Georg Baselitz (1938)


Sein Markenzeichen: Er malt seine Motive auf dem Kopf stehend. So kennt ihn die Kunstwelt. Das war aber nicht immer sein Stil. Bis 1969 kommen seine Gemälde noch «normal» daher. Wobei «normal» eher nicht das passende Wort ist. Denn seine Werke sind geprägt von Nonkonformismus und von bewusster Provokation.

 

 

Georg Baselitz (1938). Katzenkopf,
1966-67. Kunsthaus Zürich.

 

 

Sein richtiger Name ist Hans-Georg Kern. Er wird
am 23. Januar 1938 in Deutschbaselitz geboren (Sachsen, ca. 60 km nordöstlich Dresden). Erst 1961
legt er sich den Künstlernamen Georg Baselitz zu.

 

Sein Kunststudium beginnt er 1956 in Ost-Berlin (DDR) an der Hochschule für bildende Künste. Dort wirft man ihn aber raus mit der Begründung «gesellschaftliche Unreife». Heisst: Zu nonkonformistisch, zu wenig angepasst. Also zieht er 1957 in den Westen an die Hochschule der bildenden Künste und lässt sich 1958 in West-Berlin nieder. Hier kann er seinen provokanten Stil ausleben und wird rasch zum Enfant terrible der deutschen Künstlerszene.

 

1959 nimmt er an der Documenta 2 in Kassel teil und erregt Aufsehen mit ebenso ausdruckstarken wie hässlichen und qualvoll entstellten Figuren.

 

So richtig bekannt wird er dann 1962 mit seinem Gemälde «Die grosse Nacht im Eimer». Mit diesem Skandalbild erzielt er ein gewaltiges Echo – sowohl bei den Behörden wie in der Presse. Ist es obszön und strafbar? Die Meinungen gehen stark auseinader. Das Bild wird beschlagnahmt, aber nach zwei Jahren wieder an den Künstler ausgehändigt.

 

Ab 1969 malt Baselitz seine Motive auf dem Kopf stehend – was jetzt sein Markenzeichen wird. Warum er das tut? Er sucht nach etwas Neuem, das vor ihm noch niemand gemacht hat und was ihn von allen anderen abhebt.

 

In den 1980er Jahren beginnt er, sich mit groben
art-brut-ähnlichen Holzskulpturen zu befassen, die er mit der Kettensäge verarbeitet. Seinem provokanten Stil bleibt er auch bei den Skulpturen treu, sorgt für Skandale und schafft es immer wieder, im Gespräch zu bleiben – bis heute.

 

 

Art-brut. Mit einer Kettensäge grob
gefertigte Holzskulptur. «Gruss aus Oslo»,

1986. Kunsthaus Zürich.

 

 

Im Laufe seines Lebens ist er in mehreren Lehrämtern tätig. Schon 1977 wird er als Professor an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe berufen, wo er bis 1983 lehrt. Von 1983 bis 1988 und wieder von 1992 bis 2003 ist er Professor an der Hochschule der Künste in Berlin (heute Universität der Künste Berlin).

 

Baselitz wird mit zahllosen Preisen und Mitgliedschaften geehrt. U.a. 1999 Ehrenmitglied der Royal Academy of Arts in London; 2005 österreichisches Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst; 2009 Mitglied der Bayrischen Akademie der Schönen Künste; 2012 Chevalier de la Légion d'Honneur (ein französischer Orden, den noch Napoleon 1802 stiftete); 2019 Mitglied der französischen Académie des Beaux-Arts.

 

Heute (2023) lebt und arbeitet Georg Baselitz im österreichischen Salzburg.

 

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Georg Baselitz (1938). Nachtessen in Dresden,
1983. Kunsthaus Zürich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Georg Baselitz mit seinem Selbstporträt «Zero». Foto©Lempertz.

 

 

Selfie für einen guten Zweck

 

Dieses Selbstporträt «Zero» zeichnet er anlässlich seines 80. Geburtstags und der Retrospektive 2018 in der Fondation Beyeler und gibt es zwei Jahre später dem Auktionshaus Lempertz im Rahmen einer Charity-Veranstaltung zur Versteigerung.

 

Die Zeichnung wird für 22'000 Euro verkauft, der Erlös kommt der Obdachlosenhilfe zugute.

 

Georg Baselitz (1938). Die grosse Nacht im Eimer, 1962-63. Ludwig Museum Köln.

 

Das Skandalbild zur Berühmtheit

 

Seine erste Einzelausstellung hat Baselitz in der Westberliner Galerie Werner & Katz 1963. Mit seinem Werk Die grosse Nacht im Eimer lanciert er gleich einen Skandalerfolg – der sogar ein gerichtliches Nachspiel hat – allerdings ohne Folgen für den Künstler. Nur das Werk wird von den Behörden zeitweise beschlagnahmt. Zwei Jahre später erhält er es wieder zurück.

 

Das Bild zeigt eine männliche Figur mit hässlich zerrissenem Gesicht ohne Mund. Das ist aber nicht das Anstössige, es geht vielmehr um das überproportionierte eregierte Glied des Mannes und natürlich um die Handlung des Masturbierens.

 

Die Anregung zu diesem Werk soll dem Künstler der irische Dichter Brendan Behan geliefert haben. Dieser soll während einer Lesung seinen Hosenschlitz geöffnet und damit darauf aufmerksam gemacht haben, dass durch solch eine Geste auch das beste Gedicht zur Nebensache wird.

 

 

Georg Baselitz (1938). Oberon
(1. Orthodoxer Salon 64-E. Neijsvestnij), 1963-64. Städel Museum Frankfurt.

 

Aus Shakespeare's Sommernachtstraum

 

Wer sind die vier Wesen mit ihren langen Hälsen? Irgend eine utopische Fantasie – heute würde man sie als Aliens bezeichnen. Der Bildtitel Oberon verweist indessen auf den mythischen Elfenkönig in Shakespeares «Sommernachtstraum». Oberon als Sinnbild einer Gegenwelt – und für den Künstler eine Darstellung, die nicht die Realität abbildet, sondern eine eigene malerische Welt.

 

>mehr über den Elfenkönig Oberon


Das Gemälde ist ein Geschenk an das Städel Museum Frankfurt von Dorette Hildebrand-Staab. Diese war eine frühe Förderin des Künstlers.

 

 

Georg Baselitz (1938). Der Mann am Baum, 1969. Pinakothek der Moderne München.

 

 

Georg Baselitz (1938). Der Adler, 1982. Städel Museum Frankfurt.

 

 

 

1969: Motive, die auf dem Kopf stehen

 

Um diese Zeit entwickelt er eine «Technik», die später zu seinem Markenzeichen werden wird: Er malt ab jetzt Bilder, die die Welt auf dem Kopf stehend abbilden. Baselitz sieht darin eine Möglichkeit, die Grenzen zwischen Figuration und Abstraktion auszuloten. Er will keine beschreibenden Bilder erschaffen und sieht in der Umkehrung den «besten Weg, das Gemalte vom Inhalt zu befreienum sich der Malerei an sich zuzuwenden». So werde das Dargestellte neutralisiert und das Motiv sei da, ohne sich vorzudrängen.

 

Sagt er. Aber in einem Interview erwähnt er auch, dass er «einfach nach etwas Neuem gesucht habe, das vorher noch niemand machte».

 

Ganz einfach ist diese neue Technik allerdings nicht: Der Künstler malt seine Bilder von Anfang an so, wie sie später hängen – also verkehrt rum.

 

Später malt er auch Werke, bei denen die Leinwand auf dem Boden liegt. Und manchmal läuft er über die noch feuchte Farbe und hinterlässt darauf seine Fussabdrücke.

 

 

Georg Baselitz (1938). Nachtessen in Dresden, 1983. Kunsthaus Zürich.

 

Das auf dem Kopf stehende Bild umgedreht (zur besseren Lesbarkeit).

 

 

Nachtessen in Dresden, 1983.

 

Mit seinen auf dem Kopf stehenden Bildern will der Künstler vor allem erreichen, dass sich die Malerei über den Bildinhalt stellt.

 

Dieses rund vier Meter breite Bild hat aber einen Bildinhalt und sogar einen konkreten historischen Hintergrund: Es nimmt Bezug auf die Begegnung der Expressionisten, die sich 1905 in Dresden zur Künstlergruppe >Die Brücke zusammenschlossen.

 

Die gequält wirkende Figur am rechten Bildrand (des um 180 Grad gedrehten Werkes) soll Ernst Ludwig Kirchner sein. Die dominierende Mittelfigur Karl Schmidt-Rotluff. Und zu einem einzigen Körper verschmolzen sind die engen Künstlerfreunde Otto Müller und Erich Heckel links aussen.

 

 

Georg Baselitz (1938). Gruss aus Oslo, 1986. Lindenholz, bemalt mit Ölfarbe und Holzkohle. Kunsthaus Zürich.

 

 

Holzskulpturen im Art-brut-Stil

 

In den 1980er-Jahren beginnt Baselitz mit der Fertigung von Holzskulpturen. Er bearbeitet diese mit einer Kettensäge, was zu Werken führt, die an die >Art brut erinnern: «brutale», sehr grob verarbeitete Skulpturen.

 

Auch hier weicht er nicht von seiner provokanten Linie ab. Auf der Biennale von Venedig 1980 stellt er das Modell für eine Skulptur einer sitzenden Figur aus, die die Hand zum Hitlergruss erhebt. Der Skandal ist programmiert, die Kritik enorm. Des Künstlers Erklärung, er «hätte nicht die Absicht gehabt, an das Naziregime zu erinnern», nehmen ihm die Kritiker nicht ab.

 

 

Georg Baselitz (1938). Die grosse Nacht von damals, Remix 2008. Pinakothek der Moderne München.

 

Georg Baselitz (1938). Schlafzimmer Remix 2005. Pinakothek der Moderne München.

 

 

Alte eigene Bilder neu «gemixt»

 

Georg Baselitz scheint mit dem Älterwerden kein Problem zu haben, aber er sagt, sinngemäss: «Ich tue jetzt das, was alle Alten tun. Ich befasse mich mehr und mehr mit der Vergangenheit und interessiere mich immer stärker für das, was ich in meinem Leben gemacht und gemalt habe».

 

So durchforstet er seine Bilder der letzten vierzig Jahre an und findet, dass er diese in einer Neuauflage nochmals produzieren sollte – aber in einem neuen Stil («so wie die Musiker alte Stück neu arrangieren»). «Remix» heisst die neue Serie.

 

Klar, dass auch sein wahrscheinlich berühmtestes (Skandal)bild, die >Grosse Nacht im Eimer aus dem Jahr 1962, neu aufgelegt wird. Deutlich leichter als das Original und in hellen Farben. Irgendwie auch weniger provokativ. 2016 stellt er seine Remix-Serie in München aus.

 

>München 2016 (YouTube-Film mit Interview)

 

Zu seinen späteren Werken gehören dann auch noch Figuren, mit denen er das das Altern thematisiert. Diese Werke zeigen Menschen mit kantigen Zügen, schlaffer Haut und Falten, mit hervortretenden alten Knochen. Figuren, in denen man die Zerbrechlichkeit und die Endlichkeit erkennt.

 

 

Ausstellungskatalog
Fondation Beyeler
2018

 

 

Retrospektive 2018: Fondation Beyeler

 

Die Ausstellung zu seinem 80. Geburtstag in der Fondation Beyeler in Riehen-Basel präsentierte seine frühen Schlüsselwerke und – natürlich – auch seine berühmtesten Arbeiten mit auf den Kopf gestellten Motiven. Dazu grossformatige Holzskulpturen sowie Gemälde aus der Remix-Serie.

 

>der Künstler im Interview (YouTube)

 

 

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