Ausstellung «Helen Dahm – Ein Kuss der
ganzen Welt». Kunstmuseum Thurgau, Ittingen.
2. September 2018 bis 25. August 2019.

 

Helen Dahm (1878-1968)


Sie ist die erste Frau, die den Kunstpreis der Stadt Zürich erhält. Klingt nach Erfolgsgeschichte, ist es aber nicht. Denn Helen Dahm ergeht es wie vielen Künstlerinnen ihrer Zeit: Als Frau muss sie bös unten durch, wird ein Leben lang als Künstlerin kaum wahrgenommen und schon gar nicht anerkannt. Erst im hohen Alter erfährt sie Genugtuung mit diesem Kunstpreis, den man ihr 1954 verleiht – da ist sie schon 76 Jahre alt.

 

 

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Helen Dahm mit Hund Resi vor der Staffelei,
1920-30. Foto©Nachlass Regula Witzig,
Oetwil am See.

 

 

Geboren wird sie 1878 in Engelshofen, einem Ortsteil des heutigen Kreuzlingen. Die Schule besucht sie in Konstanz, Zeichenunterricht erhält sie beim Künstler Max Joseph von Sury, einem Landschaftsmaler mit Heimatort Solothurn. Ab 1897 besucht sie Kurse an der Kunstgewerbeschule in Zürich.

 

1906 zieht sie nach München und bildet sich in der Kunst des Linol- und Holzdrucks weiter. In der bayrischen Metropole kommt sie auch mit den Gründern des >Blauen Reiters in Kontakt (Franz Marc, Wassily Kandinsky, Gabriele Münter) und schnuppert so auch am Expressionismus.

 

1919 schenkt ihr – nach ihren eigenen Worten – «irgendein reicher Mensch» einen Bauernhof in Oetwil am See. Dorthin zieht sie nun mit ihrer zwölf Jahre älteren Lebensgefährtin Else Strantz. Helen Dahm konzentriert sich nun voll auf die Malerei. Aber dann, dreizehn Jahre später, trennen sich die Frauen. Für Helen Dahm ein Schock. Der Liebeskummer stürzt die Künstlerin in eine Sinneskrise.

 

 

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Helen Dahm, Selbstporträt,
vor 1927. Privatbesitz.

 

 

1938 verkauft sie das Bauernhaus, reist zur Meditation nach Indien und tritt in den >Ashram ihres Gurus Meher Baba ein. In Indien erkrankt sie schwer und kehrt noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in die Schweiz zurück, nach Oetwil am See. Es folgen Jahre der Armut und der Entbehrung.

 

Erst ihr Förderer und Kunstkritiker Max Eichenberger verhilft ihr aus der Baisse. Er entdeckt ihre Werke 1947 und schreibt begeisterte Kritiken, besucht sie auch immer wieder in Oetwil. Schliesslich erhält Helen Dahm 1953 eine grosse Einzelausstellung im Helmhaus Zürich, und endlich nimmt man Notiz von ihr als Künstlerin.

 

1954 bekommt sie als erste Frau den Kunstpreis der Stadt Zürich. Und dann – im hohen Alter – beginnt sie auch noch, abstrakt zu malen. Am 24. Mai 1968 stirbt Helen Dahm im Spital Männedorf.

 

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Helen Dahm, Halbakt mit Magnolie,

ohne Datum. Kunstsammlung Stadt Zürich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Drei Figuren, Holzschnitt. ETH Zürich.

 

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Mohn, 1911. Privatbesitz.

 

1906-1913: Einflüsse des Blauen Reiters

 

Helen Dahm zieht 1906 mit ihrer Freundin Else Strantz – auch eine Künstlerin – nach München. Dort studiert sie an der Akademie der Bildenden Künste. Die beiden Frauen kommen in Kontakt mit dem 1911 gegründeten >Blauen Reiter, zu dem Franz Marc, Wassily Kandinsky und Gabriele Münter gehören. Möglich, dass Helen Dahm in diesem Umfeld auch ihre Liebe zum Holzschnitt entdeckt, den vor allem Kandinsky pflegt. Wahrscheinlich kommt sie über diese Künstlergruppe auch zum Expressionismus.

 

Von München aus beteiligt sich Dahm auch an Ausstellungen in der Schweiz. So ist sie 1910 an der Eröffnungsausstellung des Kunsthauses Zürich mit einem Gemälde vertreten.

 

 

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Else Strantz, 1918. Privatbesitz.

 

1913-1918: «Unbürgerlich» in Zürich

 

Helen Dahm und Else Strantz ziehen nach Zürich. An der Gemeindestrasse 23 finden sie eine Wohn- und Arbeitsstätte. Und leben hier als «unbürgerliches Paar», was für Irritationen sorgt.

 

1916 bekommt Helen Dahm in Zürich ihre erste Einzelausstellung, eine weitere folgt 1917. Die NZZ schreibt: «Helen Dahm huldigt (...) sehr geschickt dem Expressionismus. Freilich scheint ihr das Dekorative eher zu entsprechen.» (Aus dem Buch «Helen Dahm», Verlag Helen Dahm-Gesellschaft, Oetwil am See).

 

 

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Das Haus der
Künstlerin.

 

1919-1938: Das geschenkte Bauernhaus

 

Ein unbekannter Mäzen schenkt ihr in Oetwil am See ein Bauernhaus. Die beiden Frauen ziehen dort ein. Helen Dahm kann sich hier voll auf die Malerei konzentrieren. Sie sagt: «Dieses Haus bekam ich geschenkt von irgendeinem reichen Menschen, ich weiss heute noch nicht von wem. Dort habe ich gelebt wie ein Bauer».

 

1932 dann die Trennung des Paares, was Helen Dahm in eine Krise stürzt. Sie wendet sich fernöstlichen Religionen zu.

 

 

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Guru Meher Baba, der von 1925 bis zu seinem Tod 1969 schweigt.

 

 

1938: Das Schweigen im indischen Ashram

 

Die Künstlerin verkauft ihr Bauernhaus und folgt dem indischen Guru Meher Baba mit drei Freundinnen nach Mumbai. Im Frauen-Ashram von Pune lebt sie nach klösterlichen Regeln. Eigentlich darf sie hier nicht malen, sie führt aber dennoch ein Skizzenheft.

 

Und schliesslich erteilt ihr der Guru den Auftrag, die Innenwände seiner künftigen Grabstätte mit einem Figurenfries auszumalen. 1939 erkrankt sie schwer und muss in die Schweiz zurück. Sie vermerkt: «Dieses eine Jahr Indien ersetzte mir zwanzig Jahre Oetwil».

 

>mehr über Guru Meher Baba

 

 

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Maria Magdalena in der Grossstadt, ohne Datum. Kunstsammlung Stadt Zürich.

 

 

1939-1956: Mehr und mehr christliche Motive

 

Seit der Trennung von Else Strantz 1932 befasst sich Helen Dahm mit fernöstlichen Religionen, malt dann aber nach ihrer Rückkehr aus Indien 1939 vermehrt christliche Motive. Sie gestaltet Bibelszenen und nimmt sich dabei die volle Freiheit, diese unkonventionell darzustellen.

 

Ihr Förderer, der Kunstkritiker Max Eichenberger, stellt sich 1953 auf den Standpunkt, dass bei Helen Dahm der malerische Akt selbst – unabhängig vom Motiv – zur religiösen Handlung wird.

 

 

abstrakt

Bewegung blau (kreisende Meteore), 1957. Kunstmuseum Thurgau.

 

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Urtier, 1966. Kunstmuseum Thurgau.

 

1957-1966: Die Hinwendung zur Abstraktion

 

Mit fast 80 wendet sie sich schlagartig der abstrakten Kunst und der Gegenstandslosigkeit zu. Ist das eine spirituell begründete Entwicklung?

 

Oder ein letzter radikaler Ausdruck ihrer ewigen Suche nach dem eigentlich Ungestaltbaren?


Sie selbst meinte dazu: «Wir leben in einer Zeit, wo so viele Werte verloren gegangen sind, dass es der Auftrag des schöpferischen Menschen sein muss zu beweisen, dass der Mensch in seinem tiefsten Seelenkern bei Gott ist. Aus diesem Wissen heraus hat er die Brücke zu schlagen von einer Zeitepoche des Aufbruchs in die nächste.»

 

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