Tamara de Lempicka (1898-1980)


Die schillernde Ausnahmekünstlerin weist eine extravagante Biographie auf. Ist sie Polin oder Russin? Je nach Quelle ist sie in Warschau oder in St. Petersburg geboren. Klar ist: Sie gilt heute als das «Gesicht der
Art-déco-Malerei» in jener Pariser Epoche der «années folles» der 1920/30er-Jahre und – ziemlich erstaunlich für eine Künstlerin der damaligen Zeit – sie kann mit ihren Bildern ein feudales Leben finanzieren.

 

 

Tamara de Lempicka, Selbstporträt
im grünen Bugatti, 1929. Foto
WikiArt FairUse.

 

 

Als Maria Górska wird sie am 16. Mai 1898 – wahrscheinlich in Warschau – in eine wohlsituierte Familie geboren. Als sich die Eltern 1912 trennen, schickt man sie nach Lausanne zur Schule. Zwei Jahre später zieht sie nach St. Petersburg für eine Ausbildung als Malerin. Dort heiratet sie 1916 – noch als Teenager – den Rechtsanwalt Graf Tadeusz Lempicki. Aus St. Petersburg muss das aristokratische Paar aber fliehen, weil 1917 die >Russische Revolution ausbricht. Die zwei flüchten nach Kopenhagen und lassen sich dann in Paris nieder.

 

In Paris studiert die Künstlerin weiter: An der Académie Ranson und an der >Academie de la Grande Chaumière im Quartier Montparnasse. Lange kann sie aber nicht studieren, denn sie muss mit ihrer Kunst Geld verdienen, für die ganze Familie. Für ihren adligen Ehemann ist Arbeit kein Thema. Das Paar lässt sich 1928 scheiden.

 

Lempicka trifft mit ihrem spektakulären Malstil den Nerv der Zeit. Sie ist damit sofort erfolgreich und kann sich ein ausschweifendes Leben leisten. Sie hat zahlreiche Affären mit Männern und Frauen und versteckt als moderne Frau ihre Neigung zur Bisexualität nicht. Entsprechende Sexszenen fliessen auch in ihre Werke ein, die sich in der Zeit der «années folles» zu guten Preisen verkaufen lassen.

 

1929 geht ihre Erfolgsstory in New York weiter. Für einen Ölmagnaten malt sie ein Porträt seiner Verlobten. In New York entstehen auch Werke von Wolkenkratzern. Eine Ausstellung in Pittsburgh wird zum vollen Erfolg, und nach ihrer Rückkehr nach Paris setzt sie ihr Leben als gefeierte «Art-déco-Ikone» fort.

 

Bis sie ihre nächste Ehe eingeht: 1933 heiratet sie sich noch eine Stufe höher ein, diesmal ist es ein steinreicher ungarischer Baron, Raoul Baron Kuffner de Diószegh, der (noch) in Wien lebt. Das Paar zieht nach Paris. Diese Heirat bringt ihr allerdings nicht nur Vorteile, denn nun muss sie ihr ausschweifendes Leben etwas mässigen. Und weil der Baron aus einer adligen jüdischen Familie stammt, muss das Paar 1939 vor den Nazis flüchten. Gerade noch rechtzeitig – der Baron kann seine Besitztümer in Ungarn noch verkaufen und das Geld ins Ausland transferieren.

 

Zunächst zieht das Paar nach Los Angeles und dann nach New York. Tamara de Lempicka malt Porträts von prominenten Persönlichkeiten und festigt ihre Reputation als Künstlerin. Ihr Ehemann unterstützt sie bei ihrer künstlerischen Karriere – aber 1955 lässt sich das Paar scheiden. Bis 1974 wohnt sie in Houston, in der Nähe ihrer Tochter Kizette, danach siedelt sie nach Mexiko über und heiratet später den amerikanischen Maler und Bildhauer Ross Tamarkin.

 

Tamara de Lempicka stirbt am 18. März 1980 im mexikanischen Cuernavaca. Auch nach dem Tod «lebt» sie ihren extravaganten Stil: Sie verfügt, dass man ihre Asche über dem Popocatépetl ausstreut.

 

 

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt):
Tamara de Lempicka (1898-1980).

La tunique rose, 1927. Foto©Sotheby's.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tamara de Lempicka (1898-1980). Der grüne Turban, 1922. WikiArt FairUse.

 

La chemise rose, 1927. Foto©Christie's.

 

Das Modell, 1925. WikiArt Fair Use.
 

 

Wie Lempicka zur Art-déco-Ikone wird

 

Auf dem Pariser «Salon d'Automne» 1922
präsentiert sie ein Porträt, das sie mit einem Schlag bekannt macht: Es heisst Der grüne Turban und wird von Kunstkritikern begeistert aufgenommen. Allerdings (noch) nicht als Art-déco-Werk – denn dieser Begriff existiert 1922 noch gar nicht.

 

Der Begriff Art-déco entsteht erst Jahre später, an der «Exposition Internationale des Arts Décoratifs», 1925 in Paris. An dieser stellt Lempicka dann auch wieder aus. Und diesmal verpasst man ihr den Titel «Art-déco-Ikone».

 

Eigentlich definiert sich ja Art-déco über Design von Gebrauchsgegenständen, Möbeln und Schmuck – und dies in geometrisch-gradlinigen Formen. Solche malt Lempicka allerdings keine – schon eher sinnliche Rundungen. Wieso ist sie also zur Art-déco-Ikone erklärt worden? Die naheliegende Erklärung: Weil gerade Art-déco-Zeit ist. Und weil sie ihre Werke in der gleichnamigen Ausstellung von 1925 in Paris zeigt – also muss ihr Stil Art-déco sein.

 

 

>mehr über Art-déco

 

 

Tatsächlich beeindruckt Lempicka aber durch ihren eigenen, extravaganten Stil. Sie wählt gekonnt Motive, die wahre Hingucker sind: Sinnlich-verführerisch, markant-plakativ und in lebendigen Farben gemalt. Meist sexy Frauenporträts (selten Männer). Und sie weiss genau, wie man die richtigen Stellen aufreizend betont: Augen, Lippen, Brüste... Das ist ihr eigentliches Markenzeichen – auch wenn sie heute als Art-déco-Ikone gilt.

 

 

 

Tamara de Lempicka (1898-1980). Kizette in Pink (Tochter der Künstlerin), 1926. Musée des Beaux-Arts de Nantes.

 

 

Tochter Maria Krystyna «Kizette»

 

Noch als Teenager – mit 18 – heiratet Maria Górska 1916 den Grafen Tadeusz Lempicki, heisst ab jetzt Lempicka und gehört damit der Aristokratie an.

 

Das Paar lebt in St. Petersburg, muss dann aber vor der >russischen Revolution flüchten. Via Kopenhagen zieht es nach Paris.

 

Tochter Maria Krystyna «Kizette» kommt noch 1916 zur Welt. Es bleibt ihr einziges Kind, obwohl sie im Laufe ihres Lebens noch mehrere Ehen eingehen wird.

 

Ihre Tochter ist ein immer wiederkehrendes Motiv. Von Kizette existieren zahlreiche Porträts, auch spätere, die sie als erwachsene Frau abbilden. Das Gemälde Kizette in Pink von 1926 zeigt sie als zehnjähriges Mädchen.

 

 

Tamara de Lempicka (1898-1980). Die zwei Freundinnen, 1923. Petit Palais Genève.

 

La belle Rafaela, 1927. WikiArt FairUse.

 

 

Ausschweifender Lebensstil

 

Ihre extravagante Art zu malen überträgt sie auch in

ihre avantgardistische Lebensart.

 

Sie verkehrt in den nobelsten Kreisen und führt ein luxuriöses und glamouröses Leben – ganz im Sinn der Epoche der 1920/30er-Jahre, der ausschweifenden «années folles».

 

Als moderne Frau lebt sie persönlich Freiheit und Unabhängigkeit – egal, ob sie gerade verheiratet ist oder nicht. Sie pflegt zahllose Affären mit Männern und Frauen. Eines ihrer Lieblingsmotive ist ihre Muse, die schöne Rafaela.

 

Aus ihren sexuellen Neigungen macht sie keinen Hehl, sie steht offen zu ihrer Bisexualität.

 

 

Tamara de Lempicka (1898-1980). Frau mit Taube, 1931. Foto©Christie's.

 

Gesellschaftlicher Aufstieg

 

1928 lässt sie sich von Tadeusz Lempicki scheiden und bezieht ein Haus mit Atelier in der Rue Méchain im 14. Arrondissement von Paris.

 

1933 heiratet sie den schwerreichen ungarischen Baron Raoul Kuffner de Diószegh. Diese Heirat hat zwar einen weiteren gesellschaftlichen Aufstieg zur Folge – sie ist nun eine Adlige – gleichzeitig muss die Künstlerin aber ihr avantgardistisches, wildes und ausschweifendes Leben etwas zügeln. Das kommt auch in ihrer Malerei zum Ausdruck. Es entstehen jetzt auch Werke aus dem Alten Testament, die sich an der Renaissance orientieren.

 

 

Tamara de Lempicka (1898-1980). Badende Susanne, 1938. WikiArt FairUse.

 

 

1939: Erneute Flucht – diesmal vor den Nazis

 

Ein von vielen Künstlern gemaltes Sujet aus dem Alten Testament: Susanna im Bade

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Nachdem Lempicka und ihr Gatte schon 1917 vor politischen Umwälzungen (>Russische Revolution) flüchten mussten, sind es diesmal die Nazis und der aufziehende Zweite Weltkrieg 1939, die eine erneute Flucht nötig machen.

 

Weil die Familie ihres ungarischen Ehemanns jüdische Wurzeln hat, muss das Paar Europa verlassen – es zieht in die USA. In Los Angeles und New York produziert Tempicka mit beachtlichem Erfolg Porträts von Berühmtheiten und profitiert dabei vom Netzwerk ihres adligen Gatten, der ihre künstlerische Karriere aktiv unterstützt. Trotzdem scheitert die Ehe: das Paar lässt sich 1955 scheiden.

 

 

1953-Tamara de Lempicka (1898-1980). Mutter und Kind, 1953. Kubismus. WikiArt FairUse.

 

Kubismus und Abstraktes

 

In den USA versucht sich Lempicka auch mit abstrakten und mit kubistischen Bildern, erzielt damit aber keine grossen Erfolge. Nach und nach gerät sie in Vergessenheit. Erst in den 1970er-Jahren, als Art-déco in Europa «wiederentdeckt» wird, leuchtet ihr Name wieder auf. An einer grossen Retrospektive in Paris in der Galerie du Luxembourg werden ihre Arbeiten gefeiert.

 

Nun reissen sich auch die Sammler wieder um Lempicka-Werke und die Verkaufspreise
schiessen in die Höhe.

 

   

 

Le rêve (Rafaëla sur fond vert), 1927. Verkauft bei Sotheby's für
7.5 Mio Dollar.

 

Portrait de Marjorie Ferry, 1932. Foto©Christie's.

 

Lempicka-Werke zu Millionenbeträgen

 

Heute werden Lempicka-Werke an Kunstauktionen zu Millionenbeträgen gehandelt.

 

Ihr 1927 gemaltes Gemälde Le Rêve (Rafaëla sur font vert) geht 2011 bei Sotheby's in New York für 7.5 Millionen Dollar an einen unbekannten Sammler und ist für ein paar Jahre das teuerste Werk Lempickas.

 

Aber schon im November 2018 wackelt dieser Rekord und wird von «La Musicienne» mit 9.1 Mio US$ übertroffen. Dann 2019 von «La tunique rose» (ein weiteres Porträt ihrer Muse Rafaela aus dem Jahr 1927, siehe Titelbild), mit 12.1 Mio US$.

 

Doch auch dieser Rekord hält nicht lange. Bei Christie's wird das Portrait de Marjorie Ferry, das aus der Kunstsammlung von Modedesigner Wolfgang Joop stammt, im Februar 2020 für stolze 16,4 Mio Pfund (über 20 Mio US$) versteigert.

 

 

Kopie eines unbekannten Künstlers.

 

 

Verführung für Kopisten

 

Lempickas Malstil lädt geradezu ein, kopiert zu werden. Erstens sind es optisch ansprechende Werke, und zweitens ist dieser markante Malstil relativ einfach zu kopieren. An diesem Beispiel erklärt: Der unbekannte Künstler malte keine exakte Kopie, nur eine Anlehnung. Denn auf dem Bild fehlt die (etwas schwieriger zu kopierende?) Taube, die im Original vorkommt («Frau mit Taube», 1931).

 

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