Die geheimnisvolle Maria Magdalena –
erste Apostelin oder Sünderin?


Ist sie die Geliebte von Jesus? Darüber schweigt die Bibel. Immerhin heisst es im Philippus-Evangelium, der «Erlöser liebte sie mehr als alle anderen Jünger und küsste sie oft auf ihren Mund». Aha. Also war sie Jesus' Lieblingsjünger. Oder -Jüngerin. Eine Apostelin.

 

 

>Tizian (1490-1576). Die büssende Maria
Magdalena, 1533. Palazzo Pitti, Galleria

Palatina, Firenze.

 

 

In den ersten Jahrhunderten der noch jungen
christlichen Kirche wird sie denn auch als Apostelin verehrt. Als Heilige. Es gibt zwar keine Aufzeichnungen darüber, wann sie heilig gesprochen wurde und von welchem Papst. Die Praxis der Heiligsprechungen durch den Papst kommt erst im Mittelalter auf.

 

Bekannt ist hingegen, wer sie von der Apostelin zur «Sünderin» degradierte: Das war Papst Gregor I
(Gregor der Grosse, 530-604). In seinen Predigten in Rom erklärt er im Jahr 591, dass Magdalena «mit jener unbekannten Sünderin identisch sei, die Jesus die Füsse salbte». Ist Füssesalben eine Sünde?

 

Natürlich nicht. Eine Antwort darauf gibt das Lukas-Evangelium 7, 36-50: «Jesus ass im Haus eines Pharisäers namens Simon. Eine Frau, die Simon als Sünderin bezeichnete, trat ein und begann mit ihren Tränen Jesu' Füsse zu benetzen. Sie trocknete seine Füsse mit den Haaren ihres Hauptes, küsste sie und salbte sie mit dem Öl. Jesus sagte: Deine Sünden sind dir vergeben. Da dachten die anderen Gäste: Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt? Er aber sagte zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!».

 

 

Orazio Lomi >Gentileschi (1563-1639). Büssende
Maria Magdalena, 1622-28. Kunsthistorisches
Museum Wien.

 

 

Eine Sünderin ist die Frau also nicht, weil sie Jesu'
Füsse salbt, sondern: sie hat schon vorher gesündigt.
Für die heilige Figur der Magdalena hat Papst Gregors Behauptung jedenfalls böse Folgen. Sie gilt jetzt nicht mehr als Apostelin und Lieblingsjüngerin von Jesus, sondern wird zur «reuigen Sünderin» degradiert.

 

Für Künstler ist das natürlich ein gefundenes Fressen, denn eine Heilige zu malen ist viel weniger spannend als eine Sünderin. Die darf man auch mal nackt zeigen – dagegen kann die Kirche schliesslich nichts einzuwenden haben! Von dieser Möglichkeit machen fast alle Künstler Gebrauch, die biblische Werke malen. Und sogar Künstlerinnen. Zum Beispiel die Italienerin Elisabetta Sirani (1638-1665).

 

 

>Elisabetta Sirani (1638-1665).
Die büssende Maria Magdalena, 1663.
Musée des Beaux-Arts Besançon.

 

 

Rund 1500 Jahre lang ist also Maria Magdalena eine «reuige Sünderin». Erst 1969 nimmt Papst Paul VI
Maria Magdalena im römischen Kalender als Heilige auf. Mit einem Festtag – es ist der 22. Juli.

 

2016 endlich korrigiert der Vatikan Papst Gregors
Erklärung aus dem Jahr 591, sie sei eine Sünderin.
Papst Franziskus erlässt am 10. Juni 2016 ein Dekret, in dem Magdalena ausdrücklich als «Apostola apostolorum» anerkannt wird. Damit schliesst sich der Kreis – Apostelin war sie ja schon ganz am Anfang des Christentums.

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Martin Schongauer (1450-1491). Noli me tangere,
1473. Museum Unterlinden, Colmar.

 

 

 

>mehr über Maria Magdalena

 

>mehr über Noli me tangere

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bartolomé Esteban Murillo (1618-1682). Büssende Maria Magdalena, 1670. Museum Wallraf-Richartz Köln.

 

Guido Cagnacci (1601-1663). Santa Maria Maddalena penitente, 1622-27. Galleria Barberini, Rom.

 

Juan Carreno de Miranda (1614-1685). Magdalena penitente, 1654. Academia Bellas Artes Madrid.

 

Wer ist Maria Magdalena?

 

Im Evangelium nach Philippus 63,34-36 heisst es: «Und die Gefährtin des Herrn war Maria Magdalena. Er liebte sie mehr als alle Jünger und küsste sie oft auf ihren Mund. Die Jünger sagten zu ihm: Warum liebst du sie mehr als uns alle? Jesus antwortete: Warum liebe ich euch nicht so wie sie?».

 

Das ist zwar keine brauchbare Antwort, aber sie lässt Raum für Interpretationen: Sollen die Küsse symbolisch-spirituell verstanden werden? Oder gab es da eine romantische Seite? Man darf spekulieren.

 

Wie kam es zur Beziehung zu Jesus?


Alle vier Evangelien berichten davon, dass Maria Magdalena an einer schweren Krankheit litt, von der Jesus sie heilte (er soll ihr «sieben Dämonen ausgetrieben» haben). Daraufhin schloss sich Magdalena Jesus an, zog mit ihm nach Jerusalem und unterstützte ihn in seiner Mission. Jesus nannte sie seine Lieblingsjüngerin.

 

Maria Magdalena gehörte auch zu den Frauen, die Jesu' Kreuzigung verfolgten und am Ostermorgen das leere Grab entdeckten. Dort traf sie den Auferstandenen wieder. Siehe >Noli me tangere. Jesus trug ihr auf, die Botschaft von seiner Auferstehung an die Jünger weiter zu verbreiten.

 

Die Legende von der Büsserin in der Wüste

 

In der Bibel steht davon nichts. Aber spätere Legenden besagen dann, dass Maria Magdalena nach dem Tod und der Auferstehung Jesu ein Leben der Busse und Einsamkeit führte, oft in einer Höhle oder in der Wüste, wo sie bis zu ihrem Tod als Eremitin gelebt haben soll.

 

>mehr über Maria Magdalena

 

 

 

Giotto di Bondone (1266-1337). Noli me tangere, 1320. Basilika des hl. Franz, Assisi.

 

Martin Schongauer (1450-1491). Noli me tangere,1473. Museum Unter-linden, Colmar.

 

Tizian (1490-1576). Noli me Tangere, 1514. National Gallery London.

 

Correggio (1489-1534). Noli me tangere, 1525. Museo del Prado, Madrid.

 

 

 

«Noli me tangere» – rühr mich nicht an!

 

Der berühmte lateinische Satz stammt aus dem Neuen Testament. Jesus soll ihn gesagt haben, als er nach seiner Auferstehung am Grab Maria Magdalena begegnete. Der Text im Johannes-Evangelium (20, 17) lautet:

 

«Jesus spricht zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und zu meinem Gott und eurem Gott.»


Der Hintergrund: Nach der Kreuzigung und Auferstehung Jesu geht Maria Magdalena zum Grab und findet es leer. Sie bleibt weinend am Grab stehen. Da erscheint Jesus. Maria Magdalena erkennt ihn zunächst nicht, doch als er sie mit ihrem Namen anspricht, erkennt sie ihn. Freudig erregt will sie Jesus begrüssen, vielleicht umarmen oder berühren. Jesus wehrt ab und sagt zu ihr «Noli me tangere!» – rühr mich nicht an!


Aus christlicher Sicht symbolisiert die Szene die
neue Form der Beziehung
zwischen dem auferstandenen Jesus und seinen Jüngern – und damit auch zu Maria Magdalena, die ja seinen Worten zufolge «seine liebste Apostelin» war.

 

Mit seinem «Rühr mich nicht an!» weist Jesus darauf hin, dass er jetzt nicht mehr in jener physischen Beziehung zu seinen Jüngern steht wie vor seiner Auferstehung. Und dass diese ihn jetzt auf eine neue, spirituelle Weise verstehen und erleben sollen.

 

 

Ein beliebtes Motiv bei den Künstlern

 

«Noli me tangere» kommt in unzähligen Werken vor, und das seit Jahrhunderten. Ein sehr frühes Gemälde stammt von >Giotto di Bondone. Es entstand vor rund 700 Jahren, bereits 1320.

 

In der Renaissance nehmen sich dann auch die ganz grossen Namen wie >Tizian und >Correggio des Themas an. Es wird vielfach dann verwendet, wenn es um die Auferstehung Jesu und seine Begegnung danach mit Maria Magdalena geht.

 

>mehr über Noli me tangere

 

 

 

Pablo Picasso (1881-1973).
La Vie, 1903. The Cleveland Museum of Art.

 

Marlene Dumas (1953). Magdalena (Underwear and Bedtime Stories), 1995. Privatsammlung.

 

Helen Dahm
(1878-1968).
Maria Magdalena in der Grossstadt, ohne Datum. Kunstsammlung Stadt Zürich.

 

 

 

 

Maria Magdalena in modernen Augen

 

Die Geschichte um Maria Magdalena fasziniert bis heute. Auch moderne Künstler haben sich des Themas angenommen – weil es hier um Liebe, Zuneigung, Ablehnung, Tod und Spiritualität geht.

 

>Pablo Picasso. Sein Werk aus der blauen Periode von 1903 mit dem Titel La Vie wird gerne in Verbindung gebracht mit «Noli me tangere».
Wie der Künstler selbst die Verbindung gesehen hat, ist nicht bekannt. «La Vie» enthält in mehreren Darstellungen komplexe und höchst schwierig zu interpretierende Aspekte von Nähe und Abstand, von Trauer und Tröstung, von Anlehnung und Abweisung. Viellleicht spielt auch die spirituelle Distanz eine Rolle, so wie in «Noli me tangere».

 

 

>Marlene Dumas. Die südafrikanische Künstlerin stellt nicht das Thema «Noli me tangere» in den Vordergrund, sondern einfach die Person der heiligen Maria Magdalena. Dumas scheint dabei auf alte Zeiten zurückzugreifen, als Magdalena noch als eine «Sünderin» galt – und zeigt die Heilige in sündhaft sexy Unterwäsche.

 

Dafür hat sie einen guten Grund: Das Werk ist im Rahmen der 1995 entworfenen Serie «Underwear and Bedtime Stories» entstanden. Die Serie wird im Kunstmarkt begeistert aufgenommen: Dumas' sexy Maddalena findet an einer Versteigerung bei Sotheby's für 3,6 Mio Dollar einen Käufer. Das Werk gehört jetzt einem (unbekannten) Privatsammler.

 

 

>Helen Dahm ist eine Künstlerin aus Kreuzlingen. 1919 zieht sie mit ihrer Lebensgefährtin in ein Bauernhaus nach Oetwil am See.

 

Dann gibt es 1932 eine schmerzhafte Trennung und Helen Dahm stürzt sich in religiöse Themen. Sie gestaltet Bibelszenen und nimmt sich vor, diese unkonventionell darzustellen. So verfrachtet sie ihre heilige Magdalena in eine Stadtlandschaft. 

 

Helen Dahms Förderer, der Kunstkritiker Max Eichenberger, stellt sich 1953 auf den Standpunkt, dass bei der Künstlerin der malerische Akt selbst – unabhängig vom Motiv – schon zur religiösen Handlung wird.