Ausstellung «Matisse, Derain und ihre Freunde.

Die Pariser Avantgarde 1904-1908».
Kunstmuseum Basel, 2.9.23 bis 21.1.2024.

 

 

Die Pariser Avantgarde 1904-1908

 

Die Fauves, die «wilden Bestien», bilden die erste Avantgarde-Bewegung des 20. Jahrhunderts. Ihr harter Kern besteht aus Henri Matisse und André Derain. Diese zwei begründeten den Fauvismus. Ihr Ziel: Die Befreiung der Malerei aus ihrem starren akademischen Regelwerk.

 

 

 

 

Die Pariser Avantgarde der Jahre 1904 bis 1908

geht aber weit über die zwei berühmten Fauvisten hinaus. Viele andere Künstler, die sich schon in den 1890er-Jahren in der Pariser >Ecole des Beaux-Arts getroffen hatten (Klasse von >Gustave Moreau wie

Manguin, Marquet, Camoins, Puy u.a.), suchten ebenfalls die Abkehr von der akademischen Malerei.

 

Und dann gab es 1904-1908 auch Ausländer, die in Paris malten. Wie >Wassily Kandinsky, >Gabriele Münter, >Alexej von Jawlensky oder >Marianne von Werefkin. Auch sie experimentierten mit neuen Stilen.

 

Sogar die Mitglieder der 1905 in Dresden gegründeten
deutschen Künstlervereinigung >Brücke befassten sich mit ähnlichen Konzepten und bezogen sich teilweise auf die Bilder der Fauves.

 

Welche Rolle spielten Künstlerinnen? Keine bedeutende. Sie hatten Glück, wenn sie mitspielen durften, wurden aber von den männlichen Kollegen selten ernst genommen. Eine starke Rolle spielte die Galeristin Berthe Weill, die als eine der ersten Frauen 1901 in Paris eine Galerie eröffnet hatte. Nun wurde zu einer wichtigen Förderin der Fauves und unterstützte auch junge Künstlerinnen. Mit Emilie Charmy, von der sie sich 1910 porträtieren liess, pflegte sie eine langjährige Freundschaft. Auch Marie Laurencin bot sie mehrere Ausstellungen in ihrer Galerie. «Mère Weill», wie sie liebevoll genannt wurde, war eine Pionierin des Kunsthandels der Moderne.

 

 

Charles Camoin (1879-1965). Madame
Matisse faisant de la tapisserie, 1904.
Musée d'Art Moderne de Strasbourg.

 


Starke Frauen in der Zeit der Avantgarde wirkten vor allem hinter den Kulissen. Wie Amélie, die Gattin von Henri Matisse (hier in einem Bild von Charles Camoin). Sie war nicht nur eine begabte Modistin mit eigenem Hutgeschäft, sondern ermöglichte es ihrem Mann überhaupt erst, als Maler unterwegs zu sein. Als seine Kunst noch wenig einbrachte, war es Amélies Geschäft, das die fünfköpfige Familie ernährte.

 

Die Ausstellung im Kunstmuseum Basel ist ein echter Augenöffner. Sie zeigt in einer prächtigen und überraschend umfassenden Schau, wie vielschichtig die Werke der Pariser Avantgardisten sind.

 

Zudem fördert sie ein gewisses Verständnis für jene akademisch gebildeten Kunst-Puritaner um die Jahrhundertwende, die das «wilde Geschmiere» der Fauvisten schrecklich fanden.

 

Ein Beispiel aus der Ausstellung gefällig?

Zweimal Matisse. Das erste Gemälde aus dem Jahr 1904. Ein aufwändigst herausgearbeitetes Bild im Stil des Divisionismus, mühselig aufgebaut aus tausenden von akribisch gesetzten Farbpunkten...

 

 

Henri Matisse (1869-1954). Luxe, calme et

volupté, 1904. Detail. Centre Pompidou Paris.

 

 

Henri Matisse (1869-1954). La Plage rouge,
1905. Privatsammlung.

 

...und dann, ein Jahr später, 1905, vom gleichen
Künstler ein solches – ja, man darf es sagen – Geschmiere! In Minuten hingepinselt, ohne jede Liebe zum Detail. Man kann verstehen, dass die Leute damals geschockt waren. Noch mehr geschockt wären sie, wenn sie wüssten, dass hundert Jahre später solche Werke zu Millionenbeträgen gehandelt werden.

 

 

 

>mehr über den Fauvismus

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

André Derain (1880-1954).

La Danse, 1905-06.
Privatsammlung Basel.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

André Derain (1880-1954). Le Port de Collioure, 1905. Staatsgalerie Stuttgart.

 

Académie Matisse mit Studenten, 1910. ©Archives Henri Matisse, Issy-les-Moulineaux.

 

Henri Matisse (1869-1954). Intérieur à Collioure (La Sieste), 1905. Sammlung Merzbacher, Kunsthaus Zürich.
 

 

Maurice de Vlaminck
(1876-1958).
Nu rouge, 1905. Privatsammlung.
 
 

 

Les Fauves – die wilden Bestien

 

1904 treffen sich Derain, de Vlaminck und Matisse im Pariser Vorortstädtchen Chatou und sind sich einig: Die Malerei muss neue Wege gehen.

 

1905 verbringen >Henri Matisse und >André Derain den Sommer zusammen am untersten Zipfel von Südfrankreich, fast an der Grenze zu Spanien, in >Collioure.

 

In diesem lauschigen Fischerdörfchen lassen sie ihrer Lust auf unbekümmertes Malen freien Lauf – alles losgelöst von herkömmlichen akademischen Vorgaben. Als die Werke am Salon d'Automne 1905 ausgestellt werden, verursachen sie einen Skandal.

 

Der Pariser Kunstkritiker Louis Vauxelles prägt den berühmten Satz: «Seht nur, Donatello unter den Fauves! (wilde Bestien)». Mit dieser Aussage, eigentlich als harsche Kritik gedacht, prägt er den Begriff Fauvismus.

 

In der Folge wurden vor allem Matisse's Werke eingehend studiert und zahlreiche Künstler der Pariser Avantgarde nahmen sich seinem Stil an.

 

1908 eröffnete Matisse in Paris seine eigene Privatakademie mit internationalen Schülern. Dann veröffentlichte er seine >Notes d'un peintre, in denen er seine Malerei theoretisch erläuterte (und verteidigte).

 

Lange war der Fauvismus aber nicht unterwegs. Schon ab 1908 franste die Bewegung langsam aus und etliche der Fauvisten zogen nach Montmartre ins Atelierhaus Bateau-Lavoir, wo auch Picasso arbeitete. Nun brach die Zeit des >Kubismus an.

 

 

 

>mehr über den Fauvismus

 

 

>Ausstellung Les Années Fauves, Gianadda 23

 

 

 

 

Werke von Derain/Matisse/Vlaminck

 

Charles Camoin (1879-1965).
Nu aux bottines noires, 1907. Privatsammlung.

 

Kees van Dongen (1877-1968). Modjesko, Soprano Singer, 1908. The Museum of Modern Art, New York.

 

 

Die Avantgarde im Pariser Nachtleben

 

Viele Bilder der fauvistischen Avantgarde entstanden nicht nur im Freien und im Umkreis von Collioure, sondern auch in der Stadt. Vor allem im Pariser Quartier Montmartre, das sowohl ein Künstlerviertel als auch das Zentrum des Pariser Nachtlebens und der Prostitution war.

 

Camoin, Derain und Kees van Dongen hatten ihre Ateliers in der Nähe der berühmten Konzertsäle, Variétés und Tanzlokale. Da lag es nahe, dass sie dort auch ihre Modelle suchten und fanden. Es enstanden zahlreiche Porträts von Prostituierten, Sängerinnen und Tänzerinnen.

 

Kees Van Dongen porträtiert hier den afroamerikanischen Dragperformer Claude Modjesko, der in Variétés unter dem Künstlernamen «Black Patti» und «Patti Créole» auftrat.

 

In der Presse wurde Modjesko mal als Mann, mal als Frau vorgestellt, stets hervorgehoben wurde aber seine schwarze Hautfarbe. Der Künstler Kees Van Dongen umging diese rassistische Haltung, indem er der «Sopranistin» einen knallgelben Körper verpasste.

 

 

 

Henri Manguin (1874-1943). La Gitane à l'atelier, 1906. Musée de l'Annonciade, Saint-Tropez.

 

Albert Marquet (1875-1947). Matisse dans l'atelier de Manguin, 1905. Centre Pompidou Paris.

 

Akte von Manguin und Marquet


Die Urzelle des Fauvismus liegt in der Pariser
>Ecole des Beaux-Arts, und zwar in der Klasse von >Gustave Moreau, dem «Vater des französischen Symbolismus», der die schönsten Werke aus der griechisch-römischen Mythologie schuf.

 

Hier bildete sich in den 1890er-Jahren ein Freundeskreis junger Künstler wie Henri Matisse, Charles Camoin und Jean Puy, aber auch Henri Manguin und Albert Marquet.

 

Die Künstler trafen sich sogar nach ihrer Studienzeit, um gemeinsam vor ihren Modellen zu arbeiten. Dabei versuchten sie, in ihren Akten von der naturgetreuen Wiedergabe der menschlichen Figur abzukommen.

 

Henri Manguins «Gitane à l'atelier» zeigt, wie sich der Künstler das vorstellte. Die Haut seines Modells durfte ganz neue Farben aufweisen – von zartem Grün über kräftiges Violett bis zu orangen Bäckchen. Und Albert Marquets stehende Nackte in Matisses Atelier nimmt die Idee der Fauves auf, indem er seine Figur mit einer kräftigen blauen Kontur versieht – so wie es auch schon viele Jahre vorher Cézanne (vielleicht) schon gemalt hätte.

 

 

 

André Derain (1880-1954). La Tamise et Tower Bridge, 1906. Aus der Werkreihe London Paintings. Privatsammlung.

 

 

Fauvistisches auch aus London


Werkserie «London Paintings». André Derain schuf sie im Auftrag des Kunsthändlers Ambroise Vollard. Sie zeigt Londons Stadtlandschaften und das Leben an der Themse.

 

Auch wenn die Bilder etwas Fauvistisches ausstrahlen, unterscheiden sie sich grundsätzlich von den Arbeiten in Collioure, denn sie wurden nicht im Freien gemalt, sondern nach Skizzen vor Ort mehrheitlich im Atelier in Paris vollendet.

 

 

Wassily Kandinsky (1866-1944). Murnauer Landschaft, 1908. Kunstmuseum Basel.

 

Gabriele Münter (1877-1962). Griesbräu, obere Hauptstrasse Murnau, 1908. Kunstmuseum Basel.

 

Wassily Kandinsky und Gabriele Münter

 

Der Fauvismus spielte in der internationalen Entwicklung der Kunst der Moderne in Europa eine wichtige Rolle. Vor allem als Aufruf zur Veränderung.

 

Künstlerinnen wie >Wassily Kandinsky, >Gabriele Münter, >Alexej von Jawlensky und >Marianne von Werefkin malten zur selben Zeit auch in Paris. Viele ihrer Werke enthalten Fauvistisches.

 

Auch die Mitglieder der 1905 in Dresden gegründeten Künstlervereinigung >Die Brücke befassten sich mit dem Fauvismus und kombinierten ihn mit dem Expressionismus. Oder waren zumindest auf der Linie mit den Fauvisten, indem sie die althergebrachten Formen der akademischen Malerei verliessen.

 

So gesehen, haben die Fauvisten der internationalen Moderne einen enormen Impuls gegeben. Auch in Grossbritannien und den USA wurde mit
dem Fauvismus experimentiert.

 

 

Marie Laurencin (1883-1956). Diane à la chasse, 1908. Musée Marie Laurencin, Tokyo.

 

Emilie Charmy (1878-1974). Autoportrait, 1906. Galerie Bernard Bouche, Paris.

 

 

 

 

«La biche parmi les fauves»

 

So nannte man die Künstlerin Marie Laurencin («die Hirschkuh unter den Fauves»). Oder «la fauvette». Sie war zwar Mitglied im avantgardistischen Bund, wurde aber von den Männern nicht wirklich ernst genommen. In «Diane à la chasse» zeigt Laurencin ihr Alter Ego: Die Jagdgöttin, dargestellt als selbstbewusste Herrscherin.

 

Auch in Zeiten der Avantgarde war es ziemlich mutig, sich in einem Selfie mit entblösster Brust zu malen. Aber Emilie Charmy, die auch Porträts von Prostituierten malte, war eine Kämpferin. Sie verstand ihr Selbstporträt als bewusste Aktion gegen die patriarchal geprägte Gesellschaft. Sie zeigte damit, dass sie über ihren Körper selbst bestimmte und dass sie nicht bereit war, sich an soziale Normen zu halten. In Berthe Weill, der bekannten Pariser Galeristin, hatte Charmy eine wichtige Unterstützerin und Förderin.

 

 

 

Fotogalerie weitere Avantgardisten

(ohne Derain/Matisse/deVlaminck)

 

>mehr über den Fauvismus

 

>Ausstellung Martigny/Gianadda: «Les Années fauves»