Ausstellung Pirosmani. Fondation Beyeler
Riehen-Basel. 17.9.23 bis 28.1.24.

 

Niko Pirosmani (1862-1918)


Er wird (heute) als berühmtester Künstler Georgiens gefeiert. Man stellt ihn als Maler der naiven Kunst auf eine Stufe mit >Henri Rousseau und die UNESCO erklärt 1996 zum Jahr Pirosmanis – aber von all dem hat der Künstler keine Ahnung. Er hätte es sich nicht einmal vorstellen können. Als er 1918 in völliger Armut starb, deutete noch gar nichts auf eine solche künftige Verehrung hin.

 

 

Niko Pirosmani um 1916.

Foto Eduard Klar.

 

 

 

Pirosmanis genaues Geburtsdatum ist unbekannt.

Er kommt 1862 als jüngstes von drei Kindern einer Bauernfamilie im georgischen Mirsaani zur Welt. Nach dem Tod seiner Eltern bringt ihn seine Schwester nach Tiflis. Als Zehnjähriger tritt er als Haushaltshilfe in die Dienste einer wohlhabenden Familie, lernt lesen und schreiben (Georgisch und Russisch) und bringt sich selbst das Malen bei. In einer Druckerei erlernt er den Beruf eines Schriftsetzers.

 

Als Erwachsener arbeitet er als Bremser (andere Quellen sagen Schaffner) bei der Transkaukasischen Eisenbahn; 1895 eröffnet er mit einem Partner in Tbilissi (heute Tiflis) ein Milchgeschäft. Dieses floriert aber nicht und geht bankrott.


Ab 1901 lebt er als Obdachloser im Bahnhofsviertel von Tbilissi und verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Malen von Kneipenschildern und Gelegenheitsarbeiten. Für Essen und Unterkunft stattet er Gasthäuser mit seinen Gemälden aus.

 

In solchen Tavernen entdecken dann um 1912 drei Künstler seine Gemälde. Sie heissen Ilja und Kirill Sdanewitsch und Michail Le-Dantju und sind von Piromanis Werken begeistert. Sie werden zu seinen Förderern. 1913 kann Pirosmani einige seiner Werke in Moskau zeigen – zusammen mit Grössen wie Marc Chagall, Natalja Gontscharowa, Michail Larionow oder Kasimir Malewitsch.

 

1914 lanciert man in Tbilissi eine Kampagne mit dem Ziel, Pirosmanis Bilder auszustellen und zu sammeln.
Dieser Initiative schliesst sich eine Gruppe junger Maler an, unter ihnen ein gewisser Dimitri Schewardnadse – dieser wird 1920 die Georgische Nationalgalerie gründen. Pläne, Pirosmanis Oeuvre in Paris zu zeigen, scheitern am Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

 

1916 wird der Künstler zu einem Treffen mit der neu gegründeten «Gesellschaft der georgischen Künstler» eingeladen. Aber als in einer Zeitung eine Karikatur von ihm erscheint, ist er so beleidigt, dass er nicht nur die Einladung ausschlägt, sondern gleich auch noch seinen Wohnort wechselt – und verschwindet.

Pirosmani stirbt in Tbilissi am 5. Mai 1918 in grosser Armut. Er leidet an einem Leberversagen und liegt vor seinem Tod drei Tage lang hilflos in einem Keller. Er wird auf dem Sankt-Nino-Friedhof begraben – und dann vergessen. Man weiss nicht einmal genau, wo sein Grab liegt. Erst 1975 errichtet ihm die Stadt in einer Grünanlage in Tiflis ein Denkmal.

 

In den 1960er-Jahren wird Pirosmani vom Sowjetregime zum sowjet-georgischen Nationalkünstler erhoben.

 

1995 findet im Kunsthaus Zürich die Ausstellung «Niko Pirosmani – Zeichen und Wunder» statt; 2018/19 dann eine Retrospektive in der Albertina Wien und in der Fondation Vincent van Gogh in Arles.

 

 

 


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Ausstellung in der Fondation Beyeler

vom 17.9.2023 bis 18.1.2024

 

Ausstellungsplakat

 

Organisiert wird die Ausstellung von der Fondation Beyeler und dem Louisiana Museum of Modern Art, Dänemark. Sie entstand in Kooperation mit dem Georgischen Nationalmuseum und dem georgischen Ministerium für Kultur, Sport und Jugend, sowie mit Unterstützung der Infinitart Foundation.

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Niko Pirosmani (1862-1918).

Tatarischer Kameltreiber, Öl auf Karton.

Georgisches Nationalmuseum, Tbilissi.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Niko Pirosmani (1862-1918). Fischer in rotem Hemd. Öl auf Wachstuch. Georgisches Nationalmuseum, Tbilissi.

 

Niko Pirosmani (1862-1918).
Frau mit Bierkrug.
Öl auf Wachstuch. Georgisches Nationalmuseum, Tbilissi.

 

Der Trick mit dem schwarzen Wachstuch

 

Es liegt an seiner exklusiven «Erfindung», dass seine naive Volksmalerei so ausdrucksstark daher kommt: Er malt viele seiner Ölbilder auf einem ungewöhnlichen Bildträger – einem schwarzen Wachstuch. Allerdings nicht alle Werke. Weil ihm oft das Geld für das teure Wachstuch fehlt, weicht er manchmal auch auf andere Bildträger aus: Karton oder Leinwand.

 

Aber selbst auf billigem Karton gelingt es ihm, seinen Sujets eine aussergewöhnliche Präsenz und Leuchtkraft zu verleihen.

 

Das liegt nicht zuletzt an der Auswahl der Motive. Sie kontrastieren farblich stark mit dem Hintergrund und dominieren so das Bild. Pirosmani verwendet vor allem die drei kräftigen Farben Rot, Weiss, Gelb – das Schwarz stammt vom Bildträger.

 

Die Frau mit dem Bierkrug wird 1913 an einer Avantgarde-Ausstellung in Moskau gezeigt – zusammen mit Werken von berühmten Künstlern wie Marc Chagall, Natalja Gontscharowa, Michail Larionov oder Kasimir Malewitsch.

 

Das Bild ist nicht nur künstlerisch avantgardistisch – auch vom Motiv her ist es fortschrittlich: Eine öffentlich Bier trinkende Frau war in der damaligen georgischen Gesellschaft eher ungewöhnlich.

 

 

Tbilissi, Georgiens Hauptstadt um 1900. Maidan
Platz und Metekhi Festung. Foto©Georgisches Nationalmuseum Tbilissi.
 

 

Tbilissi – Wiege der georgischen Moderne

 

Georgien ist eine ehemalige Sowjetrepublik und liegt im Kaukasus. Es grenzt im Westen ans Schwarze Meer, im Norden an Russland und im Südwesten an Armenien und Aserbaidschan. Seine Landfläche entspricht etwa eineinhalbmal jener der Schweiz, es leben hier aber nur knapp vier Millionen Menschen. Die Hauptstadt heisst heute Tiflis.

 

Zu Pirosmanis Zeiten um 1900 gehörte Tbilissi zu den fortschrittlichsten Kulturstädten Europas und galt als das «Paris des Ostens» – genau im Schnittpunkt Europa und Asien. In Tbilissi blühte auch der Futurismus und der Dadaismus, hier trafen sich die Künstlerinnen und Künstler der russischen Avantgarde.

 

Mit seiner naiven Malerei passte Niko Pirosmani ganz gut in diese «georgische Moderne».

 

 

Niko Pirosmani (1862-1918). Reh vor einer Landschaft, 1913. Detail. Georgisches Nationalmuseum, Tbilissi.

 

 

Weisse Bärin mit ihren Jungen. Öl auf Karton.

 

Wunderbare Tierbilder

 

Während die Abbildungen von menschlichen Gesichtern in Pirosmanis naiver Kunst keine grosse Mimik aufweisen – alle sehen sich so ähnlich, dass es Brüder oder Schwestern sein könnten – scheint der Künstler zu Tieren einen ganz besonderen Draht gehabt zu haben.

 

Egal, ob es sich um Raubtiere wie Bären oder Löwen handelt oder um Esel, Rehe und Ziegen – er malt sie alle so, als ob man in ihre Seelen blicken könnte. Nie bedrohlich, einfach nur lieblich.

 

Die meisten Tierbilder sind nur auf Karton gemalt, dennoch bestechen sie durch ihre Lebhaftigkeit. Zwar sind in seinen Tierabbildungen die Proportionen nicht immer der Natur entsprechend (zum Beispiel die >Giraffe auf dem Plakat), aber das tut ihnen keinen Abbruch. Dafür verströmen sie Lieblichkeit und Harmonie. Gut zu sehen im Werk Weisse Bärin mit Jungen, das der Künstler zu einem beinahe menschlichen Familienporträt verarbeitet: ein Sinnbild für mütterliche Liebe und Fürsorge.

 

>mehr Tierbilder in der Fotogalerie

 

 

Niko Pirosmani (1862-1918). Kinderloser Millionär und arme Frau mit Kindern, Öl auf Wachstuch. Georgisches Nationalmuseum, Tbilissi.

 

Millionär und arme Familie

 

Ist es eine Gesellschaftskritik? Oder will Pirosmani nur den Gegensatz von Reich und Arm darstellen? Der Künstler setzt hier Texte ins Bild. Unten links «Millionär, kinderlos», rechts «Arme Frau mit Kindern». Als ob das nötig wäre – man würde den Unterschied auch an der Bekleidung und am reichem Schmuck erkennen.

 

Auffallend ist, dass sich alle Gesichter ähneln: Reich oder arm, immer die selben kräftigen Augenbrauen, immer die gleich gemalten, grossen offenen Augen – fast wie in einem Comic.

 

 

Niko Pirosmani (1862-1918). Georgierin mit Tamburin, 1906. Georgisches Nationalmuseum, Tbilissi.

 

Die Georgierin mit Tamburin

 

Tbilissi wurde zu Zeiten Piromanis auch das «Paris des Ostens» genannt. Hier trafen sich europäische und asiatische Kulturen. Auch Persien spielte da eine Rolle. Die Ursprünge der Rahmentrommel – wie abgebildet – liegen in Mesopotamien und sind uralt, solche gab es schon 3000 v.Chr. Im 18. Jht war sie fester Bestandteil der persisch geprägten Unterhaltungsmusik in Tbilissi.

 

Das Tamburin war aber auch ein Sinnbild vorbildlicher Weiblichkeit. Es war jeder jungen Georgierin «empfohlen», das Tamburin zu spielen.

 

 

Niko Pirosmani (1862-1918). Die Schauspielerin Margarita.
Öl auf Wachstuch. Georgisches Nationalmuseum, Tbilissi.

 

Alla Pugatschowa
>Musik-Video

 

 

Die legendäre Million Rosen für Margarita

 

Eigentlich ist Pirosmani in dieser Lebensphase bettelarm, nachdem sein Milchgeschäft in Tbilissi bankrott gegangen ist. Ab 1901 lebt er als Obdachloser ohne festen Wohnsitz und beginnt, gegen Essen und Unterkunft Gasthäuser und Tavernen mit seinen Bildern auszuschmücken.

 

In dieser Zeit der Armut entsteht aber eine wunderschöne Legende: Der Künstler habe sich in die französische Sängerin und Schauspielerin Marguerite de Sèvres verliebt. Er soll seinen ganzen Besitz verkauft haben, um seiner Angebeteten eine Million Rosen zu schenken.

 

Die Legende wird so bekannt, dass sich 1982 die russische Sängerin >Alla Pugatschowa ihrer annimmt und daraus einen Hit macht – es wird zu einem der berühmtesten russischen Lieder überhaupt – ein echter Ohrwurm, unbedingt reinhören!

 

Niko Pirosmani (1862-1918). Eisenbahnzug in Kachetien, Öl auf Karton. Georgisches Nationalmuseum, Tbilissi.

 

 

Übergabe eines Weischlauches.

 

 

Der Eisenbahnzug in Kachetien

 

Ein prächtiges Beispiel kindlich-naiver Volkskunst. Wie ein Spielzeug aus Holz fährt dieser Zug durch die kachetische Landschaft. (Kachetien ist eine Region im Osten Georgiens und der Name eines historischen Staates in diesem Gebiet am Südfuss des Grossen Kaukasus).

 

Offensichtlich ist der Zug nicht in Fahrt – obwohl der aus der Lok strömende Dampf das andeutet. Er steht vielmehr an einer Haltestelle, um dort Waren zu empfangen: Weinamphoren und tote Tiere. Jemand übergibt einen aus einem Tierbalg gefertigten Weinschlauch.

 

Pirosmani war 1890-1893 als Bremser bei der Transkaukasischen Eisenbahn tätig. Die Eindrücke dürften also aus jener Zeit stammen.

 

 

 

Niko Pirosmani (1862-1918). Schönheit aus Ortatschala, Öl auf Wachstuch. Teil
eines Diptychons. Georgisches Nationalmuseum, Tbilissi.

 

Detail.

 

Die Schönheit aus Ortatschala

 

Ortatschala ist das Vergnügungsviertel von Tbilissi. Das Bild dürfte also eine Prostituierte darstellen. Pirosmani malt sie allerdings sehr gesittet und grösstenteils bekleidet. Sie liegt auf Kissen gebettet und zeigt nackte Arme und ein grosszügiges Dekolleté, trägt aber einen Rock, Strümpfe und Schuhe. Die Szenerie spielt offensichtlich nicht in einem Raum, sondern eher an einem Gewässer mit Pflanzen. Zur lieblichen Szene trägt ein süsses Vögelchen auf der Schulter der Schönen bei. Das Gemälde ist ein Teil eines Diptychons (der zweite Teil zeigt eine ähnliche Frau, nur seitenverkehrt).

 

Auch in diesem Werk fällt der comic-hafte Malstil mit den starken Augenbrauen und den runden Augen auf.

 

 

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Fotos / Diashow