Ausstellung «Collection de l'Art Brut –

Kunst im Verborgenen», 26.1. bis 28.4.2019.
Aargauer Kunsthaus, Aarau.

 

Art Brut – was ist das?


Den Ausdruck erfindet der französische Künstler
>Jean Dubuffet (1901-1985). «Art brut» steht für
«rohe Kunst». Für Kunst, die Menschen mit psychischen Defiziten erschaffen. Dubuffet ist der Erste, der den künstlerischen Status von Werken anerkennt, die in Heimen und Psychiatrien entstehen. Er betrachtet seine Wortschöfpung «Art brut» als sein geistiges Eigentum und beansprucht in der Folge das Recht zu bestimmen, was als «Art brut» zu gelten hat und was nicht. Das stösst nicht überall auf Zustimmung.

 

Anderseits weitet er «seine» Art brut aus und will sie so verstanden wissen, dass sie nicht nur Anwendung auf Werke von Geistesgestörten findet, sondern generell für Kunst «jenseits der etablierten Norm» – geschaffen von Ungebildeten, von Laien, von Autodidakten, von Eingesperrten.

 

Im englischsprachigen Raum wird die «Art brut» denn auch als «Outsider Art» bezeichnet.

 

1947 gründet Jean Dubuffet in Paris die «Compagnie de l'Art Brut». Gleichzeitig sammelt er diese Form von alternativer Kunst. Fündig wird er in Krankenhäusern, psychiatrischen Kliniken und Gefängnissen. 1949 stellt er in einer Pariser Galerie 200 Werke aus seiner Sammlung vor – sie stammen von 63 Künstlern.

 

1951 löst Dubuffet die «Compagnie» wieder auf und verlegt seine Art-Brut-Sammlung in die USA, holt sie dann aber nach ein paar Jahren wieder nach Paris zurück. Dort wächst sie ständig weiter. Ab 1967 wird sie im «Musée des Arts Décoratifs» ausgestellt.

 

1975 – die Sammlung ist mittlerweile auf 15'000 Objekte angewachsen – schenkt Jean Dubuffet seine Kollektion der Stadt Lausanne. Dort ist sie seit 1976 zu sehen: im Museum Collection de l’Art Brut.

 

Die Ausstellung im Kunsthaus Aarau zeigt rund 200 Werke von Schweizer Künstlern aus der Lausanner Kollektion, angereichert mit Werken, die im Besitz des Kunsthauses sind.

 

 

 

steffen

Walter Arnold Steffen (1924-1982).

Ohne Titel, 1969. Aargauer Kunsthaus Aarau,
Sammlung Andreas Züst.

 

 

 

Titel (Ausschnitt):

Adolf Wölfli (1864-1930).
Schähren=Hall und Schärer_St.Adolf=Ring, 1926. Aargauer Kunsthaus Aarau.

 

 

 

>Aargauer Kunsthaus, Aarau

 

 

 

 

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Adolf Wölfli,
1920. Foto Wiki
Commons.

 

 

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Ohne Titel, 1922. Kunsthaus Aarau, Sammlung
Andreas Züst.

 

 

 

Adolf Wölfli (1864-1930), der Eingesperrte

 

Der berühmteste Schweizer Vertreter der «Art brut» stammt aus Bern. Er ist Zeichner, Maler, Schriftsteller, Dichter und Komponist.

 

Mit 8 Jahren wird er Verdingbub, dann Knecht und Handlanger. Wegen versuchter Notzucht an zwei Mädchen wird er 1890 zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt.

 

Nach einem Rückfall 1895 weist man ihn in die Bernische Irrenanstalt Waldau ein. Die Diagnose: Dementia paranoides. Er bleibt in Waldau eingesperrt – bis zu seinem Tod 1930.

 

Seine Werke entstehen erst nach Ausbruch der Erkrankung. Gefördert wird er ab 1907 durch den in Waldau tätigen Psychiater Walter Morgenthaler. Dieser veröffentlicht 1921 die Monografie «Ein Geisteskranker als Künstler».

 

Im selben Jahr werden Wölflis Zeichnungen in Buchhandlungen in Bern, Basel und Zürich erstmals ausgestellt.

 

 

mueller

Heinrich Anton
Müller. Ohne
Titel, 1925-27.
Collection de l'Art Brut, Lausanne.

 

Heinrich A. Müller (1869-1930), der Winzer

 

Sohn eines Waadtländer Winzers. Er befasst sich mit der Rebveredlung und erfindet eine Maschine dazu. Er erhält dafür sogar ein eidgenössisches Patent, aber seine Erfindung geht nicht in Produktion. Dann stürzt er 1903 psychisch ab, leidet an Wahnvorstellungen und wird in die Irrenanstalt Münsingen eingeliefert. Dort fertigt er ab 1914 aus Drähten und Lumpen verschiedene Geräte. 1917 schenkt ihm seine Familie einen Malkasten. Er beginnt zu zeichnen und zu malen – mit Tusche, Farbstift, Pastellkreide. Dubuffet sieht in Müller – neben Wölfli und Corbaz – einen der bedeutendsten Vertreter der Art brut. 

 

 

corbaz

Napoléon portant
une reine au
corps cerné de
perles, 1946-47. Collection de l'Art
Brut, Lausanne.

 

Aloïse Corbaz (1886-1964) – beim Kaiser

 

Sie ist die Tochter eines Pöstlers und kommt in Lausanne zur Welt. In Berlin wird sie Kindermädchen am Hof von Kaiser Wilhelm II, dem letzten >Deutschen Kaiser

 

Als sie nach dem Ende des Kaiserreichs 1918 in die Schweiz zurückkehrt, leidet sie an Schizophrenie.

 

Sie wird in die Anstalt von Cery bei Lausanne eingewiesen. Als eine Art Therapie beginnt sie mit Zeichnen und Schreiben. Eine Quelle der Inspiration sind für sie Liebespaare aus Politik und Geschichte. Sie thematisiert dabei Grössen wie Kleopatra, Maria Stuart oder General Guisan in frei erfundenen Bilderwelten. Auch Napoleon gehört dazu.

 

 

krüsi

Ohne Titel, ohne Jahr. Collection
de l'Art Brut, Lausanne.

 

kruesi_kuh

Ohne Titel, ohne Jahr. Collection
de l'Art Brut, Lausanne.

 

 

Hans Krüsi (1920-1995), der Blumenmann

 

Wächst bei Pflegeeltern und im Waisenhaus von Speicher AR auf. Mit 16 wird er Bauernknecht, später Gärtnergehilfe. Dann verkauft er Blumen: Er reist täglich mit dem Zug von St. Gallen nach Zürich und bietet seine Blumen an der Bahnhofstrasse an. Erst mit 55 beginnt er zu malen und zu zeichnen, vor allem Postkarten, die er auf der Strasse neben seinen Blumen verkauft. 1980 bekommt er seine erste Ausstellung in St. Gallen in der Galerie Buchmann.

 

1981 – nach einer Ausstellung in Genf in der Galerie Anton Meier – wird er einem breiteren Publikum bekannt. Jetzt kann er sich seinem künstlerischen Werk widmen. 1990 finden Retrospektiven im St. Galler Museum im Lagerhaus und in der Lausanner Collection de l’Art brut statt, 1995 im Kunstmuseum der Kartause Ittingen.

 

In seinen letzten Lebensjahren malt Hans Krüsi kaum mehr, enttäuscht von seinem Umfeld, das sich «nur noch für das schnelle Geld interessiere, das mit Kunst zu verdienen ist».

 

 

>mehr über Hans Krüsi

 

 

 

wey

Palast II, 1974-1979. Aargauer Kunsthaus Aarau.

 

Alois Wey (1894-1985), der Spätzünder

 

Er stammt aus Murg und ist ausgebildeter Dachdecker, arbeitet aber auch als Bergmann, Maurergehilfe und Plattenschichter in einem Eternitwerk. Noch mit über 72 wäscht er Teller im Bahnhofbuffet Zürich. 1974 zieht er ins Altersheim Stein im Toggenburg und beginnt zu malen – er ist jetzt 80! Hier baut er seine Fantasiegebäude: Schlösser, Paläste und Kirchen. Mit Farbstiften, die er mit Gold-, Silber- und Kupferbronze unterlegt. 1976 erhält er seine erste Einzelausstellung in Wittenbach, danach in der Lausanner Collection de l'Art brut, im Kunsthaus Aarau und im Museum im Lagerhaus St. Gallen.

 

 

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Fotos / Diashow

 

   
   

 

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