Annibale Carracci (1560-1609)


Italienischer Barock – bei diesem Stichwort denkt

man wohl zuerst an >Caravaggio. Aber da gibt es noch einen Namen: Annibale Carracci. Der kam noch ein Jahrzehnt früher zur Welt und gehört zu den ersten, die den Anstoss zu dieser «neuen Welt von edlen Kompositionen in prachtvollem Kolorit» gaben.

 

 

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Annibale Carracci, Selbstporträt auf
Staffelei, 1605. Galleria degli Uffizi, Firenze.

 

 

Annibale (deutsch: Hannibal) Carracci stammt aus Bologna, wo er 1560 zur Welt kommt, als Sohn eines Schneiders. Zusammen mit seinem Bruder Agostino erlernt er das Handwerk der Malerei bei seinem nur fünf Jahre älteren Cousin Lodovico Carracci (1555-1619).

 

Die drei Carracci haben Grosses vor: Sie möchten der Malerei eine neue Richtung geben: Weg vom damals vorherrschenden >Manierismus mit seinen unnatürlichen, gekünstelten Formen und hin zu einem Stil, der die Natur besser abbildet. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten sie mit Menschen als Modellen.

 

Ab 1583 liefert Annibale Carracci. Ein erstes biblisches Werk entsteht für die Kirche Santa Maria della Carità in Bologna. Es ist eine Kreuzigungsszene. Dann erhält er vom Grafen Filippo Fava den Auftrag, in drei Sälen des Fava Palastes Fresken zu malen. Daran ist auch Cousin Lodovico Carracci beteiligt. Die Fresken geraten so sehr «der Natur entsprechend», dass sie von einheimischen Malern kritisiert werden: es sei eine «blosse Naturnachahmung».

 

Bis 1590 ist Carracci in Parma, Florenz, Mantua und Venedig unterwegs und beschäftigt sich auch mit den Maltechniken von Caravaggio, Veronese und Tintoretto.

 

Es folgen Altarbilder für Kirchen in Bologna und Reggio Emilia; er erhält Aufträge vom Herzog von Ferrara und vom Hof der Farnese in Parma (Mystische Hochzeit der hl. Katharina). Zur selben Zeit entstehen Werke mit mythologischen Themen (Venus und Adonis).

 

Ab 1594 ist er auch in Rom tätig. Für die römische Kirche Santa Maria del Popolo (berühmt vor allem wegen >Caravaggio-Werken) malt er eine eindrückliche «Maria Himmelfahrt». Für den Palazzo Farnese arbeitet er jahrelang an Deckenfresken. Hier entstehen einige seiner Hauptwerke.

 

 

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Palazzo Farnese, Rom.

 

 

Carracci darf zwar im Palazzo Farnese leben und arbeiten, er ist aber mit der Bezahlung unzufrieden. Das macht ihn depressiv. 1605 erkrankt er und erholt sich davon nie mehr richtig. 1606 verlässt er den Palazzo und zieht in die römische Gemeinde San Lorenzo Lucina.

 

Im Sommer 1609 unternimmt er eine Reise nach Neapel. Dort erkrankt er so schwer, dass er wieder nach Rom zurückkehren muss. Hier stirbt er im Alter von 49 Jahren am 15. Juli 1609. Auf eigenen Wunsch wird er im Pantheon beerdigt.

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Annibale Carracci (1560-1609).

Heilige Frauen am Grab Christi, 1590.

Hermitage St. Petersburg.

 

 

 

 

 

 

Die drei Carracci

 

Lodovico Carracci (1555-1619) Cousin

 

Agostino Carracci (1557-1602) Bruder

 

Annibale Carracci (1560-1609) Bruder

 

 

 

 

 

 

 

 

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Annibale Carracci (1560-1609). Salma di cristo, 1583-85. Staatsgalerie Stuttgart.

 

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Annibale Carracci (1560-1609). Trinkender Jüngling, 1582-83. Cleveland Museum of Art.

 

Studien mit menschlichen Modellen.

 

Szenen mit biblischen Figuren wurden bisher mehr oder weniger aus dem Kopf geschaffen. Annibale Carracci und seine zwei Malerkollegen – sein Bruder Agostino und sein Cousin Lodovico – wollen das nun ändern. Sie möchten die gekünstelten Figuren des >Manierismus hinter sich lassen und näher an die Natur herankommen, wie das schon in der Renaissance der Fall war.

 

Die drei Carracci gründen zu diesem Zweck eine eigene Akademie, die sie «Accademia degli Incamminati» nennen. Übersetzt: «Akademie der auf den Weg Gebrachten». Der Weg ist klar definiert und lehnt sich an >Leonardo da Vinci an, der schon viel früher, im 15. Jahrhundert, das Studium des menschlichen Körpers und dessen Proportionen für die Kunst propagierte.

 

Die Bilder-Beispiele verkörpern das gut: Oben der tote Leib von Jesus Christus aus einer sehr ungewöhnlichen Perspektive von unten, die eine künstlerisch anspruchsvolle Verkürzung des Körpers nötig macht. Unten eine ebenso interessante Perspektive eines trinkenden Jungen. Mit solchen Darstellungen kommt Carracci seinem Ziel der natürlichen Abbildung sehr nahe. Die nächste Epoche des >Barock kann kommen.

 

 

 

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Annibale Carracci (1560-1609). Thronende Madonna mit dem hl. Matthäus, 1588. Gemäldegalerie Alte Meister Dresden.

 

1588: Madonna di San Matteo

 

Für Kirchen in der Lombardei erhält Carracci zahlreiche Aufträge. So auch in der Stadt Reggio nell'Emilia. In der Basilika San Prospero malt er ein fast vier Meter hohes Altarbild für die Kapelle eines wohlhabenden Kaufmanns. Es zeigt die thronende Madonna mit Kind und die Heiligen Franziskus, Matthäus und Johannes den Täufer.

 

Es ist nur eines von vielen Werken, die Carracci in Reggio schafft – aber keines davon ist heute noch an seinem ursprünglichen Platz.

 

Das Altarbild «Madonna di San Matteo» gelangt zunächst in die Sammlung Este in Modena, dann zum sächsischen Kurfürsten >Friedrich August II, einem grossen Kunstfan. Deshalb ist es heute in der Gemäldegalerie >Alte Meister Dresden zu sehen.

 

 

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Annibale Carracci (1560-1609). Venus und Adonis, 1595. Kunsthistorisches Museum Wien.

 

 

1595: Venus und Adonis

 

Das berühmteste Liebespaar der römischen Mythologie. Die Geschichte stammt vom römischen Dichter Ovid (43 v.Chr. - 17 n.Chr.) aus dessen Hauptwerk, den «Metamorphosen».

 

Venus, die Liebesgöttin, verliebt sich in den schönen Adonis. Auf der Jagd wird Adonis von einem Eber getötet (vielleicht auch durch den eifersüchtigen Mars in Gestalt eines Ebers). Venus ist darüber so untröstlich, dass sie aus seinem Blut eine Blume spriessen lässt, das berühmte Adonisröschen. Gemäss Ovid ist es eine Anemone.

 

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Annibale Carracci (1560-1609). Der gefangene Samson, 1595. Galleria Borghese, Rom.

 

1595: Der gefangene Samson

 

Viele Künstler haben sich des Themas Samson und Delilah schon angenommen – die meisten verarbeiten dabei die Schlüsselszene, in der Delilah dem Helden die Haare abschneidet.

 

Carracci zeigt dagegen den bereits gefangenen Samson und kann sich dabei auf seine ausgiebigen Studien stützen, die er mit menschlichen Modellen gemacht hat. Sein nackter Samson kommt deshalb wie eine anatomische Studie daher. Von der Lichtführung her erinnert das Bild an spätere Werke des berühmten >Caravaggio.

 

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Annibale Carracci (1560-1609). Deckenfresken, 1597-1605. Palazzo Farnese, Rom.

 

 

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Annibale Carracci (1560-1609). Deckenfresken, 1597-1605. Palazzo Farnese, Rom. Detail.

 

 

1597: Deckenfresken Palazzo Farnese

 

Alessandro Farnese wurde schon mit 25 Jahren zum Kardinal ernannt – dank seiner Schwester, die die Maträsse von Papst Alexander VI war. 1534 wurde Farnese dann selbst Papst und nannte sich Paul III. Den Auftrag zum Bau seines Palastes gab er 1514. Erster Architekt war Antonio da Sangallo, nach dessen Tod übernahm Michelangelo. Im gleichen Jahr, in dem der Palazzo fertig wurde, verstarb Papst Paul III (1589). Heute zählt der Palast zu den schönsten Renaissancebauten Italiens und beherbergt die französische Botschaft.

 

Die Deckenfresken in diesem Palast gehören zu den Hauptwerken von Annibale Carracci. Der Auftrag dazu kommt 1597 von Kardinal Odoardo Farnese. Das zentrale Fresko stellt den Triumphzug des Bacchus und der Ariadne dar, eingerahmt an den Seiten von Pan und Diane (links). Rechts überreicht der fliegende Merkur den goldenen Apfel an Paris. Die Arbeiten an den Fresken dauern bis 1605.

 

 

 

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Annibale Carracci (1560-1609). Maria Himmelfahrt, 1601-02. Chiesa Santa Maria del Popolo, Rom.

 

1601: Maria Himmelfahrt

 

Für die Ausgestaltung der Kapelle des päpstlichen Schatzmeisters Tiberio Cerasi in der berühmten Kirche Santa Maria del Popolo holt man zwei Malergrössen: Caravaggio und Carracci. Im Herbst 1600 wird der Vertrag geschlossen. Carracci wird mit dem Altarbild von «Marias Himmelfahrt» beauftragt, während Caravaggio die Themen «Bekehrung des Saulus» und «Kreuzigung des Petrus» fertigt.

 

Ein Touristenmagnet ist die Santa Maria del Popolo vor allem wegen der beiden >Caravaggio-Gemälde.

 

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Fotos / Diashow

 

 

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