Henri Matisse (1869-1954)


«Haltet euch an die Natur!», predigen seine Lehrer. Das passt ihm gar nicht. «In meiner ganzen Laufbahn habe ich mich gegen diesen Leitsatz aufgelehnt», erklärt Henri Matisse 1951, drei Jahre vor seinem Lebensende. Seine Auflehnung hat zur Folge, dass er auf der ständigen Suche nach neuen Stilen und Ausdrucksformen ist. Und weil diese Suche nie endet, weist seine Karriere als Künstler eine ganze Reihe von Richtungswendungen auf.

 

 

matisse

Henri Matisse

(Foto Carl van Vechten/Wiki)

 

 

Henri Matisse kommt 1869 in Le Cateau-Cambrésis als Sohn eines Getreidehändlers zur Welt. Seine Mutter führt ein Lebensmittelgeschäft und verkauft dort auch Farben. Ihrem Sohn schenkt sie einen Farbenkasten. Henri belegt einen Zeichenkurs und beginnt zu malen. 1889 beendet er sein Jus-Studium und arbeitet als Anwaltsgehilfe in Saint-Quentin.

 

1892 bereitet er sich an der >Académie Julian für die Aufnahmeprüfung an die >Ecole des Beaux-Arts in Paris vor – wird dort aber nicht angenommen. 1895 wird er Schüler des Symbolisten >Gustave Moreau. Unter dessen Anleitung malt Matisse erstmals im Freien.

 

Ab 1899 arbeitet er nach seinen eigenen Ideen und Vorstellungen. 1905 verbringt er zusammen mit
>André Derain
den Sommer in einem lauschigen Fischerdörfchen in Südfrankreich, in >Collioure. Dort entwickeln die beiden jenen Stil, der sich «Fauvismus» nennen wird (mehr im Kasten rechts).

 

1908 gründet er seine eigene Schule in Paris, die «Académie Matisse». Im selben Jahr veröffentlicht er seine >Notes d'un Peintre. Es ist eine Art von «Verteidigungssschrift». Matisse versucht damit, den Kritikern seine Sicht der Dinge darzulegen.

 

Am Ersten Weltkrieg schrammt er gerade noch vorbei: Er meldet sich 1914 zwar freiwillig zum Dienst, wird aber – sein Glück!– abgelehnt.

 

1918 bekommt er seine erste grosse Ausstellung in Paris – zusammen mit Pablo Picasso. Schon damals werden die zwei als die führenden Meister der zeitgenössischen Kunst betrachtet.

 

Nach seiner «Nizza-Periode» (1919-1930) unternimmt Matisse eine Weltreise, die ihn nach New York, Los Angeles und bis nach Tahiti führt. In Philadelphia bekommt er Aufträge für das Anwesen des Sammlers Albert Barnes, wo bereits sein frühes Werk «Die Lebensfreude» hängt.

 

1931 dann der «Ritterschlag» durch das Museum of Modern Art (MoMA) in New York, das Matisse eine Einzelausstellung widmet.

 

Noch während des Zweiten Weltkrieges (1943 – da ist er bereits 74) beginnt Matisse mit seinen berühmten Scherenschnitten und Klebekompositionen, die er für diverse Bücher fertigt. 1945 werden seine Werke im Salon d'Automne in Paris und im Victoria & Albert Museum in London gezeigt.

 

Matisse stirbt 1954 im Alter von 85 Jahren an einem Herzanfall und wird auf dem höchsten Punkt des Friedhofs von Cimiez (Nizza) beerdigt.

 

In Nizza steht seit 1963 auch das Musée Matisse; ein weiteres hat er 1952 in Le Cateau im Norden Frankreichs selbst gegründet: das «Musée Départemental Henri Matisse». Eine weitere umfangreich Matisse-Sammlung führt das Baltimore Museum of Art, Baltimore/USA.

 

 

 

collioure

Wo der Fauvismus erfunden
wurde: Collioure, Südfrankreich.

 

 

>Fotogalerie Collioure

 

>mehr über den Fauvismus

 

>La naissance du fauvisme (YouTube-Video)

 

 

 

 

Matisse-Ausstellungen

 

>Matisse Metamorphosen
Ausstellung Kunsthaus Zürich 2019

 

 

>Matisse, Derain und die
Pariser Avantgarde, KM Basel, 2023

 

 

>Matisse-Ausstellung 2024
Fondation Beyeler Basel-Riehen

 

 

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Henri Matisse(1869-1954).
Odalisque à la culotte grise, 1927.
Musée de l'Orangerie Paris.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
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Henri Matisse (1869-1954).
Nature morte. Buffet et table, 1899. Kunsthaus Zürich.

 

Henri Matisse (1869-1954). Luxe, calme et volupté, Paris, 1904. Centre Pompidou Paris.

 

1899: Anfänge mit Pointillismus

 

Die Sommer 1896 und 1897 verbringt Matisse in der Bretagne, wo er sich mit Landschaftsskizzen und mit dem Impressionismus befasst. 1897 lernt er auch >Camille Pissarro kennen.

 

Am >Salon des Indépendants sieht er erstmals pointillistische Werke von >Paul Signac (1863–

1935), der zusammen mit dem fast gleichaltrigen >Georges Seurat (1859-1891) als Begründer des Pointillismus gilt.

 

Das «Spiel mit der Punktmalerei» muss auch Matisse fasziniert haben. Bevor er 1905 mit seinen fauvistischen Gemälden eine neue Stilrichtung begründet, befasst er sich mit dem Divisionismus und dem Pointillismus – nach seinen eigenen Vorstellungen.

 

 

>mehr über Divisionismus und Pointillismus

 

 

   

 

matisse_collioure

Henri Matisse
(1869-1954).
Vue sur Collioure, 1905.
Hermitage,
St. Petersburg.

 

André Derain (1880-1954). Collioure, 1905. National Galleries Scotland, Edinburgh.

 

vlaminck

Maurice de Vlaminck
(1876-1958). Kartoffelernte, 1905-07. Merzbacher-Sammlung.

 

Matisse und der Fauvismus

 

Den Sommer 1905 verbringt Matisse mit
>André Derain
und an der Südküste Frankreichs am Mittelmeer.

 

Im Fischerdörfchen >Collioure entwickeln die zwei Künstler einen Stil, der als Fauvismus in die Kunstgeschichte eingeht. Allerdings geben sich die Künstler diesen Namen nicht selbst. Im Gegenteil, sie halten die Bezeichnung für eine Beleidigung. Sie stammt nämlich vom Wort «fauve» ab, was in etwa «wilde Bestie» heisst.

 

Wieder einmal ist ein Kritiker dafür verantwortlich. Louis Vauxelles heisst der Mann. Er sieht im Pariser Salon d'Automne von 1905 eine florentinische Büste von Albert Marque und rundherum die Bilder von Matisse, Derain, de Vlaminck und weiteren.

 

Empört ruft er aus: «Seht her, Donatello inmitten von wilden Bestien!» (au milieu des fauves). Aus dem Schimpfnamen wird ein Stil, der zunächst verschmäht, dann berühmt und schliesslich begehrt wird. Was sich in gestiegenen Verkaufspreisen ausdrückt.

 

Die Wurzeln des Fauvismus liegen im Impressionismus, den Matisse aber zu fad findet. Er will seinen malerischen Eindrücken mehr Farbe und mehr Fläche verleihen. Typisch für den Fauvismus sind leuchtende, kräftige Farben. Lange hält der Trend nicht an – nur bis etwa 1908. Bald schon wird er vom >Kubismus verdrängt.

 

 

>mehr über den Fauvismus

 

 

   

 

Henri Matisse (1869-1954). Femme au chapeau, 1905. San Francisco Museum of Modern Art.

 

1905: Femme au chapeau

 

Matisse stellt das Werk am Pariser Salon d'Automne aus. Es ist nicht nur das grösste seiner Gemälde (81x60 cm), sondern auch jenes, das am meisten Beachtung findet – und Ablehnung. Es wird als «fauve» beschimpft. Der Fauvismus braucht noch etwas Zeit, um anerkannt zu werden.

 

Matisse kann das Bild aber verkaufen – an die amerikanische Kunstsammlerin Getrude Stein. Ihr Bruder Leo kauft es für sie für 500 Dollar. Das ist für Matisse ein wichtiger Schritt zur Bekanntheit.

 

Zehn Jahre später verkauft Gertrude Stein die «Frau mit Hut» für bereits stolze 4'000 Dollar. Von diesem «Gewinn» hat der Künstler aber vorerst noch nichts.

 

 

lebensfreude

Henri Matisse (1869-1954). Lebensfreude, 1906. Barnes Foundation.

 

1906: Die Lebensfreude

 

Dieses Werk (Originaltitel «Le bonheur de vivre») wird 1906 im >Salon des Indépendants gezeigt. Es ist heftig umstritten.

 

Der Kunsthändler Leo Stein erkennt aber den künstlerischen Wert und erwirbt es, auch das ein Ritterschlag für Matisse. Stein wird allerdings nicht sein Händler – dieser schwenkt zu Pablo Picasso um. Matisse's Werk verkauft er an den amerikanischen Sammler Albert Barnes.

 

 

Henri Matisse (1869-1954). La fille aux yeux verts, Paris, 1908. San Francisco Museum of Modern Art.

 

1908: Matisse' eigene Malschule

 

Matisse gründet in Paris seine eigene Schule, um eine neue Generation von Künstlern zu fördern. Er will sich von den traditionellen akademischen Methoden distanzieren und den Fokus auf Kreativität, individuelle Ausdrucksformen und die Erforschung von Farbe legen. Die Académie Matisse ist relativ klein und besteht nur bis 1911, doch in dieser kurzen Zeit übt sie einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung der modernen Kunst aus.

 

Matisse' «Verteidigungsschrift» von 1908

 

Zur gleichen Zeit veröffentlicht Matisse seine berühmten Notes d’un peintre (Notizen eines Malers). Diese Schrift gilt als eines der wichtigsten Dokumente, um seine künstlerischen Ansichten und Theorien zu verstehen. Der Essay wurde in der Zeitschrift «La Grande Revue» veröffentlicht. In «Notes d’un peintre» verteidigt Matisse seine Entscheidung, auf starke Farben und vereinfachte Formen zu setzen. Er argumentiert, dass seine Kunst nicht darauf abzielt, die Realität zu imitieren, sondern Gefühle und Stimmungen zu vermitteln.

 

>mehr über die «Notes d'un peintre»

 

 

 

Henri Matisse (1869-1954). Nu à l'écharpe blanche, Paris, 1909. Statens Museum for Kunst, Copenhagen.

 

1910: Wachsender Erfolg

 

Auch der berühmte französische Kunsthändler Ambroise Vollard (als grosser Förderer von Paul Cézanne bekannt) interessiert sich für Matisse und kauft ihm Werke ab.

 

Das ist so etwas wie der Durchbruch für Matisse. Seine Arbeiten werden nach und nach international anerkannt. Er kann nun in renommierten Galerien in Paris, Berlin, Moskau und New York ausstellen. Sein Erfolg in dieser Phase bedeutet auch einen finanziellen Aufschwung.

 

Kunstsammler wie die amerikanische Kunstmäzenin Gertrude Stein und die russischen Sammler Sergei Schtschukin und Iwan Morosow kaufen vermehrt Werke von Matisse, was für den Künstler ein stabiles Einkommen bedeutet.

 

 

>mehr über Matisse' Finanzen

 

 

 

Henri Matisse (1869-1954). Grand intérieur, Nizza, 1919. The Art Institute of Chicago.

 

odalisque

Henri Matisse (1869-1954). Odalisque aux culottes rouges, 1921. Centre Pompidou Paris.

 

 

 

1919-1930: Die «Nizza-Periode»

und die Odalisken

 

Mit dem wachsenden Erfolg im Rücken lässt Matisse 1919 Paris hinter sich und übersiedelt nach Nizza. Hier etabliert er sich in den 1920er-Jahren – neben Picasso – zum berühmtesten lebenden Künstler Frankreichs.

 

Der Schwerpunkt seiner Arbeiten liegt nun auf Darstellungen von Interieurs mit Ausblicken durchs Fenster auf die Côte d'Azure.

 

Berühmt wird er auch für seine Odalisken, die in der «Nizza-Periode» serienweise entstehen. Unter Odalisken versteht man Sklavinnen in einem türkischen oder orientalischen Harem, aber auch ganz generell Konkubinen.

 

Matisse platziert seine Odalisken gerne in orientalisch eingerichteten und mit reichen Dekors versehenen Interieurs – aber nicht nur. Viele seiner Odalisken stellen auch zeitgemässe Akte oder Halbakte dar – wie im Beispiel des Titelbildes.

 

 

>das teuerste Matisse-Bild: eine Odaliske

 

 

 

grand-nu-assis

Henri Matisse (1869-1954).
Grosser sitzender Akt, Nizza, 1927. Archives Henri Matisse, Issy-les-Moulineaux.

 

 

1927: Bronze-Skulptur «Grand nu assis»

 

Matisse schafft auch Skulpturen. Eine seiner berühmtesten ist die «Grand nu assis». Vom gleichen Modell – es ist Henriette Darricarrère – stellt er auch Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken her.

 

In diesen zeigt er die Dame in einem bequemen Polstersessel. Bei der Skulptur dagegen verzichtet er auf den Sessel und lässt seine Heldin einen sportlichen Balanceakt vollführen.

 

 

>mehr: Ausstellung Kunsthaus Zürich 2019
«Matisse Metamorphosen»

 

 

 

maquette

Henri Matisse, maquette pour une couverture pour «verve iv», No 13, 1943.

 

1943: Scherenschnitte

 

Im Alter von 72 Jahren beginnt Matisse mit seinen (heute) berühmten Scherenschnitten. Der Grund dafür liegt in seiner Gesundheit. Mitten im Zweiten Weltkrieg, 1941, erkrankt er an Darmkrebs und überlebt die Operation nur knapp. Die meiste Zeit ist er ans Bett gefesselt und kann kaum noch malen.
Stattdessen fängt er an, Scherenschnitte zu schaffen. Aus mit Gouache bemalten Papieren schneidet er grobe Formen aus und klebt sie auf farbigen Grund.

 

Seine Kritiker finden das «inakzeptabel» und «nicht matissewürdig». Wer heute solche Matisse besitzt, teilt diese Ansicht wohl nicht.

 

 

>mehr Scherenschnitte
(Ausstellung 2024/Beyeler)

 

 

 

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Fotos / Diashow

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Werke in der Ausstellung Matisse
Fondation Beyeler, 2024

 

 

 

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