Ausstellung «apropos Hodler».
Kunsthaus Zürich vom 8.3. bis 30.6.24.


 

Die gemischte Ikone Hodler

 

Darf man Hodler «mixen»? Und ist das trotzdem noch eine Hodler-Ausstellung? Aber ja doch. Immerhin sind vom Meister stolze sechzig Werke zu sehen, darunter einige seiner berühmtesten. Dazu kommen jetzt noch dreissig Arbeiten von zeitgenössischen Künstler:innen – die mit Hodler in ein Wechselspiel treten sollen.

 

 

Ausstellungsplakat

 

 

Nicht einfach. Wie kann man zeitgenössische Künstler in einen Bezug zur Ikone Hodler setzen? Oder – wie es so schön heisst – diese mit ihm in einen Dialog treten zu lassen? Vier Themenkreise sollen ein Band schmieden: Landschaften, Körperlichkeiten, Zugehörigkeiten, Rätselhaftigkeit. Das Publikum schaut sich die Bilder an, vergleicht – und verharrt zwischen verwirrt und überfordert.

 

Die Aufgabe ist aber auch kaum lösbar, zumal man noch einen Dialog über Klimawandel und den Umgang mit Ressourcen in Gang bringen will. Mit Hodler? Zu seinen Zeiten waren das doch noch gar keine Themen.

 

Das Gute an der Durchmischung ist dies: Die Gruppenausstellung bietet jungen Künstlern die Chance, ihre Werke im Kunsthaus ausstellen zu können. Für die meisten von ihnen wäre die Hoffnung auf eine Einzelausstellung im Kunsthaus wohl Wunschdenken. Aber so dürfen sie jetzt ihre Arbeiten zeigen.

 

 

Ausstellungsansicht

 


Veilleicht schaffen sie es ja zu Anerkennung und zu Berühmtheit. Schliesslich war Hodler auch nicht immer «berühmt» oder «geschätzt». Und schon gar nicht jene «Ikone», als die man ihn heute sieht. Er war als Künstler durchaus umstritten und am Anfang seiner Malerkarriere musste er bös unten durch.

 

Als junger Künstler lebte er jahrelang im Elendsviertel von Genf am Rande des Existenzminimums, porträtierte andere Gescheiterte, tauschte Bilder gegen Mahlzeiten.
Aber er gab nie auf. Erst mit 36 Jahren landete er dann seinen ersten Coup, mit dem Bild «Die Nacht» von 1889 (in der Ausstellung nicht zu sehen). Es war ein «Skandalbild», mit dem er seine Karriere lancierte. Von den Genfer Behörden verboten, dafür aber in Paris, Berlin und Wien gefeiert.

 

 

Ferdinand Hodler (1853-1918). Die Nacht, 1889-90. Kunstmuseum Bern.

 


Ab da hagelte es für Hodler Ehrungen und Anerkennungen, er bekam Ausstellungen in Paris, München, Venedig. In Zürich gewann er den Wettbewerb für historische Monumentalgemäle im Landesmuseum. An der Weltausstellung 1900 in Paris gabs Goldmedaillen. Auf einmal galt er als einer der führenden Maler in Europa.

 

Vielleicht macht ja auch der eine oder die andere der im Kunsthaus Zürich gezeigten zeitgenössischen Künstler:innen den Weg zur Ikone – wer weiss.

 

 

Sabian Baumann (1962 Zug).
Näher beim Mond, 2020. Galerie
Mark Müller, Zürich.

 

 

Milva Stutz (1985 Zürich). Lapdog,
2021. Kunstsammlung Kanton Zürich.

 

 

Sabian Baumann (1962 Zug).
Radieschen, 2020. ZKB.

 

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Nicolas Party (1980 Lausanne), Mountain, 2024.
Gallerien Gregor Staiger und Hauser & Wirth.

In der Mitte:

Ferdinand Hodler (1853-1918). Lied in der Ferne,
1914. Kunsthaus Zürich.

Rechts aussen:

Ferdinand Hodler (1853-1918).

Der bewunderte Jüngling, 1903. Kunsthaus Zürich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ferdinand Hodler (1853-1918). Selbstbildnis (Der Studierende), 1874. Kunsthaus Zürich.

 

Ferdinand Hodler (1853-1918). Selbstbildnis 1892. Kunsthaus Zürich.

 

Hodlers Liebe zu den Selfies

 

Zu Hodlers Zeit (1853-1918) war es noch keinesweg in Mode, von sich selbst Bildnisse zu erstellen. Er muss Selfies geliebt haben – nur wenige Künstler haben sich so oft selbst porträtiert wie er. Das älteste Porträt stammt aus dem Jahr 1874, da war er 21 Jahre jung. Es zeigt ihn als Studenten, umgeben von Büchern und Instrumenten. Offenbar will er damit auf seine Bildung hinweisen. Auf diesem Porträt wirkt er allerdings noch wenig selbstsicher.

 

Ganz anders das Porträt, das er von sich rund zwanzig Jahre später malt: 1892. Da ist er knapp vierzig und strotzt vor Selbstbewusstsein. Er ist gestärkt aus einem Skandal herausgekommen, das sein Gemälde von 1889 >Die Nacht verursacht hat.

 

«Die Nacht» ist das Bild, mit dem er seinen ersten Durchbruch als Künstler schafft. Nach langen mageren Jahren gelingt Hodler mit diesem Ölgemälde der grosse Coup.

 

Es symbolisiert die Angst der Nacht und zeigt sieben Schlafende, darunter den Künstler selbst. Und auch seine Ehefrau Bertha und seine Geliebte Auguste Dupin. Der Skandal ist sozusagen vor-programmiert. Die Genfer Behörden verweigern die Zulassung zu einer Kunstausstellung.


 

Ferdinand Hodler (1853-1918). Das Turnerbankett, 1877-78.
Kunsthaus Zürich.

 

Ferdinand Hodler (1853-1918). Das Turnerbankett, 1877-78. Detail.
Kunsthaus Zürich.

 

 

1877: Das Turnerbankett – der Klassiker

 

Für Hodler ein doppelter Primeur: Erstens malt er zum ersten Mal eine Mehrfigurenkomposition, zum zweiten wählt er ein Grossformat (228 x 355 cm !). Anlass dafür ist das 100-Jahre-Jubiläum der Société des Arts de Genève, die einen Zeichenwettbewerb ausschreibt. Hodler wählt als Sujet das Turnerbankett, weil es eine «erzieherische und identitätsstiftende Funktion ausstrahle».

 

Der patriotische Gedanke des Turnens hat mit dem 1874 eingeführten «Knabenturnen» zu tun, das der Vorbereitung auf den Militärdienst dient.

 

Auf dem Gemälde kommen auch Frauen vor: ganz im Hintergrund (unter der Hand des Redners) und ganz klein: sie verteilen das Essen für die Turner.

 

Als Modelle dienten Hodler einige seiner Mitschüler.

Der Redner ist Marc-Louis Dufaux, der dem Cercle des Beaux-Arts von 1876 bis 1877 als Präsident vorstand.

 

 

Ferdinand Hodler (1853-1918). Die Wahrheit, 1903. Kunsthaus Zürich.

 

1903: Die nackte Wahrheit

 

Die nackte Frau symbolisiert die Wahrheit, vor der die dunklen Mächte fliehen müssen. Hodler hat dieses Sujet zweimal gemalt. Die erste Fassung 1902, die Version II 1903. Die erste Fassung sieht eher wie ein rudimentärer Entwurf aus, die zweite dagegen ist fein ausgearbeitet. 

 

 

>mehr über die Wahrheit I und II

 

 

Ferdinand Hodler (1853-1918).
Der Grindelwald-
gletscher, 1911-12. Kunsthaus Zürich.
 

 

1911: Der Grindelwaldgetscher

 

Bereits zu Hodlers Zeiten ist der Grindelwald-Gletscher touristisch erschlossen. Er ist deshalb ein beliebtes Künstlerthema. Der berühmte Alpenpionier >Caspar Wolf malte ihn schon 1777, aber da war der Gletscher noch kein Touristenziel und musste mühselig erklettert werden.

 

Hodler interessierte sich stark für geologische Formationen, die er in vielen seiner Landschaftsbilder unterbrachte. In diesem Werk trennt er das Eis und die Gesteinsmassen klar voneinander. Heute ist der untere Teil des Gletschers nicht mehr vorhanden – und auch der obere Teil ist mehr und mehr im Schwinden begriffen.

 

 

Ferdinand Hodler (1853-1918). Genfersee mit
Mont-Blanc am frühen Morgen, 1918. Kunsthaus Zürich.

 

 

 

 

1918: Genfersee mit Mont-Blanc

 

Eine Lichtmalerei. Die aufgehende Sonne versteckt sich noch hinter den Bergen, ihr Licht spiegelt sich aber schon im Genfersee. Die Silhouetten sind scharf geschnitten, jede Gesteinsformation ist deutlich erkennbar. Links ist der Môle zu sehen, rechts das Mont-Blanc-Massiv.

 

Das Gemälde entsteht im Todesjahr des Künstlers und wird noch im gleichen Jahr ausgestellt. 1925 wird es in der Ausstellung der Dresdener Galerie Arnold gezeigt, dann auch noch in der Modernen Galerie Thannhauser in München.

 

 

>mehr über Ferdinand Hodler

 

 

 

Hodler-Werke Ausstellung, chronologisch

 

 

Weitere Künstler:innen in der Ausstellung

 

Relax (Chiarenza & Hauser & Co, 1983 Zürich). Je suis une femme, pourquoi pas vous?, 1995-2001. Pigmentdruck auf Fotopapier. Courtesy of the artists.
Format
240 x 163 cm.

 

RELAX (Chiarenza & Hauser & Co)


Relax ist ein Künstlerkollektiv, das 1983 von
Marie-Antoinette Chiarenza
(geboren 1957 in Tunis), und Daniel Hauser (geboren 1959 in Bern) gegründet wurde. Chiarenza ist seit 2010 Dozentin an der Genfer Hochschule für Kunst und Design. Sie unterbrach ihr Kunst- und Philosophiestudium, Hauser sein Studium der Geschichte.

 

Ihre Kunst betreiben die beiden mit ironischem Augenzwinkern. Bekannt ist auch ihre Aktion von 1998: Damals verkauften sie Zehn-Franken-Noten für neun Franken an Passanten auf dem Zürcher Paradeplatz.

 

Auch die geschlechts-spezifische Rollenverteilung wird immer wieder hinterfragt, wie in dieser Fotografie «Je suis une femme, pourquoi pas vous?» von 1995/2001.

 

 

>mehr über Hodlers Holzfäller

 

 

 

Nicolas Party (1980 Lausanne), Red Forest, 2024. Kunsthaus Zürich, Gallerien Gregor Staiger und Hauser & Wirth.

 

 

Nicolas Party (1980)

 

In diesem über sieben Meter breiten Werk zeigt der Lausanner einen brennenden Wald. Kombiniert wird das Gemälde mit einem Bild von Hodler – aber kein Landschaftsbild, sondern einen Krieger mit Hellebarde, 1895.

 

Die Aussage des Künstlers Party: Hodlers Krieger bekämpft hier keine Armee mehr, sondern durch den Klimawandel verursachte Waldbrände.

 

Sabian Baumann (1962 Zug). Selbst mit Blumen und Tieren, 2013. Privatbesitz.

 

Sabian Baumann (1962)

 

Der Zuger lebt und arbeitet in Zürich. Er studiert von 1987 bis 1991 Bildende Kunst an der Hochschule für Gestaltung und Kunst (heute ZHdK) in Zürich. 2001–2020 unterrichtet er an der F+F Schule für Kunst und Design in Zürich. Sein Gesamtwerk besteht aus skulpturalen, filmischen und installativen Arbeiten sowie aus zeichnerischen Arbeiten.

 

Sein Beitrag für die Ausstellung ist unter anderem ein Selbstbildnis (Hommage an Hodlers Freude an Selfies?) der besonderen Art: Baumanns Körper liegt gequetscht unter einem Wal, einem Schwein, einem Pelikan und einem Käfer...

 

Die Ausstellung zeigt noch eine ganze Reihe weiterer Arbeiten von Sabian Baumann (siehe >Fotogalerie).

 

 

Andriu Deplazes (1933 ZH). Zwei Körper, zwei Bäume und See, 2018. Galerie Peter Kilchmann, Zürich.

 

Andriu Deplazes (1933)

 

Das Werk des Zürchers ziert das Ausstellungsplakat. Was stellen die Zwei Körper, zwei Bäume und See dar? Die Landschaft dürfte frei erfunden sein. Aber wofür stehen die roten, toten Bäume? Und was bedeuten die nackten Figuren mit ihren Glotzaugen?

 

Alles bleibt rätselhaft – auch die Frage nach einer Verbindung zu Hodlers Werken. Könnte der symmetrische Bildaufbau etwas mit Hodlers >Parallelismus zu tun haben?

 

 

 

Caroline Bachmann (1963 Lausanne). Lune avec cercle, 2020. Galerie Gregor Staiger, Zürich.

 

 

Caroline Bachmann (1963)

 

Mit der Landschaftsmalerei beschäftigt sich die 1963 in Lausanne geborene Künstlerin seit den 2000er-Jahren. Sie beobachtet die Natur und hält die Stimmungen in Skizzen fest, um diese dann im Atelier zu verarbeiten.

 

Die Nacht und die Morgendämmerung sind ihre liebsten Tageszeiten. Sie arbeitet gerne in Cully am Lac Léman, wo sie Berge, See, Himmel, Wolken und Gestirne beobachtet. Ihr Mond mit Kreis entstand 2020 und zeigt nicht die Natur, sondern präsentiert sich ziemlich abstrakt.

 

 

Fotogalerie div. Künstler in der Ausstellung

 

>weitere Ausstellungen im Kunsthaus Zürich