Die Zentralperspektive in der Kunst

 

Mit der Entwicklung der Zentralperspektive befassten sich die Künstler seit Beginn der >Renaissance. Die Maler vor ihnen im frühen Mittelalter arbeiteten noch nach der «Bedeutungsperspektive». Heisst: Wichtige Figuren wurden gross gemalt, weniger wichtige kleiner. Ein räumlicher Eindruck war damit nicht zu erzielen.

 

Im 14. Jahrhundert kam dann der Wunsch auf, die Bilder dreidimensional wirken zu lassen, auch wenn sie nur auf einer zweidimensionalen Fläche (Leinwand) gemalt waren.

 

Hier setzt die Zentralperspektive an. Sie imitiert das Sehvermögen des menschlichen Auges und stellt den Raum so dar, wie wir ihn erkennen: Was nahe beim Auge ist, erscheint gross – je weiter entfernt etwas ist, desto kleiner erscheint es, egal wie gross der Gegenstand oder die Figur in Wirklichkeit ist.

 

 

Filippo Brunelleschi (1377-1447).

Skulptur von Luigi Pampaloni, 1830.

 


Als «Erfinder» der Zentralperspektive gilt nach Auffassung vieler Experten der berühmte florentinische Bildhauer und Baumeister Filippo Brunelleschi (1377-1447). Er war Architekt, Ingenieur, Goldschmied, Maler und Bildhauer. Sein berühmtestes Werk als Architekt ist die Kuppel des Doms von Florenz, der >Santa Maria del Fiori. Als Bildhauer hinterliess er zwar keine spektakulären Werke, dafür war er als Ingenieur und Erfinder von verschiedenen technischen Apparaten erfolgreich, wie zum Beispiel Kräne und Hebewerkzeuge.

 

 

Filippo Brunelleschi (1377-1447).

Portalrelief, 1401, Dom-Museum Florenz.

 

 

Ein Denkmal für die Kunst setzte sich Brunelleschi
aber dennoch: Durch das Studium und die Entwicklung der Zentralperspektive. Mit Experimenten und Versuchsanordnungen setzte er alles daran, deren Gesetzen auf die Spur zu kommen. Allerdings hinterliess er kaum schriftliche Unterlagen dazu.

 

Solche folgten etwas später von einem gewissen Leon Battista Alberti (1404-1472) in einem Buch mit dem Titel «De pictura» (Über die Malkunst, 1435) und später dann von >Piero della Francesca, der 1470 genaue mathematische Beschreibungen der perspektivischen Darstellung in der Malerei

verfasste.

 

 

Piero della Francesca (1410-1492).

Die Taufe Christus', 1450.

National Gallery London.

 

 

Etwa zur gleichen Zeit wie Piero della Francesco machte sich in Florenz ein weiterer Maler hinter die Gesetze der Perspektive – und zwar gemäss Aussagen von Zeitzeugen wissenschaftlich und «wie ein Verrückter». Sein Name: Paolo Uccello. Nicht wenige Kunsthistoriker halten den «verrückten Paolo» für den «Vater der perspektivischen Malerei». Wem die Ehre zukommt, der «Erfinder» der Zentralperspektive in der Kunst zu sein, wird wohl nie abschliessend zu beantworten sein.

 

 

 

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Leonardo da Vinci (1452-1519).

Das letzte Abendmahl, 1495-98.

Santa Maria delle Grazie, Milano.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Architektur-Vedute, Gemäldegalerie Berlin.

 

 

Leonardo da Vinci (1452-1519). Das letzte Abendmahl, 1495-98. Santa Maria delle Grazie, Milano.

 

Andrea Mantegna (1431-1506). Beweinung Christi, 1470-74. Pinacoteca di Brera. Perspektivische Verkürzung.

 

Perspektive in der Malerei – was ist das?

 

Mit der Anwendung der Perspektive wird versucht, eine dreidimensionale Raumtiefe zu schaffen – obwohl sich die Abbildung auf einer zweidimensionalen Fläche (z.B. Leinwand) befindet. Dadurch erscheinen die Objekte im Bild wie in der Wirklichkeit – so, wie das menschliche Auge sie sieht: Naheliegende Objekte gross, entfernt liegende kleiner.

 

Bei der Zentralperspektive laufen alle Linien in der Tiefe (im Hintergrund) zusammen. Parallele Linien, die sich vom Betrachter entfernen, treffen sich in der Ferne in einem einzigen Punkt, dem Fluchtpunkt. Dieser liegt auf der Horizontlinie, die den Bildraum in zwei Teile teilt, zum Beispiel in Himmel und Erde.

 

Die Perspektive ändert sich, wenn sich die Position der Horizontlinie verändert. Liegt die Horizontlinie über dem Objekt des Bildes, dann wirkt es für den Betrachter so, als würde er von oben auf das Objekt schauen (=Vogelperspektive).

 

Liegt die Horizontlinie unter dem Objekt, schaut der Betrachter von unten auf das Objekt (=Froschperspektive).

 

Eine perspektivische Verkürzung ergibt sich dadurch, dass der Betrachter nicht in einem rechten Winkel auf das Objekt schaut, sondern in einem spitzen Winkel.

 

 

 

Giotto di Bondone (1266-1337). Vertreibung des Joachim aus dem Tempel, Scrovegni-Kapelle von Padua, 1303.

 

 

Giotto di Bondone (1266-1337)

 

Noch bevor die Zentralperspektive erfunden wurde, gab es schon Künstler, die versuchten, den Raum dreidimensional darzustellen. Einer von ihnen war >Giotto di Bondone (1266-1337), der als Begründer der «neuen westlichen Malerei» gilt.

 

Die frühmittelalterlichen und byzantinischen Künstler vor ihm malten noch flach und raumlos (z.B. Ikonen). Giotto gelang es teilweise, ein räumliches Empfinden zu erzielen, aber seine Darstellungen hatten noch nichts mit der Perspektive gemein, wie wir sie heute kennen.

 

 

Masaccio (1401-1428). Die gerechte Verteilung der Güter. Brancacci-Kapelle in der Kirche Santa Maria del Carmine, Florenz.

 

 

Masaccio (1401-1428)

 

Als einer der ersten Künstler überhaupt schaffte es der junge Masaccio, Räume so abzubilden, wie das menschliche Auge sie sieht: Im Vordergrund sind die Dinge gross, im Hintergrund werden sie kleiner – selbst wenn ein Haus effektiv viel grösser ist als ein Mensch.

 

Damit wandte er die Zentralperspektive an, ohne sie theoretisch zu begründen. Er malte einfach so, wie sein Auge es sah (und wie es alle Betrachter sehen).

 

Masaccio wurde nur 27 Jahre alt. Seine eindrücklichsten Werke sind in der >Brancacci-Kapelle in der Kirche
Santa Maria del Carmine in Florenz zu sehen.

 

 

Filippo Brunelleschi (1377-1447).

 

 

Leon Battista Alberti (1404-1472).

 

 

Filippo Brunelleschi (1377-1447)

 

In ihm sehen die meisten Kunsthistoriker den Erfinder der Zentralperspektive. Das dürfte damit zusammen hängen, dass er sich als Erster mit der Theorie dieser Abbildungstechnik auseinander gesetzt hat. Mit Experimenten und Versuchsanordnungen versuchte er, die Zentralperspektive zu ergründen. Allerdings existieren kaum schriftliche Unterlagen über seine Versuchsreihen.

 

Solche Schriften liefert dann Leon Battista Alberti (1404-1472), Schriftsteller, Mathematiker, Kunst- und Architekturtheoretiker. Alberti verfasst 1435 ein Buch unter dem Titel «De Pictura» (Über die Malkunst), in der

die Malerei auf eine wissenschaftliche Basis gehoben wird.

 

In seinem Buch behandelt er die Optik und die Geometrie des Euklid und deren Anwendung in der perspektivischen Malerei. Alberti definiert das Bild neu als eine Art Projektion und beschreibt damit die theoretischen Grundlagen perspektivischer Darstellungen. Er beschreibt auch praktische Hilfsmittel für Künstler wie Fadengitter oder den Guckkasten, die Camera Ottica.

 

 

Piero della Francesca (1410-1492). La vergine con il bambino e santi, 1472. Pinacoteca die Brera.

 

 

Piero della Francesca (1410-1492)

 

Piero verdient sich seinen Platz in der Geschichte der Zentralperspektive durch den Fakt, dass er als Erster genaue mathematische Beschreibungen über die perspektivische Darstellung liefert. Diese hält er in seinem Buch «De Prospettiva Pigendi» aus dem Jahr 1470 fest.

 

Das Thema beschäftigt ihn so stark, dass er 1478 mit Malen aufhört und sich ganz der Theorie zuwendet. Piero della Francesca gilt als Pionier in der Erforschung der Perspektive, weil er versuchte, die Probleme mit Hilfe der Mathematik zu lösen.

 

 

>mehr über Piero della Francesca

 

 

Paolo Uccello (1397-1475).
 

 

Paolo Uccello (1397-1475). Schlacht von San Romano, 1436-40. Gallerie degli Uffizi, Firenze.

 

 

Detail. Perspektive mit Schwächen – aber der Raum kommt zur Geltung.

 

 

Detail. Gelbe, orange und blaue Pferde.

 

Paolo Uccello (1397-1475)

 

Er stammt aus Florenz, ist Maler, Bildhauer und Mosaikkünstler und heisst eigentlich Paolo di Dono. Den Spitznamen «Uccello» (Vogel) verpasst man ihm, weil er in seinen Werken und an den Wänden in seinem Haus massenhaft Vögel abbildet.

 

Bekannt wird er aber aus einem anderen Grund: Uccello beschäftigt sich schon früh wissenschaftlich mit der perspektivischen Darstellung. Er soll davon so besessen gewesen sein, dass er sich für Monate in seinem Haus einschloss, um seine Studien zu machen.

 

Zeitgenossen nennen ihn den «verrückten Paolo», weil er sich mit der Frage rumschlägt, ob hinter allen Formen Geometrie oder Mathematik stecken. Im Alter wird Uccello so seltsam, dass er keine Aufträge mehr erhält und verarmt.

 

Der berühmte Kunsthistoriker >Giorgio Vasari schreibt: «Er war einsam, arm, exzentrisch, melancholisch und wurde immer von den schwierigsten Dingen in der Kunst angezogen.» Und: «Er malte die Felder blau, die Städte rot, die Gebäude in seiner Fantasie entsprechenden Schattierungen».

 

Tatsächlich waren für Uccello die Farben unwichtig – ihm ging es um die geometrisch richtige Darstellung.
Einige Kunstexperten sehen in Uccello deshalb den «Vater der perspektivischen Malerei in Italien».

 

Anderseits gibt es jene Kritiker, die keine Gelegenheit auslassen, in Uccellos Perspektiven Fehler zu suchen und diese anzuprangern – bis weit ins 20. Jahrhundert. Natürlich sind Fehler da, ganz offensichtlich. Vor allem in der Grössenabbildung der Figuren in der zweiten Reihe und im Hintergrund – sie geraten meist etwas zu gross (gut zu erkennen im Detailbild der Schlacht von Romano, Gallerie degli Uffizi, Firenze).

 

Aber kann das die Leistung Uccellos schmälern? Immerhin ist er als einer der Ersten dem Geheimnis der Perspektive auf die Schliche gekommen.

 

Und vielleicht hat er mit seinen progressiven Farben, den gelben, orangen und blauen Pferden (fünfhundert Jahre vor >Franz Marc!) sogar eine Türe zum >Expressionismus aufgestossen?