Eigentlich erwartet man ja im Haus Konstruktiv konkrete Kunst, geometrische Formen, Ordnung und Reduktion – aber Opulenz? Ist Üppigkeit nicht das Gegenteil von Reduktion?
Eine spannende Ausgangslage also. Die Ausstellung zeigt Werke von KünstlerInnen, die versuchen, konkrete Kunst üppig darzustellen. Das geschieht durch monumentale Konstruktionen oder durch extreme Anhäufungen von Farbe und Material. Aber natürlich erscheint hier nicht alles Präsentierte «geometrisch» und «opulent».
Ausstellungsplakat.
Zu sehen sind auch filigrane Arbeiten, die den Rahmen der konkreten Kunst und der geometrischen Formen verlassen. Die Bezeichnung «Opulenz» lässt sich aber in Form von Ideen-Vielfalt und grossem Spielraum an Variationen anwenden.
Es ist eine spannende und reichhaltige Schau von frischen künstlerischen Ideen. Die einen bringen das Publikum zum Staunen – wie zum Beispiel die verblüffende Op-Art von Claudia Comte oder die geniale «Kriegskunst» von Timo Nasseri. Andere regen zum Schmunzeln an. So die Werke von Sylvie Fleury, die mit dem Einsatz von flauschigem Pelz die streng-geometrischen Formen eines Piet Mondrian humorvoll karikieren.
Die von Sabine Schaschl kuratierte Gruppenschau zeigt auf vier Etagen Werke von vier schweizerischen
(John Armleder, Claudia Comte, Sylvie Fleury, Franziska Furter) und fünf internationalen KünstlerInnen (Timo Nasseri, Nathalie Du Pasquier, Peter Halley, Mary Heilmann, Elza Sile).
John Armleder (1948).
Haus Konstruktiv Zürich 2022.
Eliza Sile (1989). Euclid's hut, 2022.
Galerie Philipp Zollinger.
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Claudia Comte (1983). Head
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Op-Art vom Feinsten
Die Westschweizer Künstlerin Claudia Comte (geboren 1983 in Grancy/Morges) hat eine gute Beziehung zum Haus Konstruktiv: Ihr Werk «Eye to Eye» schmückt das Museumscafé schon seit 2013 >mehr
Für die Ausstellung «Geometrische Opulenz» hat sie ein wahrhaft opulentes Werk geschaffen. Es handelt sich um eine monumentale Wand, die sich schlangenförmig und raumfüllend durch den ganzen Eingangssaal zieht.
Das Phänomenale daran: Die frei stehende, vier Meter hohe Wand ist total flach, aber die Künstlerin hat ihr eine schwarz-weisse Bemalung aus wellenförmigen Linien verpasst, die das Auge in die Irre führt: Man erlebt das zweidimensionale Gemälde in 3D – als verschiedene Elemente, die quasi übereinander hängen oder sich ineinander verschlaufen. Eine perfekte optische Täuschung.
Solche Wände hat Comte schon 2017 in der kalifornischen Wüste aufgestellt und damit Furore gemacht. Nun beeindruckt sie das Zürcher Publikum mit diesem Indoor-Werk.
>was versteht man unter Op-Art?
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Timo Nasseri (1972). Razzle-Dazzle-Muster, 2018. Haus Konstruktiv Zürich.
DAZ0051, 2018.
Britischer Dampfer mit Tarnanstrich. Fotoquelle: Spiegel Geschichte.
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Bemalte Kriegsschiffe als Kunstvorlage
Einen exklusiven Weg beschreitet der deutsche Konzeptkünstler Timo Nasseri (1972). Ihn müssen die britischen Schiffe aus dem Ersten Weltkrieg fasziniert haben, die man mit geometrischen Mustern bemalt hat, um sie vor den deutschen Unterseebooten zu schützen. Razzle-Dazzle nannte man diese Tarn-Muster.
Wie kommt der Künstler zu seinen Werken? Er kopiert eine Breitseite dieser mit geometrischen Figuren bemalten Schiffe, gibt ihnen eigene Farben und spiegelt sie dann. Was dabei herauskommt, ist spektakulär. Im Hochformat gehängt wirken die Gemälde wie Abbildungen von Kultobjekten indigener Völker Amerikas und erinnern irgendwie an organische Wesen oder an Totem-Pfähle.
Höchst interessant ist die Geschichte dieser Tarnbemalung. Sie hätte dazu dienen sollen, die deutschen U-Boote zu verwirren und ihnen das Zielen mit Torpedos zu erschweren.
Hat es funktioniert? Nicht wirklich. Die tarn-bemalten britischen Schiffe wurden nicht weniger versenkt als die unbemalten. Aber einen Effekt hatte das Ganze dennoch: Die bunt bemalten Schiffe sollen die Moral der Schiffsbesatzungen verbessert haben...
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Sylvie Fleury (1961). Composition with Blue and Red, 2021. Karma International Zürich.
Sylvie Fleury (1961). Composition with Double Line and Blue, 2021. Galerie Mezzanin Genève.
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Mondrian auf den Arm genommen
Die Genfer Performance- und Objektkünstlerin
Besonders witzig sind aber ihre Parodien auf die geometrischen Ikonen des niederländischen Konstruktivisten >Piet Mondrian.
Dessen Kompositionen mit den weltberühmten Senkrecht-waagrecht-Linienformationen – die die Künstlerin als typisch männlich empfindet – stellt sie eine «weibliche Komponente» entgegen: Sie füllt einige der rechteckigen Flächen in «Mondrians» Werken mit flauschigem Kunstpelz aus und nimmt so von den geometrisch exakten Linien Abstand.
Bei der Titelung bleibt sie bewusst bei Mondrians Original («Composition with Blue and Red...»), obwohl ihre Werke nur schwarze Linien auf weissem Grund aufweisen. Und eben einen flauschigen Pelzbesatz. |
Fotos Ausstellung «Geometrische Opulenz»
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