Ausstellung «Bestandsaufnahme Gurlitt –
Entartete Kunst – beschlagnahmt und verkauft». Kunstmuseum Bern, 2.11.2017 - 4.3.2018.
Was für ein Hammer! Im Mai 2014 erfuhr man in Bern völlig überraschend, dass Cornelius Gurlitt in seinem Testament die Stiftung Kunstmuseum Bern als Alleinerbin seiner Sammlung bestimmt hatte.
Wer war Cornelius Gurlitt? Der Sohn des deutschen Kunstsammlers Hildebrand Gurlitt (1895-1956).
Hildebrand Gurlitt war 1925 bis 1933 Museumsdirektor in Zwickau und Hamburg, danach Kunsthändler. Die Nazis beauftragten ihn, aus deutschen Museen beschlagnahmte «entartete Kunst» ins Ausland zu verkaufen, um dem Hitlerregime Devisen zu beschaffen. Gurlitt baute sich daneben seine eigene Kunstsammlung auf. Ein Teil davon wurde bei Kriegsende von den Allierten beschlagnahmt, doch gelang es ihm, seine Sammlung 1950 wieder zurück zu bekommen. Er starb 1956 an einem Autounfall, – die Sammlung ging an seinen Sohn Cornelius.
Cornelius Gurlitt (1932-2014) erbte rund 1500 Kunstwerke, die er in seiner Münchner Wohnung und in einem Haus in Salzburg hortete. 2010 wurde er nach einer Zollkontrolle verdächtigt, mit Kunst zu handeln und dabei Steuern zu hinterziehen. Man beschlagnahmte zunächst seine Sammlung, gab sie aber 2014 wieder frei, als Gurlitt sich bereit erklärte, allfällige Raubkunst den rechtmässigen Eigentümern zu restituieren. Eine Taskforce sollte die entsprechenden Recherchen vornehmen.
Die Ergebnisse dieser Recherchen erlebte er nicht mehr. Cornelius Gurlitt starb am 6. Mai 2014 im Alter von 81 Jahren. Einen Tag später erfuhr man in Bern, dass Gurlitt das Kunstmuseum in seinem Testament als Alleinerbe eingesetzt hatte.
Die Ausstellung in Bern zeigt rund 160 Werke von Künstlern, die von den Nazis als «entartet» gebrandmarkt wurden. Darunter sind auch Arbeiten, die an der Münchner Ausstellung «Entartete Kunst» von 1937 nicht präsentiert wurden, die aber vorher oder nachher in den Besitz von Hildebrand Gurlitt gelangten.
>Ausstellung «zerrissene Moderne» KM Basel
Titelbild (Ausschnitt)
Otto Mueller (1874-1930).
Mädchen auf der Liege, 1919.
Sammlung Gurlitt.
Werke aus der Sammlung Gurlitt |
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Emil Nolde(1867-1956). Tänzerlin, 1913. |
1938: Beschlagnahme «entarteter Kunst» durch die Nazionalsozialisten
Die Beschlagnahme der Kunstwerke «entarteter Kunst» – ein Terminus der Nazis – wird durch ein Gesetz vom 31. Mai 1938 «gerechtfertigt». Dieses verfügt, dass entsprechende Kunstwerke ohne Entschädigung zu Gunsten des Dritten Reiches eingezogen werden können, soweit sie sich vorher im Eigentum von Reichsangehörigen befunden haben. Ein Teil der Werke wird ins Ausland verkauft, ein Teil davon vernichtet.
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August Macke(1887-1914).Dame im Wagen, 1913. |
2012: Und noch einmal beschlagnahmt...
Diesmal ist es die Staatsanwaltschaft Augsburg, die im Februar 2012 rund 1280 Kunstwerke beschlagnahmt. «Weil der Verdacht auf Raubkunst bestehe», die den rechtsmässigen Eigentümern restituiert werden müsste.
Die Beschlagnahme wird 2014 aufgelöst, als Cornelius Gurlitt sich bereit erklärt, alle «belasteten» Werke der Provenienzforschung zur Verfügung zu stellen.
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Ernst LudwigKirchner(1880-1938). Liebesszene, 1908. |
2016: Gericht bestätigt Bern als Erbe
Gurlitts Verwandte zweifeln die Richtigkeit des Testamentes an. Im Dezember 2016 entscheidet das Gericht, dass das Testament zu Recht besteht und dass die Sammlung dem Museum in Bern übergeben werden könne.
Das Kunstmuseum Bern kündigt an, die Werke in einer Ausstellung zu präsentieren und gleichzeitig die Recherchen hinsichtlich Provenienz weiterzuführen. Und ebenso, allenfalls berechtigte Restitutionen vorzunehmen. Bis November 2017 konnten zwei Werke restituiert werden.
>mehr über Ernst Ludwig Kirchner
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Otto Mueller (1874-1930). Mädchen auf der Liege, 1919. |
Warum ausgerechnet Bern?
Cornelius Gurlitt hatte nie eine enge Beziehung zum Kunstmuseum Bern. Umso erstaunter ist man da, dass man die Sammlung erben sollte.
Wollte Gurlitt einfach sicher gehen, dass die Werke nicht in Deutschland blieben? Man weiss es nicht. Das Berner Museum zeigt sich immerhin «freudig überrascht», sieht aber gleichzeitig die Problematik, die das Vermächtnis beinhaltet.
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Käthe Kollwitz (1867-1945). Selbstbildnis, 1924. |
Käthe Kollwitz (1867-1945)
Als erste Frau wurde sie 1919 zur Professorin an der Preussischen Akademie der Künste ernannt. Weil sie sich aber politisch engagierte, wurde sie 1933 von den Nazis entlassen.
Danach arbeitete sie in einer Ateliergemeinschaft, doch ihr radikaler Pazifismus führte dazu, dass ihre Werke von öffentlichen Ausstellungen ausgeschlossen wurden. Sogar von der Münchner Ausstellung 1937 «Entartete Kunst».
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Otto Dix(1891-1969).Schütze vom Inf.Regiment 103. |
Otto Dix (1891-1969)
Er meldet sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst. Zeichnungen über das Kriegsgeschehen gehören zu seinem Werk. 1919 ist er Mitbegründer der >Dresdner Sezession, die sich auch «Gruppe 1919» nannte. Von 1927 bis 1933 ist Dix Professor an der Kunstakademie in Dresden, doch nach der Machtübernahme der Nazis wird er dort 1933 entlassen.
Er zieht sich nach Süddeutschland zurück. Seine Werke werden an der Münchner Ausstellung «Entartete Kunst» von 1937 gezeigt. 1945 wird er zum Volkssturm eingezogen und gerät in französische Kriegsgefangenschaft, von wo er 1946 frei kommt. Bis zu seinem Tod 1969 lebt er in Hemmenshofen am Bodensee.
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Lovis Corinth (1858-1925). Titelblatt der Mappe «Im Paradies», 1921.
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Lovis Corinth (1858-1925)
Titelblatt einer sechsteiligen Mappe von Lithografien. Vier Jahre vor seinem Tod zeichnet der Künstler sechs Szenen aus dem Paradies, die zu Lithos verarbeitet werden. Die Sujets heissen: Die Erschaffung Adams; die Erschaffung Evas; Adam und Eva im Paradies; der Sündenfall; Adam und Eva klagen die Schlange an; die Vertreibung aus dem Paradies.
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FranzMarc (1880-1916). Sitzendes Pferd, 1912. |
Franz Marc (1880-1916)
Wie Otto Dix tritt auch Franz Marc freiwillig in den Kriegsdienst ein und wird Leutnant. Bereits 1916 verletzt ihn ein Granatsplitter tödlich. Er stirbt in Verdun.
Viele seiner genialen Tierabbildungen werden 1937/38 durch die Nazis beschlagnahmt. An der Ausstellung der «Entarteten» in München 1937 zeigt man kurz Werke von ihm, doch nach Protesten des Deutschen Offiziersbundes werden sie wieder entfernt. Es gehe nicht an, «dass man einen gefallenen Soldaten öffentlich missachte».
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Fotos Sammlung Gurlitt
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