Les «Fauves» – die jungen Wilden

 

Die altehrwürdigen Pariser Kunstakademiker waren geschockt und Kritiker beschimpften sie als «wilde Bestien» (fauves). Weil sie einfach drauf los malten und vor nichts Respekt hatten. Schon gar nicht vor traditionell-klassischen Vorgaben.

 

Der Fauvismus ist die erste Avantgarde-Bewegung

des 20. Jahrhunderts. Begründet um 1904 von Künstlern wie Henri Matisse, André Derain, Maurice de Vlaminck (und weiteren), wird er anfangs von allen Seiten beschimpft und geschmäht.

 

Eine eindeutige, klar defininierte Maltheorie weist der Fauvismus nicht auf. Sein Hauptmerkmal ist der neue Umgang mit starken Farben, die pastös aufgetragen werden und nicht (mehr) unbedingt den Vorgaben der Natur entsprechen müssen. Das gilt sowohl für Landschaften als auch für Porträts und Akte.


 

André Derain (1880-1954).

Autoportrait à la casquette, 1905.

Privatsammlung.

 

 

Nach dem Skandal am Pariser Salon d'Automne 1905 suchten auch Künstler aus Le Havre die Nähe zu den Fauves, darunter Georges Braque, Raoul Dufy und Othon Friesz. Mehrmals reisten Derain, Braque und Friesz nach L'Estaque, einem Dorf in der Nähe von Marseille. Ihre Motive waren Küsten und Badeorte.

 

Wegen der schnellen Malweise und der flächigen Wirkung der Bilder wurden diese Maler von der Kunstkritik auch als «Affichistes» (Plakatmaler) verunglimpft.

 

Henri Matisse, der Kopf der Fauvisten, stand unter besonderer Beobachtung und wurde zum Taktgeber. 1908 eröffnete er in Paris seine eigene Privatakademie mit internationalen Schülern. Dann schrieb er seine >Notes d'un peintre, in denen er die fauvistische Malerei «theoretisch» erläuterte (und auch verteidigte). Seine «notes» wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

 

 

Die Académie Matisse mit Studenten, 1910.
©Archives Henri Matisse, Issy-les-Moulineaux.

 

 

 

André Derain (1880-1954). Vue de
Collioure, 1905. Museum Folkwang, Essen.

 

 

 

Lange waren die Fauvisten nicht unterwegs. Schon ab 1908 franste die Bewegung langsam aus und etliche von ihnen zogen nach Montmartre ins Atelierhaus Bateau-Lavoir, wo auch Picasso arbeitete. Nun brach die Zeit des >Kubismus an.

 

 

 

 

 

>mehr über Collioure (PDF)

 

>Fotogalerie Collioure

 

>La naissance du fauvisme (YouTube-Video)

 

>Ausstellung Basel: Pariser Avantgarde 1904-1908

 

>Les Années Fauves, Ausstellung Gianadda

 

 

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

André Derain (1880-1954).
Le Port de Collioure, 1905.

Staatsgalerie Stuttgart.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Collioure, das Fischerdörfchen in Südfrankreich.
Von André Derain (1880-1954). Le Port de Collioure, 1905. Staatsgalerie Stuttgart.

 

 

 

Henri Matisse (1869-1954). Intérieur à Collioure (La Sieste), 1905. Sammlung Merzbacher, Kunsthaus Zürich.

 

 

Henri Matisse (1869-1954). Intérieur à la fillette (La Lecture), 1905-06. The Museum of Modern Art New York.

 

Maurice de Vlaminck (1876-1958). Bords de la Seine à Carrières-sur-Seine, 1906. Kunstmuseum Basel.

 

Die Anfänge des Fauvismus

 

Als Geburtsort gilt gemeinhin >Collioure, ein kleines Fischerdörfchen in Südfrankreich nahe der spanischen Grenze. Aber eigentlich hat der Fauvismus seine Wurzeln in der Pariser >Ecole des Beaux-Arts, genauer

 

in der Klasse von >Gustave Moreau, wo sich in den 1890er-Jahren ein Freundeskreis um Matisse, Manguin, Marquet, Camoins und Puy gebildet hatte.

 

Um 1900 herum freundeten sich >André Derain und

>Maurice de Vlaminck an. Die beiden mieteten ein gemeinsames Atelier im Pariser Vorort Chatou – wo sie aufgewachsen waren. Gemeinsam erprobten sie an den Ufern der Seine neue Möglichkeiten der Farbgestaltung.

 

Im Winter 1904 besuchte >Henri Matisse die beiden in Chatou. Die drei Künstler stellten bald fest, dass sie ähnliche bildnerische Strategien verfolgten, sie tauschten sich aus und experimentierten mit neuen Farben. Einig waren sie sich vor allem in einem: Sie wollten einen neuen Weg gehen – weg von der akademischen Malerei.

 

Im Sommer 1905 reiste Matisse in das weit abgelegene südfranzösische Fischerdörfchen >Collioure nahe der spanischen Grenze. André Derain schloss sich Matisse an. Die beiden arbeiteten Seite an Seite und entwickelten ihre neue Bildsprache: eine pastose, expressive Malerei mit schnellen, groben Pinselstrichen.

 

Etwa zur selben Zeit arbeiteten in Paris auch andere Künstler in ähnlichem Stil: Henri Manguin, Albert Marquet, Raoul Dufy, Kees van Dongen, Othon Friesz, Georges Braque, Charles Camoin, Jean Puy, Louis Valtat, Georges Rouault und weitere.

 

Der Skandal am Pariser Salon d'Automne 1905

 

Als Werke einiger dieser Künstler am Salon ausgestellt wurden, verursachten sie einen Skandal. Die Akademiker waren geschockt, die Kunstkritiker entsetzt. Als einer unter ihnen, Louis Vauxelles, die wilden Werke neben einer florentinischen Büste sah, rief er empört aus: «Seht her, Donatello au milieu des fauves! (inmitten von wilden Bestien!). Damit war der Begriff Fauvismus lanciert.

 

Aber nicht alle waren entsetzt vom neuen wilden Malstil. Einige Kunstkenner und Kunsthändler erkannten rasch die Bedeutung dieses neuen Stils. Dazu gehörten die Familie Stein – David und Gertrud Stein – und der Kunsthändler Ambroise Vollard.

 

Letzterer erwarb noch im gleichen Jahr die gesamte Werkstatt von Jean Puy und André Derain. 1906 kaufte er auch die Werke von Maurice de Vlaminck und Henri Manguin. Damit machte sich Vollard zum wichtigsten Händler fauvistischer Maler. Er sorgte für den Vertrieb ihrer Werke in Frankreich und im Ausland.

 

 

 

Henri Matisse (1869-1954). La Plage rouge, 1905. Privatsammlung.

 

 

Henri Matisse (1869-1954).
Nu aux souliers roses, 1900. Privatsammlung.

 

 

Matisse: roter Strand und rosa Schuhe

 

Exemplarisch für seine Farbexperimente sind diese beiden Werke. Zum roten Strand sagte der Künstler selbst: «Sie sind ohne Zweifel erstaunt, einen Strand dieses Kolorits zu sehen, in Wirklichkeit bildete ihn gelber Sand. Als ich merkte, dass ich ihn mit Rot gemalt hatte, versuchte ich es am nächsten Tag mit Gelb. Das funktionierte aber überhaupt nicht mehr, so dass ich wieder das Rot auftrug.»

 

Die Nu aux souliers roses beschrieb sein Malerkollege Jean Puy als «koloristischen Durchbruch» mit diesen Worten:

 

«Matisse hat dieses Grau als kräftiges, schwer lastendes Blau präsentiert und die Formen des Modells in Orange. Das war zwar frappierend, aber völlig jenseits der Realität. Matisse zögerte zu dieser Zeit nicht, sich von der Realität so weit zu entfernen, dass es einer Grausamkeit gegenüber dem Auge gleichkam.»

 

 

>mehr über Henri Matisse

 

 

 

André Derain (1880-1954). Schiffe im Hafen von Collioure, 1905. Kunsthaus Zürich, Sammlung Merzbacher.

 

 

 

 

André Derain

 

Kein Zufall, dass auch Derain den Strand von Collioure rot malte – er und Matisse waren sich in ihrer gemeinsamen Zeit in >Collioure punkto Farbgestaltung ziemlich einig. Beide verneinten die Notwendigkeit, die Realität abzubilden.

 

Im Bildaufbau unterscheiden sich die beiden Werke mit dem roten Strand aber deutlich: Während Matisse kleckste, arbeitete Derain Details heraus. Zudem wählte er eine klar erkennbare – klassische – Perspektive mit Vordergrund, Mittelteil und Hintergrund. Derains Bild weist auch noch >divisionistisch/pointillistische Ansätze auf. Diese stammen noch aus seiner Epoche kurz zuvor. Derain lässt sich keinem bestimmten Stil zuordnen, er blieb zeitlebens auf der Suche nach seinem eigenen Stil.

 

 

>mehr über André Derain

 

 

 

 

Werke von Derain/Matisse/Vlaminck

 

Georges Braque (1882-1963). Port de l'Estaque, 1906. Kunstmuseum Basel.

 

Henri Manguin (1874-1943). Le modèle (nu dans l'atelier), 1904-05. Galerie Philippe David Zurich.

 

Albert Marquet (1875-1947). Nu fauve, 1898. Musée des Beaux-Arts, Bordeaux.

 

 

Mehr als Matisse und Derain...

 

Matisse und Derain sind zwar die berühmtesten Aushängeschilder der Fauvisten, aber sie sind bei
weitem nicht allein.

 

Auch andere Künstler wie >Georges Braque, Henri Manguin oder Albert Marquet schlossen sich dieser Bewegung an, die das Ziel hatte, die akademische Malerei zu überwinden.

 

Henri Manguin (1874-1943) brach als 15-jähriger seine Schulausbildung ab, um sich ganz der Malerei zu widmen. 1894 wurde er als «Freier» ins Atelier von >Gustave Moreau aufgenommen. Dort waren Henri Matisse und Albert Marquet seine Mitschüler.

 

Albert Marquet (1875-1947) arbeitete um 1900 herum zusammen mit Matisse an Dekorationen für das Grand Palais der Pariser Weltausstellung. 1902 hatten Marquet und Matisse in der Galerie Berthe Weill ihre erste gemeinsame Ausstellung. Im Pariser Salon d’Automne 1905 stellte Marquet dann gemeinsam mit Maurice de Vlaminck, André Derain und Henri Matisse aus – er war also ein Fauve der ersten Stunde. Das Bild hier entstand schon Jahre vor der Fauve-Zeit, es trägt aber erstaunlicherweise den Titel Nu fauve. Noch hält sich der Künstler an die Farben der Natur.

 

Andere (heute) berühmte Künstler:innen, die in dieser Zeit in Paris malten, wie >Wassily Kandinsky oder >Gabriele Münter, >Alexej von Jawlensky oder >Marianne von Werefkin experimentierten ebenfalls mit dem neuen Stil.

 

Und auch die Mitglieder der 1905 gegründeten
deutschen Künstlervereinigung >Die Brücke befassten sich mit ähnlichen Konzepten und bezogen sich teilweise auf die Bilder der Fauves.

 

 

>weitere «Fauves»

 

 

 

Fotogalerie weitere Avantgardisten 1904-1908

(ohne Matisse/Derain/Vlaminck)

 

 

>Ausstellung Kunstmuseum Basel: Pariser Avantgarde 1904-08

 

>Ausstellung Martigny/Gianadda: «Les Années fauves»