Der Superstar unter den Schweizer Bildhauern. Er ist zwar auch Maler, aber mit seinen überlangen, dürren Skulpturen von stehenden Frauen und schreitenden Männern verschafft er sich Weltruhm.
Alberto Giacometti (1901-1966).
Selbstbildnis um 1921. Kunsthaus Zürich.
Alberto Giacometti kommt am 10. Oktober 1901 in Borgonovo bei Stampa GR zur Welt. Sein Vater ist der Maler Giovanni Giacometti.
>mehr über die Künstlerfamilie Giacometti
Erste Kostproben seines zeichnerischen Könnens liefert Alberto bereits als Teenager ab. 1919 beginnt er in Genf ein Kunststudium an der École des Beaux-Arts, bricht dieses aber 1920 bereits wieder ab. Noch im gleichen Jahr reist er mit seinem Vater zur Biennale nach Venedig und später nach Florenz. Dort nimmt er Witterung auf in Richtung Bildhauerei: Ein ägyptischer Museumskopf soll ihn fasziniert haben. In Rom setzt er seine Studien fort.
1922 schreibt er sich in Paris an der Académie de la Grande Chaumière für Bildhauerei unter Antoine Bourdelle (1861–1929) ein.
Ab 1925 kommt Giacometti mit Surrealisten wie Joan Mirò, Hans Arp und Max Ernst in Kontakt. Der «Vater der Surrealisten», >André Breton, verschafft ihm den Zugang zur Surrealistengruppe. 1930 veranstaltet Pierre Loeb in seiner Galerie in Paris die Ausstellung Miró - Arp - Giacometti. 1932 bekommt Giacometti seine erste Einzelausstellung: in der Galerie Pierre Colle.
Während der Kriegszeit von 1942 bis 1945 lebt er in Genf. Dort verkehrt im Kreis exilierter Pariser Literaten und schreibt Texte für die Zeitschrift Labyrinthe.
In dieser Phase lernt er die 22 Jahre jüngere Annette Arm kennen (die er 1949 heiraten wird). Im September 1945 kehrt er nach Paris zurück. Sein Bruder Diego hat derweil das Pariser Atelier gehütet. Ab 1948 entstehen neuartige Werke – in Bronze gegossen. Highlights sind «L'homme qui chavire» (der schwankende Mann) und «Le Chariot» von 1950. Diese werden in der Kunsthalle Basel ausgestellt.
Alberto Giacometti (1901-1966).
L'homme qui chavire, 1950.
Kunsthaus Zürich.
1955 folgen Einzelausstellungen in London und New York, 1956 zeigt die Kunsthalle Bern die erste grosse Retrospektive.
Im privaten Bereich entstehen Turbulenzen, als er 1959 die 21-jährige Prostituierte Caroline kennen lernt. Sie wird sein Modell, es entwickelt sich eine Affäre, die die Ehe mit Annette belastet. Der inzwischen prächtig verdienende Künstler (unter Vertrag bei so berühmten Händlern wie Pierre Matisse und Aimé Maeght) zeigt sich grosszügig: Seinem Bruder Diego kauft er ein Haus, der Ehefrau Annette und seiner Geliebten Caroline je eine luxuriöse Wohnung. Es heisst, jene von Caroline soll noch etwas luxuriöser gewesen sein...
Alberto und Annette Giacometti
um 1953. Foto ©Michael Sima,
www.giacometti-stiftung.ch.
An der Biennale 1962 von Venedig nimmt er sowohl als Maler wie auch als Bildhauer teil und erhält den grossen Skulpturenpreis. Im selben Jahr findet eine umfassende Ausstellung im Kunsthaus Zürich statt.
1965 – ein Jahr vor seinem Tod – wird in Zürich die Alberto Giacometti-Stiftung gegründet. Mit der Unterstützung des Basler Galeristen Ernst Beyeler gelingt es, für die Stiftung eine umfassende Giacometti-Sammlung zu erwerben, die vom Pittsburgher Industriellen G. David Thompson stammt.
Alberto Giacometti stirbt am 11. Januar 1966 im Kantonsspital Chur. Er wird im Atelier in Stampa aufgebahrt und im Friedhof von San Giorgio bei Borgonovo beigesetzt.
Hommage an Giacometti:
Sein «Schreitender Mann»
wird auf der 100-Franken-Note
verewigt. Notenserie ab 1996.
Titelbild (Ausschnitt)
Alberto Giacometti (1901-1966).
Grosse Stehende Frau III, 1960.
Museum Berggruen Berlin.
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Um das Gemälde «Portrait of James Lord»,
gemalt 1964, geht es im Film des Amerikaners
Stanley Tucci. Das Gemälde soll nach Flüchen
und Wutausbrüchen des Künstlers entstanden
sein, der
die Leinwand anschrie. James Lord,
der Porträtierte, reagierte erst überfordert, dann resigniert und zum Schluss begeistert.
So genial Giacometti als Künstler war, so schwer erträglich und unberechenbar muss er im
alltäglichen Umgang gewesen sein. Das wird
auch in Tuccis Film deutlich, wenn er mit seiner
Ehefrau Annette streitet, mittendrin wutentbrannt weggeht und sich mit Prostituierten vergnügt...
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Alberto Giacometti (1901-1966). Kopf seines Bruders Diego, 1925. Kunsthaus Zürich.
Alberto Giacometti (1901-1966). Torse, 1925. Kunsthaus Zürich.
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Klassische Ausbildung bei Bourdelle
Alberto studiert ab 1922 in Paris bei Antoine >Bourdelle klassische Bildhauerei. 1925 entsteht dieser Kopf seines Bruders Diego. Das figürliche Arbeiten mag Alberto aber nicht so richtig zu befriedigen. Er experimentiert nun auch mit afrikanischer und kubistischer Kunst.
Das Atelier in Paris – mit Bruder Diego
1927 eröffnet Giacometti sein Pariser Atelier an der Rue Hippolyte-Maindron 46 im Stadtteil Montparnasse. Der Künstler wird diesem Atelier bis an sein Lebensende 1966 die Treue halten, obwohl es klein und bescheiden ist.
Auch sein jüngerer Bruder Diego (1902-1985) arbeitet in diesem Atelier mit – als Assistent und Modell. Eigentlich ist er mehr als das: Er ist der ruhende Pol in dieser engen Bruder-Beziehung.
>mehr über die Künstlerfamilie Giacometti
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Alberto Giacometti (1901-1966). Boule suspendue, 1930. Kunstmuseum Basel.
Alberto Giacometti (1901-1966). Cube 1933-34. Kunsthaus Zürich.
Alberto Giacometti (1901-1966). Petit Buste d'Annette, 1946. Kunsthaus Zürich.
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1930-1935: Unter den Surrealisten
Die Komposition «Boule suspendue» von 1930 soll >André Breton und >Salvador Dalì so begeistert haben, dass sie Giacometti in ihren Kreis der Surrealisten aufnehmen. In seinem Werk sehen sie «eine neue Art von Dingen» und deklarieren es als «Objets à fonction symbolique».
Der Cube aus dem Jahr 1933 ist eines der letzten Objekte aus seiner Surrealisten-Epoche. Der Künstler selbst bezeichnet diesen Polyeder mit zwölf Facetten als seine «einzige abstrakte Figur» und fügt bei, eigentlich hätte er damit einen monumentalen Kopf schaffen wollen.
Austritt aus der Surrealistengruppe
So ganz zuhause fühlt sich Giacometti bei den Surrealisten nie. Er kehrt zum Modellstudium realistischer Büsten zurück und damit zu figürlichem Schaffen. 1935 tritt er aus der Surrealistengruppe aus.
>mehr über Giacomettis Surrealistenphase
Es folgt eine kleinere Schaffenskrise, die bis zum Ende des Weltkrieges 1945 andauert.
Von 1942 bis 1945 lebt er in Genf und verkehrt dort im Kreis von Pariser Literaten, die vor dem Krieg in die Schweiz geflüchtet sind. Giacometti schreibt in dieser Zeit für die Zeitschrift «Labyrinthe», die 1944 von Albert Skira gegründet wird.
Gleichzeitig arbeitet Giacometti an einer Serie von kleinen Figürchen, denen er übergrosse Sockel verpasst – (wie z.B. die «Buste d'Annette», die allerdings erst 1946 entsteht).
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Alberto Giacometti (1901-1966). Le chariot, 1950. Kunsthaus Zürich.
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1945: Zurück im Pariser Atelier
Nach dem Krieg verlässt er Genf und zieht wieder in sein Atelier nach Paris, das sein Bruder Diego derweil «gehütet» hat. Nun entstehen ab 1948 ganz neuartige Werke – in Bronze. Eines der Highlights aus dieser Epoche ist «Le Chariot».
Was brachte ihn auf die Idee mit den filigranen Figuren? Er soll in den Pariser Strassen Passanten skizziert haben. So kam er auf die dürren, hochaufragenden und proportional verzerrten Figuren von stehenden Frauen und schreitenden Männern. Er setzt sie in Skulpturen um, die ihn weltberühmt machen.
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Alberto Giacometti (1901-1966). L'homme qui marche sous la pluie, 1948. Kunsthaus Zürich.
Grosse stehende Frau III, 1960. Museum Berggruen Berlin. |
Die dürren Figuren - sein Markenzeichen
Es ist sein Hauptwerk und entsteht nach dem Krieg ab 1946. Filigrane Bronzearbeiten, die aus langen, dünnen Figuren bestehen, die komplett aus den natürlichen Proportionen fallen. Wie der berühmte «Homme qui marche sous la pluie» von 1948. Oder der noch bekanntere «Schreitende Mann» von 1947, der sogar auf der Schweizer 100-Franken-Banknote verewigt wird.
Im Gegensatz zu den schreitenden Männern bildet Giacometti in seinen Skulpturen die Frauen fast immer stehend ab.
Die teuersten Skulpturen der Welt
Die «dürren Figuren» erzielen am Kunstmarkt astronomische Preise. «L'homme qui marche» brachte an einer Auktion 2010 bei Christie's über hundert Millionen Dollar; 2015 war einem Käufer das Werk «L'homme au doigt» sogar 141 Mio wert – Rekordpreis für eine Skulptur.
Wo Spitzenpreise erzielt werden, sind auch die Fälscher nicht weit. Giacometti hat ihnen die Arbeit relativ leicht gemacht, weil er dasselbe Werk oftmals gleichzeitig bei verschiedenen externen Giessereien in Auftrag gab, die sich nur schwer kontrollieren liessen.
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Alberto Giacometti (1901-1966). Le Chien, 1951. Kunsthaus Zürich.
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Grossartige Tierdarstellungen
Im Stil der schlanken Frauen und dürren Männer schafft der Künstler auch bemerkenswerte Kreationen von Hunden und Katzen.
Eindrücklich die lebensechte Haltung und der Bewegungsablauf dieses schnüffelden Hundes. Obwohl die Proportionen verzerrt sind, erweckt ihn den Künstler förmlich zum Leben – in Bronze.
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Alberto Giacometti (1901-1966). Petit nu, 1961-64. Kunsthaus Zürich.
Alberto Giacometti (1901-1966). Caroline, 1961. Fondation Beyeler, Riehen. |
Giacometti als Maler
Giacomettis malerisches Werk ist bemerkenswert, auch wenn es in der Bedeutung nicht den Stellenwert seines bildhauerischen Schaffens erreicht hat. Sein Malstil ist sehr speziell und lässt sich keiner bekannten Stilrichtung zuordnen. Viele seiner Werke sind monochrom in Braun, Grau, Weiss und Schwarz. Sie haben einen gemalten Rahmen, der die Leinwand wie ein Fenster öffnet und zeigen die Porträtierten frontal – häufig seine Mutter, Bruder Diego und Annette, seine Ehefrau. Aber auch von seiner Geliebten, Caroline, entstehen ab 1961 zahlreiche Bildnisse.
Alle sind sie in seinem typischen Malstil mit vielen Strichen gehalten. Als ob der Künstler auf der Suche nach dem idealen Strich und der perfekten Abbildung wäre. Perfekt in dem Sinne, als das Ergebnis das verkörpern soll, was das Auge sieht, genauer: sein Auge.
Vielleicht hat ja «sein Auge» das bekommen, was er anstrebte. Für aussenstehende Betrachter hingegen ist es nicht leicht zu erkennen, wie die porträtierte Person im wahren Leben ausgesehen haben mag. Aber dafür gibt es ja Fotos.
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Alberto Giacometti (1901-1966). Le Bar Chez Adrien. Litho aus «Paris sans fin», 1958-1965. Kunsthaus Zürich. |
Giacometti als Zeichner und Lithograf
Der Künstler erkundet jahrelang seine Umgebung in Paris – manchmal auch im Auto – und skizziert dabei Menschen, Gebäude, Plätze und Cafés .
Die Zeichnungen entstehen in den Jahren 1958 bis 1965; die Veröffentlichung als Lithos erfolgt erst drei Jahre nach seinem Tod durch seinen Verleger-Freund Tériade im Jahr 1969.
Diese Skizze zeigt die Bar Chez Adrien in der Rue Vavin, wo Giacometti die 21-jährige Prostituierte Caroline kennen lernt, die zunächst sein Modell und dann seine Geliebte wird.
>mehr über die Lithoreihe «Paris sans fin»
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Alberto Giacometti (1901-1966). Annette, 1961. Privatkollektion. Foto©fondation-giacometti.
Alberto Giacometti (1901-1966). Annette VIII, 1962. Kunsthaus Zürich. |
Ehefrau Annette (1923-1993)
Annette Arm – geboren 1923 in Pregny bei Genf – arbeitet während des Zweiten Weltkriegs beim Roten Kreuz in Genf. Dort lernt sie in einer Brasserie Alberto Giacometti kennen. 1946 zieht sie zu ihm nach Paris, die beiden heiraten 1949, bleiben aber kinderlos.
Ihr Gatte porträtiert sie x-fach und schafft auch eine ganze Reihe von Annette-Bronze-Skulpturen. Diese hier aus dem Jahr 1962 ist die Nummer VIII.
Die Giacometti-Stiftung
Noch zu seinen Lebzeiten wird in Zürich die Giacometti-Stiftung gegründet (1965), wobei der Basler Galerist >Ernst Beyeler eine wichtige Rolle spielt: Er erwirbt für die Stiftung in den USA
>mehr über die Giacometti-Stiftung
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Alberto Giacometti (1901-1966). Femme et Tête, 1965. Kunsthaus Zürich, Legat Bruno Giacometti. |
1965: Femme et Tête
Mit diesem Gemälde – ein Jahr vor seinem Tod entstanden – ist er auf der Spur der existenziellen Kunst. Hier geht es nicht mehr um das Äussere oder Dargestellte, sondern um etwas, das der Betrachter nicht sehen kann. Nur der Künstler sieht es – und versucht es bildlich darzustellen. Es ist bekannt, dass Alberto Giacometti in seinen letzten Jahren darum ringt, das «Tiefliegende», das «Unfassbare» künstlerisch umzusetzen. Aber er schafft es nicht. Oder mit seinen eigenen Worten ausgedrückt: «Ich habe in der Kunst gar nichts erreicht».
>mehr über die existenzielle Kunst
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Alberto Giacometti (1901-1966). Lotar III, 1965. Kunsthaus Zürich.
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1965/66: Sein letztes Werk
Diese Bronzearbeit «Lotar III» widmet der Künstler seinem französischen Fotografenfreund Eli Lotar (1905-1969).
Als fertige Bronze erlebt er sie aber nicht mehr. Er kann kurz vor seinem Tod noch die Tonfassung fertig stellen. Sein Bruder Diego reist dann mit dieser – nach Albertos Tod – nach Paris, um das Gipsmodell zu erstellen und dieses in Bronze giessen zu lassen.
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>Giacometti-Ausstellung Kunsthaus Zürich 2016
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