Ein schwieriges Kapitel. Wie packt man den Realismus in eine Epoche? Eigentlich handelt es sich eher um eine Phase des Übergangs zwischen Romantik und Impressionismus.
Doch die Kunsthistoriker haben diese Epoche geschaffen – für einen einzelnen Künstler: Gustave Courbet. Der hat den Begriff «réalisme» geprägt.
Und damit gleich eine neue Form von «realistischen» Bildern. Er propagiert die «unverzerrte Darstellung der Wirklichkeit». Heisst: Ohne jede Beschönigung oder Idealisierung, wie dies früher der Normalfall war. Courbets Ziel ist es, Menschen so zu zeigen, «wie sie wirklich sind».
Gustave Courbet (1819-1877).
Le désesperé, 1841. Privatsammlung.
Foto.
WikiCommons.
In Courbets réalisme steckt aber auch der Protest gegen soziale Missstände. Courbet findet, man dürfe nicht nur Monarchen und Adlige abbilden, sondern müsse auch «das harte Los des Normalmenschen» zeigen. Bauern auf dem Feld, ausgebeutete Arbeiter. Die Realität bestehe nicht nur aus rauschenden Festen und Hochzeiten, sondern auch aus Beerdigungen.
Gustave Courbet (1819-1877).
Die Beerdigung in Ornans, 1849-50.
Musée d'Orsay, Paris.
«Realistische» Bilder malten natürlich schon viele Künstler – und lange vor ihm. Aber Courbets réalisme geht neue Wege, weil er die Motive neu definiert: Weg von den Adligen, hin zum Normalvolk.
Edouard Manet (1832-1883).
Un Bar aux Folies-Bergère.
Courtauld Institute of Art, London.
Titelbild (Ausschnitt)
Gustave Courbet (1819-1877).
Das Atelier des Künstlers, 1855.
Musée d'Orsay, Paris.
Gustave Courbet (1819-1877).
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Zeitliche Einordnung Realismus
1300 - 1600 >Renaissance 1520 - 1600 >Spätrenaissance/Manierismus 1600 - 1750 >Barock 1730 - 1780 >Rokoko 1750 - 1820 >Klassizismus 1820 - 1850 >Romantik 1850 - 1880 Realismus 1860 - 1900 >Symbolismus 1870 - 1900 >Impressionismus
1900 - 1950 >Moderne Kunst ab 1900
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Gustave Courbet (1819-1877). Die Steinklopfer, 1849. Albertinum Dresden.
Gustave Courbet (1819-1877). Schlafende Spinnerin, 1853. Fabre Museum Montpellier.
Gustave Courbet (1819-1877). L'Origine du Monde, 1866. Musée d'Orsay, Paris. |
Gustave Courbet (1819-1877).
Der Franzose gilt als Schöpfer des Realismus. Er prägt auch den Begriff, indem er an der Weltausstellung 1855 seinen Pavillon mit «Le réalisme» beschriftet. Courbet vertritt die Ansicht, dass fortan alles so dargestellt werden solle, wie es der Wirklichkeit entspricht – ohne etwas zu idealisieren oder zu beschönigen.
Courbet malt jetzt auch «normale» Menschen im Alltag und bei der Arbeit – was vorher undenkbar war. Arbeiter beim Steineklopfen, Bauern auf dem Feld, oder gar eine Beerdigung! – wer wollte sowas schon sehen. Courbet erntet Kritik von allen Seiten, schliesslich will man doch «schöne» Bilder bewundern.
Courbet treibt seinen eigenen «réalisme» manchmal auf die Spitze. Im Skandalbild «L'Origine du Monde» von 1866 malt er eine nackte Frau aus einer Perspektive, wie sich das vor ihm noch nie jemand getraute. Es ist eine Auftragsarbeit für einen osmanischen Diplomaten und Kunstsammler. Ein Liebhaber von Aktbildern, der auch anderen Künstlern entsprechende Aufträge erteilt. Courbets Bild gerät aber so deftig, dass der Besteller es nicht öffentlich zeigen kann. Es wird jahrelang versteckt.
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Jean-François Millet |
Jean-François Millet (1814-1875)
Auch er ein französischer Maler des Realismus. Er gehört der >Schule von Barbizon an, die sich am Rande von Paris bei Fontainebleau gebildet hat.
Millets Werke zeigen in realistischem Stil das beschwerliche Arbeitsleben der Bauern. Die Bilder kommen gut an. Sogar am Salon von Paris kann er seine Werke ausstellen.
Und auch verkaufen – Millet ist einer der wenigen Maler jener Zeit, die von ihrer Kunst leben können. Für >Vincent van Gogh ist er ein Vorbild für bäuerliche Szenen.
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Adolph von Menzel
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Adolph von Menzel (1815-1905)
Er gilt als der bedeutendste deutsche Realist. Seine Spezialität sind historische Darstellungen. Insbesondere fiktive Szenen aus dem Leben des Preussenkönigs >Friedrich des Grossen (1712-1786), die Menzel ein Jahrhundert später malt.
Das Gemälde wirkt zwar sehr realistisch – Kostüme, Möbel, Kerzenlicht, alles «echt» – aber mit Courbets Realismus hat es wenig zu tun. Erstens zeigt es eine feine Gesellschaft und zweitens handelt es sich um eine fiktive Szene, die im Kopf des Künstlers entstanden ist.
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Edouard Manet (1832-1883). Le Déjeuner sur l'herbe, 1863. Musée d'Orsay, Paris.
Edouard Manet (1832-1883). Olympia, 1863. Musée d'Orsay, Paris.
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Edouard Manet (1832-1883)
Der Pariser wächst in einer Familie der Oberschicht auf und kämpft zeitlebens um Anerkennung im >Salon de Paris – mit mässigem Erfolg. Dieses Bild mit zwei Herren und einer nackten Frau beim Picknick wird nicht nur abgelehnt, die Jury ist geradezu schockiert. Zuviel des Realismus!
Also stellt Manet das Bild am >Salon des Refusés aus. Dort sorgt es zwar für einen Skandal, aber das kann dem Künstler nur recht sein – man beachtet ihn endlich!
Im gleichen Jahr schickt er dann noch seine Olympia von 1863 ins Rennen (Olympia ist der beschönigende Ausdruck für Prostituierte). Auch dieses Werk wirft hohe Wellen und man spricht vom «Skandalmaler» Manet.
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Ilja Repin (1844-1930). Die Wolga-Treidler, 1870. Russisches Museum |
Ilja Repin (1844-1930)
Ein wichtiger Vertreter des russischen Realismus. Er wird im Department Charkow geboren und studiert dann in St. Petersburg. Zunächt wird er Ikonenmaler. Eines seiner berühmtesten Gemälde ist dieses hier: Die Wolga-Treidler. Es entsteht 1870 anlässlich einer Reise mit Malerkollegen an die Wolga.
1873 versucht sich Repin in Paris mit Impressionismus, hat damit aber keinen Erfolg. Er kehrt nach Russland zurück und widmet sich fortan russischen Themen. Er malt auch biblische Motive.
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