Der in Lörrach geborene Künstler arbeitet einen grossen Teil seines kurzen Lebens – er wird nur 34 Jahre alt – in der Schweiz und prägt so auch den schweizerischen Expressionismus mit. Bekannt ist er vor allem für seine dramatischen Holzskulpturen.
Hermann Scherer, Selbstporträt
1924. Privatsammlung.
Scherer kommt in Rümmingen/Lörrach in bäuerlichen Verhältnissen zur Welt und geht dort 1907 als 14-jähriger in eine Steinmetzlehre. Danach zieht er nach Basel, Köln und Koblenz. Die Kriegsjahre 1914-1918 verbringt er in Basel. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitet er drei Jahre lang (1918-1921) als Assistent des Basler Bildhauers >Carl Burckhardt.
1922 besucht er im Kunsthaus Zürich eine Munch-Ausstellung. Das beflügelt seinen Wunsch, Maler zu werden. Er malt nun Porträts, Akte und Landschaften. Dann kommt er in Kontakt zum bedeutenden deutschen Expressionisten >Ernst Ludwig Kirchner, der schon seit 1917 in der Schweiz lebt. Dieser lädt ihn zu einem längeren Arbeitsaufenthalt zu sich nach Frauenkirch bei Davos ein.
1924-25 pflegen die beiden eine befruchtende Künstlerfreundschaft. In dieser Zeit entsteht eine grosse Anzahl von Holzskulpturen – von beiden Künstlern.
In der Silvesternacht 1924/25 gründet Scherer mit seinen Basler Künstlerfreunden Albert Müller und Paul Camenisch im Mendrisiotto die Künstlervereinigung
>Rot-Blau. Die Gruppe kann ihre Werke 1926 im Kunsthaus Zürich präsentieren.
Scherer selbst hält sich nun grösstenteils im
Tessin auf, ist aber 1926 auch auf der Internationalen Kunstausstellung in Dresden mit einer seiner Holzskulpturen vertreten. Noch im gleichen Jahr erkrankt er ernsthaft und muss ins Bürgerspital Basel eingeliefert werden. Am 13. Mai 1927 erliegt Scherer einer Streptokokken-Infektion – er wird nur 34 Jahre alt.
1928 richtet ihm die Kunsthalle Basel eine grosse Gedächtnisausstellung aus. Einige seiner Werke werden 2021 in Winterthur auch an der Ausstellung >Expressionismus Schweiz gezeigt.
Titelbild (Ausschnitt)
Hermann Scherer (1893-1927).
Die Schlafenden, 1924.
Ludwig Museum Köln.
Hermann Scherer (1893-1927). Frauenkopf und Akt (Bildhauerin), 1911-1927. Holzschnitt auf Japanbütten-Papier. Bündner Kunstmuseum Chur, Sammlung Werner Coninx.
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Kaum Frühwerke erhalten
Nach seiner Steinmetzlehre in der Lörracher Werkstatt Schwab arbeitet Scherer bei den Basler Bildhauern Carl Gutknecht, Otto Roos und von 1918-1921 bei >Carl Burckhardt.
Mit den in dieser Zeit erschaffenen Werken – die meisten in klassischem Stil – scheint der Künstler nicht glücklich gewesen zu sein. Er zerstört sie grösstenteils. Ob irgendwo noch Werke aus dieser Zeit vorhanden sind, ist nicht bekannt.
Um 1922 besucht Scherrer im Kunsthaus Zürich eine Retrospektive von >Edvard Munch. Dessen Bilder müssen ihn so beeindruckt haben, dass er sich entschliesst, Maler zu werden. Er versucht sich nun in Akten, Porträts und Landschaften.
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Hermann Scherer (1893-1927). Mutter und Kind, 1924. Aargauer Kunsthaus Aarau.
Totenklage, 1924-25. Kunsthaus Zürich.
Mann und Weib, 1924. Bündner Kunstmuseum, Chur.
Die Schlafenden, 1924. Museum Ludwig Köln.
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1924-25: Die Zeit der Holzskulpturen
Im Sommer 1923 bekommt Hermann Scherer eine Einladung zu einem Arbeitsaufenthalt – von einem der bedeutendsten deutschen Expressionisten, der schon seit 1917 in der Schweiz lebt, wo er sich zur Kur befindet: >Ernst Ludwig Kirchner.
Kirchner lädt Scherer in sein Haus in Frauenkirch bei Davos ein. Damit beginnt eine Künstlerfreundschaft und eine fruchtbare Zusammenarbeit. Es entstehen unzählige Holzskulpturen – von beiden Künstlern. Scherer lässt sich von Kirchner inspirieren und übernimmt dessen Konzept der «taille directe» (darunter versteht man eine direkte Bearbeitung von Baumstämmen).
Ab Frühjahr 1924 ist Scherer wie besessen von dieser – für ihn – neuen Kunst. In einem wahren Schaffensrausch erstellt er bis 1926 mehr als zwanzig solcher Holzskulpturen und rund 100 Holzschnitte.
Viele seiner plastischen Werke – die meisten farbig bemalt – drücken Angst und Bedrohung aus, aber gleichzeitig auch das Verlangen nach Liebe und Geborgenheit.
Ob das nun ein Kleinkind ist, das sich an die Beine seiner verängstigten Mutter klammert oder eine verstörte Frau, die Schutz in den Armen des Mannes sucht (der allerdings auch selbst ziemlich verunsichert wirkt) – die Elemente einer unbekannten Bedrohung von aussen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Holzskulpturen Scherers. Zu diesem Faden gehören auch die nackten und schutzlosen Körper, die die Bedrohungslage noch spürbar verstärken.
Eine wohltuende Ausnahme bildet das nackte Paar «Die Schlafenden», das im Museum >Ludwig Köln zu den Highlights der Sammlung gehört.
In diesem Werk lässt Scherer für einmal Ängste und Bedrohung weg und zeigt einen entspannten Mann und eine im Schlaf glückselig strahlende Frau.
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Hermann Scherer (1893-1927). Der Maler, 1925. Privatsammlung. Ausstellung Kunstmuseum Winterthur 2021.
Hermann Scherer (1893-1927). Mendrisiotto mit Kirche von Obino, 1926. Merzbacher Kunststiftung Zürich. |
Expressionistisches
Unschwer zu erkennen, dass sich Scherer auch in der Malerei vom Stil >Ernst Ludwig Kirchners hat inspirieren lassen. Die knalligen Farben und die expressionistische Darstellung von Figuren und Landschaften ähneln sich sehr.
Scherer ist nicht der einzige Künstler, den Kirchner in den Bann zieht. Auch der Zürcher Paul Camenisch und der Winterthurer Albert Müller bewundern seine Werke und besuchen Kirchner regelmässig in Davos.
Sie sind von seinen expressionistischen Werken so begeistert, dass sie Ende 1924 im Mendrisiotto eine eigene expressionistische Künstlergruppe unter dem Namen Rot-Blau gründen. Zu dieser stossen später noch der Burgdorfer Werner Neuhaus und der Basler Otto Staiger.
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Fotogalerie
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