Ausstellung «Vivre notre temps, Bonnard, Vallotton
und die Nabis» im Kunstmuseum Bern vom 13.5.-16.10.2022

 

Woran erkennt man den

Malstil der «Nabis»?


Nach der Ausstellung fragt man sich, ob man mit all den gebotenen Infos jetzt einen Malstil der Nabis erkennen würde – so wie man etwa einen >Fauvisten oder einen >Expressionisten am Malstil erkennt. Die Antwort lautet: Nicht wirklich. Weil es offenbar bei den Nabis weder einen einheitlichen Malstil noch eine gemeinsam angewandte Maltechnik gab.

 

 

Ausstellungsplakat

 

 

Was hingegen vorliegt, sind kernige Sätze einzelner Künstler, die den jungen Nabis als Leitbilder dienten. Wie etwa jener von Paul Gauguin (1848-1903) aus dem Jahr 1888: «Male nicht zu viel nach dem Leben. KUNST IST ABSTRAKTION: Trenne sie von der Natur, indem du über sie meditierst; richte deine Aufmerksamkeit auf die Schöpfung, die daraus resultieren wird».

 

Oder die eher grundsätzliche Formulierung von Maurice Denis (1870-1943): «Es ist gut, sich daran zu erinnern, dass ein Gemälde, bevor es ein Schlachtpferd, eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote ist, im Wesentlichen eine flache Oberfläche ist, die mit Farben bestrichen ist, die in einer bestimmten Reihenfolge aufgetragen wurden».

 

Aber auch damit ist noch kein Malstil definiert
oder gar vorgeschrieben.

 

 

Maurice Denis (1870-1943).
Amour, 1899. Kreidelithographie
auf Velin. Kunstmuseum Basel.

 

 

Was sich eher definieren lässt, sind die Orte, die die Nabis mit Vorliebe abbildeten. Ihre Inspirationsquellen stammten vorzugsweise aus dem Alltagsleben und aus dem privaten Umfeld. Oft malten sie ihre Figuren in intimen häuslichen Situationen, leicht voyeuristisch im Schlafzimmer oder im Bad beim Ankleiden oder Ausziehen und familiäre Szenen im Salon oder im Garten hinter dem Haus.

 

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Was die Nabis weniger zu interessieren schien, waren Grossstadtszenen mit pulsierendem Leben auf den Pariser Boulevards, Plätzen und Parks – wie es die Impressionisten liebten. Vielleicht versuchten die Nabis mit dem Verzicht auf solche Szenen, sich vom Impressionismus abzugrenzen. Zumal es offenbar Ziel dieser «Rebellen» war, diesen hinter sich zu lassen.

 

Die Ausstellung zeigt an diversen Beispielen auf, wie sich die Nabis – anfangs noch mit den Mitteln der figürlichen Darstellung arbeitend – allmählich der Abstraktion zuwandten.

 

 

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Die Ausstellung präsentiert aber auch Werke von Bonnard, Vuillard und Vallotton aus der «Nach-Nabis-Zeit», das heisst nach 1905. Viele der bedeutendsten davon stammen aus der Sammlung >Hahnloser, die dereinst permanent in der >Villa Flora in Winterthur zu sehen sein wird (Stand 2022).

 

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Edouard Vuillard (1868-1940).

Le peignoir rouge (Misia Sert), 1898.

Privatsammlung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Pierre Bonnard (1867-1947). La passante, 1894. Privatsammlung.

 

 

 

Edouard Vuillard (1868-1940). Le peignoir rouge (Misia Sert), 1898. Privatsammlung.

 

 

 

Félix Vallotton (1865-1925). Modèle assis sur le divan de l'atelier, 1904. Kunstmuseum Bern.

 

 

Wer sind die Nabis?

 

Die «Rebellengruppe» von jungen Studenten der Pariser >Académie Julian war nur wenige Jahre aktiv: von 1888 bis 1905. Ihr gehörten (heute) klingende Namen an: Wie Pierre >Bonnard, Aristide >Maillol, Edouard >Vuillard, Félix >Vallotton oder Maurice Denis. Die Gruppe bestand aus insgesamt etwa einem Dutzend Maler und Bildhauer.

 

Erster Präsident der Gruppe war ein Schüler von Paul Gauguin: Der Pariser Maler Paul Sérusier (1864-1927) – bei der Gründung knapp 24-jährig. Bonnard, Vuillard und Vallotton waren noch jünger.

 

 

Wieso nannten sie sich Nabis?

 

Der Name der Gruppe soll sich vom hebräischen Wort «nebiim» ableiten, das für «Eingeweihter» oder «Prophet» steht. Propheten wollten die jungen Künstler sein. Und sich von Althergebrachtem lösen.

 

 

Was war das Ziel der Nabis?

 

Vor allem die Loslösung vom Impressionismus. Eines der Leitbilder stammt von >Paul Gauguin – geboren 1848. Gauguin hätte altersmässig der «Vater» der Nabis-Mitglieder sein können (er selbst war kein Mitglied).

 

Gauguins Aussage war: «Male nicht zu viel nach dem Leben. Kunst ist Abstraktion: Trenne sie von der Natur, indem du über sie meditierst, richte deine Aufmerksamkeit auf die Schöpfung, die daraus resultieren wird».

 

Die jungen Künstler wollen also nicht mehr die Welt abbilden, sondern «mit starken Farbflächen autonome Bilder» erschaffen. Das tun aber alle auf unterschiedliche Weise und keineswegs nur abstrakt. Bonnard und Vallotton bleiben figürlich und real.

 

Die Nabis wollen auch mehr in Richtung Deko und Design gehen. Zudem befassen sie sich mit Postern, Textilien, Möbeln, Bühnenbildern und mit grafischer Kunst. Auch der japanische Farbholzschnitt wird gepflegt.

 

 

   

 

Pierre Bonnard (1867-1947). Femme enlevant sa chemise, 1905. Kunstmuseum Bern. Hahnloser-Jaeggli-Stiftung.

 

Pierre Bonnard (1867-1947). La nappe à carreaux rouges ou Le Déjeuner du chien, 1910. Privatsammlung.

 

 

Pierre Bonnard (1867-1947). Dans un jardin méridional (La Sieste), 1914. Kunstmuseum Bern.

 

 

Pierre Bonnard (1867-1947)

 

Das intime Gemälde fällt zwar in die Zeit der Nabis, enthält aber keinerlei Einflüsse dieser Gruppe, die ja eigentlich «abstrakt» malen wollte. Bonnards Halbakt kommt sehr figürlich und naturalistisch daher und zeigt eine intime häusliche Szenerie mit leicht voyeuristischem Charakter, wie sie Bonnard gerne und oft malt.

 

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Le déjeuner au chien, 1910

 

Auch häusliche Interieurs sind ein Lieblingsmotiv des Künstlers. Das Bild stellt aber nicht die Figuren (Gattin Marthe mit Hund) in den Vordergrund, sondern wird vom farbigen Muster des Tischtuches dominiert. Obwohl die Perspektive nicht ganz stimmt, erzeugt der Künstler damit eine eindrückliche Raumtiefe.

 

Erst zwanzig Jahre später – in den 1930er-Jahren – wird Bonnard diese seine grundlegende Feststellung formulieren: «Immer heisst es, man müsse sich der Natur unterordnen – aber manchmal muss man sich dem Bild unterordnen.»

 

 

Dans un jardin méridional, 1914

 

1912 kauft sich Bonnard ein Haus in der Normandie, dessen Garten ihn vermutlich zu diesem Gemälde inspiriert hat (obwohl der Titel einen Ort im meridionalen Süden verspricht). Es kommt schon sehr «modern» daher: Marthe Bonnard hält ihre Siesta inmitten eines abstrakten Hintergrunds aus frei empfundenen, unnatürlich grell leuchtenden Farben.

 

 

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Félix Vallotton (1865-1925). Femme nue couchée dormant, 1913. Villa Flora Winterthur. Hahnloser-Jaeggli-Stiftung.

 

 

 

 

Félix Vallotton (1865-1925).
La Blanche et la Noire, 1913. Kunstmuseum Bern. Hahnloser-Jaeggli-Stiftung.

 

 

Félix Vallotton (1865-1925)

 

Vallotton, obwohl Mitglied der Nabis, hält nicht viel von abstrakter Malerei. Er definiert sich selbst als Aktmaler und bleibt naturalsitisch. Die Ausstellung in Bern zeigt eine indrückliche Serie seiner Akte.

 

In diesem Werk Femme nue couchée dormant schwebt die Frau förmlich im Raum, von keinerlei Hintergrund konkurrenziert. Das entspricht der von Vallotton bevorzugten Inszenierung von weiblichen Akten, sorgte aber damals (1913) für Proteste, weil die Selbstinszenierung der Nackten als ungebührlich empfunden wurde.

 

 

La Blanche et la Noire, 1913

 

Dieses Gemälde ist eine Persiflage auf das berühmte Skandalbild von >Edouard Manet aus dem Jahr 1863, auf dem eine nackte Weisse (Prostituierte?) und eine schwarze Dienerin abgebildet werden.

>Manets Original heisst «Olympia». Es warf hohe Wellen und sorgte für erboste Kritiken.

 

Vallotton macht aus der schwarzen Dienerin eine selbstbewusste und Zigarette rauchende Freundin (oder Kollegin?).

 

 

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Edouard Vuillard (1868-1940). Nu dans le salon rayé, 1905. Kunstmuseum Bern. Hahnloser-Jaeggli-Stiftung.

 

 

Edouard Vuillard (1868-1940)

Nu dans le salon rayé, 1905

 

Noch ist eine Figur auf dem Bild zu erkennen, aber diese ist schon ziemlich abstrahiert – unscharf und verschwommen.

 

Edouard Vuillard stammt aus Cuiseaux im Département Saône-et-Loire. Durch seine Mutter, eine Schneiderin, kommt er schon früh mit Mode in Kontakt. Später interessiert er sich für die Pariser Haute Couture. Er entwickelt ein Gespür für Textilien und für die Gestaltung von Interieurs, die er auch immer wieder in Gemälden festhält.

 

Ab etwa 1900 fügt er seinen Interieurs manchmal auch Aktfiguren bei, doch ist er – im Gegensatz zu Félix Vallotton – kein dezidierter Aktmaler. Bei seinen Akten handelt es sich eher um private Studien.

 

 

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>Fotos Ausstellung KM Bern 2022
«Bonnard, Vallotton und die Nabis»