertanen, diesen jedes Mal zu grüssen, wenn sie an ihm vorübergehen.

 

Wilhelm Tell, ein rundum bekannter Armbrustschütze, verweigert dem Hut den Gruss. Der Vogt befiehlt ihm daraufhin, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes Walter zu schiessen.

 

Tell tut wie ihm befohlen und trifft den Apfel. Nun fragt ihn der Vogt, wozu er sich einen zweiten Pfeil genommen habe. Tell antwortet: «Wenn ich mein Kind getroffen hätte, wäre dieser für DICH bestimmt gewesen!». Der Vogt lässt Tell fesseln und auf seine Burg nach Küssnacht überführen.


Auf dem Vierwaldstättersee bringt ein Sturm das Schiff in Gefahr. Man nimmt Tell die Fesseln ab, damit er das Schiff lenken und retten kann.

 

Geschickt steuert er es gegen das Ufer, wo die Steilwand Axen sich erhebt, und springt dort auf eine hervorstehende Felsplatte. Tellsplatte wird sie noch heute genannt.

 

Nun eilt Tell über die Berge nach Küssnacht und wartet auf den Vogt auf dessen Weg in die Burg, der durch die Hohle Gasse führt. Dort erschiesst ihn Tell aus seinem Versteck mit der Armbrust. So wird Wilhelm Tell zum Tyrannenmörder.

 

Und zum Symbol für künftige Widerstandskämpfer auf der ganzen Welt – dank Schillers Drama.

 

 

   

Erinnerungsstätten an Wilhelm Tell in der Schweiz

 

Das Tell-Denkmal von Richard Kissling
(1848-1919) auf dem Rathausplatz
Altdorf. 1895.

 

Tellskapelle Bürglen in der Nähe des Tell-Museums. Foto Gemeinde Bürglen.

 

Tellsplatte zwischen Flüelen und Sisikon. Foto Gersau-Tourismus.

 

Der Schillerstein.

 

 

Altdorf, Bürglen, Vierwaldstättersee

 

Das berühmteste Tell-Denkmal von Vater Tell mit seinem Sohn Walter steht auf dem Rathausplatz von Altdorf. Geschaffen wurde es 1895 vom Schweizer Bildhauer Richard Kissling.

 

Nicht weit von Altdorf entfernt befindet sich das
Tell-Museum von Bürglen
. Wer sich in die Geschichte des Nationalhelden vertiefen möchte, wird hier fündig.

 

Ganz in der Nähe des Museums in Bürglen steht auch eine Tellskapelle. Man nennt sie so, weil sie Wilhelm Tell gewidmet ist. Bürglen soll ja der Geburtsort Tells sein.

 

In Sisikon am Vierwaldstättersee soll sich der berühmte Tellsprung ereignet haben. Hier steuerte Wilhelm Tell das vom Föhnsturm gebeutelte Schiff an Land. Er sprang dann auf die Tellsplatte und gelangte so in Freiheit. Heute erinnert am Axen zwischen Sisikon und Flüelen eine Kapelle aus dem 19. Jahrhundert an dieses «historische» Ereignis.


Schon 1388 soll hier eine Kapelle erbaut worden sein. Erstmals erwähnt wird diese Kapelle in der «Schweizerchronik» von Heinrich Brennwald (1508-1516). 1590 wurde die Kapelle neu gebaut.
1599 erhielt sie Altäre, die der Dreifaltigkeit, Maria und vielen Heiligen geweiht wurde – aber keinem Wilhelm Tell. Die heutige Kapelle entstand erst 1879. Sie wurde mit Tell-Fresken des Basler Historienmalers Ernst Stückelberg ausgestattet.

 

Auf der anderen Seite des Vierwaldstättersees, zwischen Treib und Rütli, sieht man ein weiteres Tell-Denkmal – aber nur vom Wasser aus. Hier steht ein monumentaler Felsblock von 20 Metern Höhe. Er ist nicht direkt Wilhelm Tell gewidmet, dafür dem Verfasser des gleichnamigen Dramas: Friedrich Schiller. Und deshalb heisst er auch Schillerstein.

 

 

Die Hohle Gasse bei Küssnacht mit der Tellskapelle.

 

Tellskapelle in der Hohlen Gasse. Fotos komoot.com.

 

Die Tellskapelle in der «Hohlen Gasse»

 

In der Hohlen Gasse bei Küssnacht soll Wilhelm Tell mit seiner Armbrust den Landvogt Hermann Gessler erschossen haben.

 

Eine erste Kapelle wurde schon 1517 gebaut, aber diese hatte noch keinen Bezug zu Wilhelm Tell – sie zeigte lediglich Darstellungen aus dem Leben Jesu und der Passion.

 

Die Verbindung zu Wilhelm Tell entstand erst im Rahmen seiner Mythosbildung. Die heutige Tellskapelle stammt aus dem Jahr 1638 und zeigt fiktive Abbildungen von «Gesslers Erschiessung in der Hohlen Gasse» und «Tells Tod» bei der Rettung eines Kindes aus dem Schächenbach.

 

Die Hohle Gasse ist frei zugänglich. Sie liegt zwischen Immensee und Küssnacht.

 

 

Die Gesslerburg bei Küsnacht. Foto Gersau-Tourismus.

 

 

Die Gesslerburg
von der Rigi aus gesehen. Foto rigi.ch.

 

 

Die Ruine der Gesslerburg.
Foto rigi.ch.

 

Die «Gesslerburg» von Küssnacht

 

Diese mittelalterliche Burg soll einst der Sitz des Landvogts Hermann Gessler gewesen sein. Das jedenfalls behauptet der Geschichtsschreiber Aegidius Tschudi um 1570. Seit 1908 befindet sich die Ruine im Besitz der Schweizerischen Eidgenossenschaft.


Archäologische Untersuchungen haben einen Adligen namens Recho nachgewiesen, der seinen Besitz und die Burg dem Benediktinerkloster Luzern schenkte. Die erste urkundliche Erwähnung stammt von 1263:
«in castro nostro Chüssenach».

 

>Rudolf I von Habsburg kaufte dann 1291 den Ort
Küssnacht vom Kloster Luzern. Die Burgherren, die Vögte des Hauses Habsburg waren, nannten sich «Edle von Küssnacht». Sie verlangten vom Volk Steuern, Abgaben und Frondienste. 1302 soll einer der Vögte bei einem Streit mit den Dorfgenossen beinahe getötet worden sein. Kurz nach 1500 wurde die Burg aufgegeben und diente danach den Küssnachtern als Steinbruch für den Bau ihrer Häuser.

 

Die Gesslerburg ist frei zugänglich. Sie liegt auf einer Hügelkuppe im Osten Küssnachts. Der Zugang erfolgt ab der Seebodenstrasse.