Ausstellung «Jeff Wall», 28.1.24 bis 21.4.2024.

Fondation Beyeler, Riehen/Basel.

 

 

Jeff Wall Photography (1946)

 

Was macht diesen aus Vancouver stammenden Fotografen so speziell? In erster Linie, dass er mit der traditionellen Vorstellung von Fotografie gebrochen hat. Lange war die Foto eine Abbildung der Realität. Natürlich gilt das heute im Zeitalter der digitalen Verarbeitung und der künstlichen Intelligenz längst nicht mehr. Aber Jeff Wall hat diese «Beweis-Fotografie» schon viel früher unterlaufen, nämlich in den 1970er-Jahren.

 

 

Ausstellungsplakat

 

 

Jeff Wall kommt am 29. September 1946 in Vancouver, Kanada, zur Welt. Von 1964 bis 1970 studiert er an der University of British Columbia Kunstgeschichte. In dieser Phase beginnt er zu fotografieren. Heute gilt Wall als Begründer der «inszenierten Fotografie».


Die Ausstellung in der Fondation Beyeler – in Zusammenarbeit mit dem Künstler entstanden – zeigt eine Reihe solcher Inszenierungen. Sie werden in Form von Grossbild-Dias in Leuchtkästen präsentiert. Oder genauer: Als Diapositive mit Hintergrundbeleuchtung.

 

Jeff Walls Gesamt-Oeuvre soll gerade gerade mal rund 200 Konzept-Fotografien umfassen – das ist ziemlich wenig für eine 50jährige Karriere. Die Ausstellung zeigt in elf Räumen 55 seiner Werke. Darunter sind einige der bekanntesten Arbeiten, die zur Berühmtheit des Künstlers beigetragen haben.

 

 

Jeff Wall um 2014. Foto Pmussler,

WikiCommons >Licence

 

 

2002 wird Jeff Wall mit dem renommierten «Hasselblad Foundation Award» ausgezeichnet; 2003 erhält er den Roswitha-Haftmann-Preis. Eine ganz besondere «Auszeichnung» wird ihm 2012 zuteil: Ein Abzug seines Werks «Dead Troops Talk» wird an einer Auktion bei Christie's für sagenhafte 3.6 Mio Dollar verkauft. Es ist die drittteuerste Fotografie, die bis dahin jemals ersteigert wurde.

 

In der Ausstellung in Riehen werden allerdings nicht nur inszenierte Bilder gezeigt. Sondern auch erstaunlich einfach gestrickte, banale Fotos. Dank Grossformat und Leuchtkästen glänzen sie zwar, aber einige sind bar jedes fotografischen Genies. Keine brillanten Ausschnitte, keine spektakulären Lichtstimmungen. Es sind teils Fotos, wie sie jeden Tag millionenfach mit Handys geschossen werden. Wie und warum solche «Knipsbilder» (Beispiel Coastal Motifs von 1989) Eingang in eine erstklassige Fotoausstellung finden, bleibt das Geheimnis des Künstlers und der Organisatoren.

 

 

 

Titelbild

Jeff Wall (1946). Restoration, 1993.

Sammlung Goetz.

 

 

 

 

 

Jeff Wall (1946). After «Invisible Man» by Ralph Ellison, the Prologue, 1999-2000. Emanuel Hoffmann-Stiftung.

 

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«The Invisible Man» nach Ralph Ellison

 

Jeff Wall bezieht sich in dieser inszenierten Fotografie auf Ralph Ellisons Kultroman aus dem Jahr 1952, «The Invisible Man». In diesem erzählt der schwarze Autor von seinem isolierten «Heim» in einem verlassenen Kellerloch in Harlem, New York. Anhand dieser Schilderung gestaltet Jeff Wall eine detailliert konstruierte bildliche Interpretation. Die «Unsichtbarkeit» ist dabei ein Hinweis auf soziale Abgrenzung – mithin eine Kritik am Rassismus.

 

Der Protagonist sitzt in einem mit allerlei Möbeln und Unrat heillos überfüllten Raum – ein echter «Messi». Besonders auffällig sind die an der Decke angeordneten Glühbirnen – es sollen 1369 Stück sein – von denen aber nur einige brennen, was die ärmliche Ausleuchtung des Raumes noch krasser zur Geltung bringt.

 

 

Jeff Wall (1946). The Thinker, 1986. Courtesy der Künstler.

 

 

Der «Penseur» von August Rodin

 

Nicht schwierig zu erraten, worauf der Fotograf hier Bezug nimmt: Auf Auguste Rodins berühmteste Skulptur: «Le Penseur» aus dem Jahr 1880. Jeff Wall setzt seinen Denker auf einen Holzstumpf, im Hintergrund eine Stadtszenerie. Bei genauem Hinsehen entdeckt man Entscheidendes: Im Rücken des Mannes steckt ein Schwert.

 

>mehr über Rodins Denker

 

 

Jeff Wall (1946).
A sudden Gust of Wind (after Hokusai), 1993. Glenstone Museum Potomac Maryland.

 

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A Sudden Gust of Wind (after Hokusai)

 

In dieser Fotografie arbeitet Jeff Wall mit digitaler Technik. Das Bild ist aus mehreren Einzelaufnahmen zusammengesetzt.

 

Das Motiv geht zurück auf einen Holzschnitt des Japaners >Katsushika Hokusai aus dem Jahr 1831, der die Auswirkungen eines Windstosses illustriert.

 

Was auf der Fotografie wie eine Momentaufnahme aussieht, ist eine «Collage» aus zahlreichen Einzelbildern.

 

Jeff Wall (1946). Coastal Motifs, 1989. Courtesy Künstler.

 

 

Jan van Goyen (1596-1656). Ansicht von Dordrecht, 1646. Kunst Museum Winterthur Reinhart.

 

Banal – oder vielleicht kunsthistorisch?

 

Freunde von guter Fotografie stehen vor diesem Bild und stellen sich die Frage: Was soll das?

 

Ein banales «Werk». Kein genialer Ausschnitt, keine spektakuläre Lichtstimmung, einfach geknipst am helllichten Tag. Wenigstens hätte der Fotograf auf eine dramatische Wolkenbildung warten können. Oder auf ein weiches Abendlicht.

 

Oder wollte der Künstler (der Kunstgeschichte studiert hat) auf die niederländischen Maler des >Golden Age verweisen? Diese waren ja dafür bekannt, dass sie auf ihren Landschaftsgemälden oftmals zwei Drittel des Raumes für den Himmel verwandten.

 

Nur erklärt auch das nicht, wie eine solche Durchschnitts-Fotografie es schafft, in eine hochkarätige Fotoausstellung zu gelangen. Die Ausstellung zeigt mehrere solcher «Normalfotos».


 

Jeff Wall (1946). Dead Troops Talk
(a vision after an ambush of a Red Army patrol, near Mogor, Afghanistan, 1986), 1992.
Glenstone Museum, Potomac, Maryland.

 

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Makabre Szenen aus Afghanistan


In dieser Antikriegs-Inszenierung von 1992 lässt Jeff Wall Schauspieler fiktiv Krieg spielen – in grässlichen Horrorszenen von sterbenden Soldaten mit offenen Wunden und herausquellenden Gedärmen. Bizarr wird die Szenerie, weil auch noch (grenzwertige) makabre «Spässe» dargestellt sind, die die toten Soldaten miteinander treiben.

 

Das hat aber einen (unbekannten) Sammler nicht davon abgehalten, einen Abzug dieser Fotografie für 3.6 Mio Dollar zu erwerben (Auktion bei Christie's im Jahr 2012). Das bedeutete Rekordpreis für den Künstler und gehört zu den teuersten Fotografien, die jemals versteigert wurden.

 

Die teuerste ist ein Werk von Man Ray, das
2022 für 12.4 Mio Dollar erworben wurde, ebenfalls bei einer Auktion bei Christie's:

 

>mehr über Man Rays «Violon d'Ingres»

 

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Jeff Wall (1946). An Eviction (Zwangsräumung), 1988-2004. The George Economou Collection.

 

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Die Zwangsräumung

 

Auf den ersten Blick sieht man eine alltägliche Szene auf dem Land: Häuschen mit Vorgarten, Menschen, eine ländliche Strasse, wirr parkierte Autos – nichts Ungewöhnliches, heile, langweilige Welt.

 

Nun heisst aber Jeff Walls fotografische Inszenierung «An Eviction» (Zwangsräumung) – da muss also mehr dran sein. Bei genauer Betrachtung entdeckt man in einem der Vorgärten eine Menschengruppe, bei der die Welt nicht mehr in Ordnung ist. Zwei Polizisten versuchen einen Mann festzunehmen, dessen Ehefrau (?) eilt ihm zu Hilfe. Vielleicht wehren sich die beiden gegen die Zwangsräumung.

 

 

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