Ausstellung «Hans Krüsi – Jeder kann nicht machen
wie er will» in der Kartause Ittingen / Kunstmuseum Thurgau vom 1.10.23 bis 9. Juni 2024

 

 

Hans Krüsi (1920-1995)

«Mich kann keiner kopieren –

ich bin zu fortgeschritten»

 

Seine Sprüche sind legendär, seine Künstlerkarriere spektakulär. Hans Krüsi, Original und Lebenskünstler. Jahrzehntelang verkauft er auf der Strasse Blumen – dann macht er aus seiner Kunst ein Business.

 

 

Hans Krüsi (1920-1995) in seinem
Atelier. Foto Siegfried Kuhn.
Kunstmuseum Thurgau.

 

 

Hans Krüsi kommt am 15. April 1920 in Zürich zur Welt. Mit zwei Jahren bringt man ihn im appenzellischen Speicher (AR) zu Pflegeeltern, mit zehn ins Waisenhaus. Er kränkelt, weshalb sein Wunsch, eine Gärtnerlehre zu beginnen, nicht in Erfüllung geht. Also arbeitet er als Knecht und schliesslich als Gärtnergehilfe.

 

1947 lässt er sich in St. Gallen nieder. Hier beginnt seine Karriere als Blumenverkäufer. Dann reist er während Jahrzehnten fast täglich nach Zürich, um auf der Strasse Blumen zu verkaufen. Aber nicht an irgend einer Ecke – nein, ganz nobel an der Bahnhofstrasse! Hier gehört er schon bald zum Stadtbild, wird zum Original und zum «Bluememannli». Sein grösster Verkaufshit sind Alpenrosen. Diese pflückt er am Morgen in den Bergen und verkauft sie noch gleichentags in der Stadt. Als Alleinunternehmer.

 

 

Hans Krüsi – der Kunstmaler

 


Mitte der 70er-Jahre, da ist er bereits 55, findet er seinen Weg ins Kunstbusiness: Neben Blumen verkauft er jetzt an der Bahnhofstrasse auch selbstgemalte Postkarten. Mit diesen verdient er bald mehr Geld als mit den Blumen. Das macht ihn bekannt und bald schon kann er auch seine Bilder verkaufen. Von nun an ernährt ihn seine Kunst – und schafft damit etwas, was anderen Künstlergrössen nie gelungen ist, wie zum Beispiel Vincent van Gogh...

 

 

Mit selbstgemalte Postkarten
zum Kunstbusiness

 

 

 

 

 

 

1980 bietet man Krüsi eine Einzelausstellung, organisiert von der auf zeitgenössische Kunst spezialisierten St.Galler Galerie Buchmann. Auch die Presse wird auf ihn aufmerksam und bringt positive Artikel über den künstlerischen Aussenseiter.


Es folgt Ausstellung um Ausstellung – Krüsi lebt immer besser von seiner Kunst. Schliesslich soll er zu einem vermögenden Mann geworden sein (was immer das heisst – über sein «Vermögen» ist wenig bekannt).

 

Als Mensch bleibt er ein Aussenseiter, hat nur wenige Kontakte und keinerlei familiäre Bindungen. Er entfernt sich zunehmend von bürgerlichen Ordnungen und gesellschaftlichen Normen. Seine Vermieter sind nicht begeistert, als er den Hausflur als Lager für seine Bilder nutzt und Tauben in der Wohnung hält.


Sein Gesundheitszustand bleibt fragil. Schon früh hat er an Tuberkulose gelitten, nun plagt ihn seine angeborene schwächliche Konstitution – es kommt zu mehreren Aufenthalten in Kuranstalten, Pflegeheimen und Spitälern. Am 15. September 1995 verstirbt der Künstler in seiner Wohnung an einem Lungenemphysem.

 

Seinen Nachlass vermacht er testamentarisch dem Kunstmuseum Thurgau. Dieses verfügt nun über einen reichhaltigen (und fast unüberblickbaren) Schatz an Krüsi-Werken. Dazu gehören Zeichnungen, Malereien, Bilder von gepressten Blumen, Collagen, Fotografien, Tonbandaufnahmen und dreidimensionale Objekte. Das Museum steht nun aber auch der Verpflichtung, das Ansehen des Künstlers Krüsi zu pflegen und sein Werk am Leben zu halten.

 

Mit Ausstellungen wie «Jeder kann nicht machen wie er will» leistet das Thurgauer Museum einen wertvollen Beitrag zu dieser Verpflichtung. Und bietet dem Publikum einen Einblick ins Werk des originellen Künstlers. Krüsi macht gute Laune und hebt die Stimmung.

 

 

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Titelbild (Ausschnitt)

Hans Krüsi (1920-1995). Naife Kunst, 1982. Kunstmuseum Thurgau.

 

 

 

 

 

 

 

 

Hans Krüsi (1920-1995). Kunst kann nicht jeder machen, undatiert. Kunstmuseum Thurgau.

 

Hans Krüsi (1920-1995). Jeder Mensch hat einen Vogel, undatiert. Kunstmuseum Thurgau

 

«Kunst kann nicht jeder machen»

 

Einer seiner liebsten Sprüche, der in vielen seiner Werke immer wieder auftaucht. Natürlich sagt/schreibt er das mit einem Augenzwinkern, aber offensichtlich ist auch, dass er als Künstler über eine gehörige Portion Selbstbewusstsein verfügt.

 

Und wenn er sagt: «Mich kann keiner kopieren – ich bin zu fortgeschritten», dann kommt auch noch sein Schalk durch. Aber: Seine Originalität ist tatsächlich unangreifbar – weder seine exklusive Lebensform noch sein spezieller Malstil.

 

Einige seiner Sprüche sind kryptisch. Was meint er, wenn er sagt «Jeder kann nicht machen was er will»? Kann Krüsi nicht machen, was er will? Oder meint er: Nicht jeder, aber einige können schon machen, was sie wollen?

 

Fakt ist: Krüsi kann Kunst. Seine Kunst, eine ganz spezielle, einmalige. Und ja: Unkopierbar...

 

 

 

Hans Krüsi (1920-1995). Postkarte, undatiert. Kunstmuseum Thurgau.

 

Ist Krüsis Kunst naiv oder art brut?

 

Wie definiert sich naive Malerei? Oft nennt man sie zusammen mit Begriffen wie Art brut («rohe Kunst») oder «Outsider Art». Sie hat aber ihre eigene Definition:

 

Von naiver Malerei spricht man, wenn es sich um Kunstwerke von autodidakten Künstlern handelt, die keine akademische Schulung durchlaufen haben und deshalb als «ungebildet» gelten. Naive Werke kommen oft in einer fast kindlichen, einfachen Bildsprache daher, flach und ohne Perspektive.

 

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Hans Krüsi
(1920-1995). Postkartendisplay, undatiert. Kunstmuseum Thurgau.

 

Mit Postkarten in die Künstlerkarriere

 

Während Jahrzehnten verkauft Krüsi an der Zürcher Bahnhofstrasse Blumen – und dann entdeckt er um 1975 herum einen Businesszweig: Den Verkauf von selbstgemalten Postkarten. Bald stellt er fest, dass diese mehr Geld einbringen als die Blumen.

 

Die Postkarten bilden die Basis für die weitere Entwicklung als Künstler. Als erstes bietet ihm 1980 die Galerie Buchmann in St. Gallen eine Ausstellung, dann steigen auch die Medien ein und öffnen Krüsi den Weg. Mit dabei sind grosse Blätter wie das Magazin des Tages-Anzeigers oder die Schweizer Illustrierte, die über den Aussenseiter und seine naive Kunst berichten.

 

 

Hans Krüsi (1920-1995). Pflanzen-
abdrücke, 1976. Kunstmuseum
Thurgau.

 

Hans Krüsi (1920-1995). Pflanzen-schablonen, undatiert.

 

Krüsis spezielle «Blumenbilder»

 

Blumen malt er nicht wie andere Künstler. Er bindet sie in seine Bilder ein, legt Blumen und Pflanzenteile wie Farn, Efeu oder Grashalme aufs Papier und nutzt sie als Schablonen. Die so entstehenden Formen ergänzt er mit Sprayfarben oder dem Filzstift.


Oder er besprüht Pflanzen mit Farbe und verwendet sie als «Druckstöcke», macht Abklatsche davon oder heftet sie zu Collagen zusammen.


Dieser wesentlich aufwändigere «Kunstzweig» macht ihm zwar Freude, aber finanziell lohnt er sich nicht. Seine raffinierten Blumenbilder lassen sich viel weniger gut verkaufen als die Postkarten. Deshalb experimentiert er damit nur zwei Jahre lang.

 

Hans Krüsi (1920-1995). Servietten-
zeichnungen, 1989. Kunstmuseum Thurgau

 

 

 

Kunst auf Servietten

 

Krüsi bemalt alles, was er in die Finger bekommt. Unterwegs in der Stadt genügt ihm schon eine Papierserviette und ein Filzstift, um daraus ein Werk zu schaffen. Weil die billigen Papierservietten aus dem Migros-Restaurant die Farbe schnell aufsaugen, erfordern sie einen schnellen, zügigen Strich. Sie hinterlassen Spuren auf der darunter liegenden Fläche. Dies nützt Krüsi aus, indem er auf gefalteten Servietten Formen durchpaust und variiert.

 

Sein Kommentar: «Ist erst der Anfang mal gemacht, ergibt sich alles von selbst».


 

Hans Krüsi
(1920-1995).
Hans Pygasso Krüsi, 1976. Kunstmuseum Thurgau.

 

 

Keine Angst vor grossen Namen


Vor grossen Berühmtheiten hat Krüsi offenbar wenig Respekt. Er glaubt sich auf deren Level zu bewegen und verewigt sich hier in diesem Werk von 1976 als Hans Pygasso Krüsi.

 

Als er dieses Bild malt, ist der Jahrhundertkünstler Picasso schon drei Jahre lang tot. Ob sich Krüsi als dessen Nachfolger gesehen hat? Wahrscheinlicher ist, dass er sich mit diesem Bild als Künstler selbst auf die Schippe nimmt. Vielleicht war es aber auch ein Werbegag für den Verkauf seiner Postkarten.

 

 

 

Hans Krüsi (1920-1995). Postkarte,
ohne Datum. Kunstmuseum Thurgau.

 

Hans Krüsi (1920-1995). Ausschnitt aus Landschafts-panorama, 1981.
Kunstmuseum Thurgau.

 

Hans Krüsi (1920-1995). Alpauf-
oder Abzug am Laufband, undatiert. Kunstmuseum Thurgau.

 

 

 

Kühe sind sein liebstes Motiv


Viele seiner Landschaftsbilder enthalten Appenzell-typische Merkmale. Wie etwa die ländliche Idylle, in denen Kuh, Ziege, Hund, Katze und Mensch in paradiesischem Einklang leben. Solche Szenerien malt Krüsi in unendlichen Variationen.

 

Mit der appenzellischen Volkskultur ist aber Krüsi so wenig verbunden wie mit der Bauernmalerei. Er malt zwar fast zwanghaft Kühe, aber seine Kühe haben mit jenen der Bauernmalerei nichts gemeinsam. Krüsi interessiert das Malerische und die freie Umsetzung und nicht die traditionell emotionale Bedeutung der Kuh für das appenzellische Landschaftsbild.

 

Für Krüsi sind Kühe eine Spielwiese von (lieblichen) Formen und wilden Farben. Warum er wohl so viele Kühe malte? Vielleicht, weil er diese besonders gut malen konnte.

 

Krüsi zeichnete und malte nicht nur, er liebte auch das Basteln und fertigte dreidimensionale Werke – zum Beispiel Bauernhäuser aus Holz.

 

Der geniale Bastler baute sich aber auch eine «Kuhmaschine». Auf diesem Apparat liess er wie auf einem Filmprojektor meterlange Bildbänder laufen, auf denen sich Kuhbild an Kuhbild reiht. Wenn er an der Maschine kurbelte, kam die Alpfahrt so richtig in Gang.

 

 

 

Hans Krüsi (1920-1995). Diät für Verliebte, 28.10.1980. Kunstmuseum Thurgau.

 

 

Hans Krüsis Kalorientabelle.

 

 

Sinn für witzige Erotik

 

Erotisches spielt im Werk von Hans Krüsi kaum eine Rolle. In diesem spassigen Gemälde mit Text kommt aber sein diesbezüglicher Schalk zum Tragen.

 

Er malt einen liegenden Akt in Anlehnung an Tizians «Venus von Urbino» und verpasst dem Werk den Titel
Diät für Verliebte
. In der im Bild oben rechts eingefügten Kalorientabelle heisst es dann:

 

Soviel Kalorien verlieren Sie...

– bei Begrüssungskuss 1 Kalorie

– herzliche Umarmung 3 Kalorien

– leidenschaftlicher Kuss 5 Kalorien (...)

– Lampenfieber vor Schlafzimmer 60 Kalorien

– Vorspiel mit Herzklopfen 150 Kalorien

– doppelter Rittberger 180 Kalorien (...)

– Sprung vom Schrank ins Bett 40 Kalorien (...)

– befriedigtes Dankegrunzen 1 Kalorie...

 

Das Ganze gipfelt in einer Art «Bauernregel» und heisst: «Liebst du ganz besonders nett

wirst du auch nicht fett im Bett»

 

 

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