Ausstellung Matisse vom 22.9.24 bis 26.1.2025
Fondation Beyeler, Basel-Riehen
Bei Matisse denkt man zunächst an den revolutionären Künstler, der den >Fauvismus begründet hat. An ihn und die «wilden Bestien» mit ihren Farbklecksen und den primitiven Strichen. Aber damit wird man Matisse nicht gerecht. Die umfassende Retrospektive in der Fondation Beyeler zeigt nun auf, wie sich der Künstler in sechzig Jahren entwickelt hat – als Maler und Bildhauer, bis hin zu seinen legendären Scherenschnitten der Spätphase.
Ausstellungsplakat
Henri Matisse kommt am 31. Dezember 1869 in Le Cateau-Cambrésis im Norden Frankreichs zur Welt. Zunächst studiert er Jura, anschliessend arbeitet er als Anwaltsgehilfe. Erst mit 20 Jahren entdeckt er die Freude am Malen. Er zieht nach Paris. Dort möchte er gerne die >Ecole des Beaux-Arts besuchen – wird aber nicht angenommen. 1895 wird er Schüler von >Gustave Moreau. Dann lässt er sich am Pariser >Salon des Indépendents von den >Pointillisten inspirieren und experimentiert eine zeitlang mit diesem Stil.
Dann komnmt der Sommer 1905, den Matisse im Südwesten Frankreichs verbringt, im Hafenstädtchen Collioure. Hier entsteht Bahnbrechendes: Matisse und seine Malerfreunde befreien sich von der akademischen Malerei und setzen auf Farbe und Stimmung. Es entstehen – aus der Sicht von akademisch gebildeten Kritikern – «skandalöse Bilder» und die Künstler werden als «wilde Bestien» beschimpft, als «Fauves». Es ist der Start in den >Fauvismus.
Matisse fühlt sich angegriffen und verteidigt seine Sicht der Dinge. Er gründet 1908 eine eigene Malschule und verfasst seine berühmten >Notes d'un peintre (Notizen eines Malers). Aufgeschlossene Kunsthändler erkennen den künstlerischen Wert der «fauven» Bilder und kaufen Matisse die Werke ab. 1909 zieht er ins Pariser Vorort Issy-les-Moulineaux, wo er ein Atelier aufbaut. Nun widmet er sich auch der Skulptur.
Erfolg hat er dann besonders in seiner Phase in Nizza, wo er 1921 eine Wohnung in der Altstadt bezieht. Dort malt er seine berühmten «Odalisken», Frauenakte in orientalischen Kostümen. Diese lassen sich sehr gut verkaufen. >mehr
In Nizza arbeitet er auch an einer seiner berühmtesten Plastiken: Die «Grand nu assis». Sieben Jahre lang!
Seine Muse, die Ballerina Henriette Darricarrère
sitzt ihm dafür Modell.
Henri Matisse (1869-1954).
Grand nu assis, Nizza, 1922-29.
Minneapolis Institute of Art.
Modell Henriette Darricarrère.
Foto Archives Henri Matisse.
Henri Matisse mit 44 Jahren.
Foto The New York Public Library.
1930 begibt sich Matisse auf eine ausgedehnte Reise, die ihn über die USA bis nach Tahiti führt. Während seines Aufenthalts in der französischen Kolonie sammelt er zahlreiche Eindrücke und erhält neue künstlerische Impulse. Diese Eindrücke wird er aber erst 15 Jahre später künstlerisch verarbeiten.
Mitten im Zweiten Weltkrieg, 1941, erkrankt Matisse an Darmkrebs. Er übersteht die Operation zwar, ist nun aber die meiste Zeit ans Bett gefesselt – feinmotorisches Malen wird schwierig. Er verlegt sich auf Scherenschnitte.
1943 zieht er ins Landesinnere nach Vence, wo er sich in der Villa Le Rêve niederlässt. Dort entstehen bis 1948 seine letzten Gemälde, hauptsächlich farbintensive Interieuransichten seines Wohnateliers.
Henri Matisse stirbt 1954 im Alter von 85 Jahren an einem Herzanfall und wird auf dem Friedhof von
Cimiez (Nizza) beerdigt.
>Saalheft Ausstellung Matisse 2024
Titelbild (Ausschnitt)
Henri Matisse (1869-1954). Nu à l'écharpe
blanche, Paris, 1909. Statens Museum for Kunst, Copenhagen.
Henri Matisse (1869-1954). Der gedeckte Tisch, 1896-97. Privatsammlung. |
Frühwerke
Am Anfang von Henri Matisse' Schaffen steht der Impressionismus. Und auch die Stillleben, die der Künstler als Schüler des französischen Malers >Gustave Moreau kennen lernt. Vorbild für diese Stills sind niederländische Maler des 17. Jahrhunderts wie >Davidsz de Heems.
Der gedeckte Tisch aus dem Jahr 1896 zeigt eine Hausangestellte, die letzte Hand an einen üppig
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Henri Matisse (1869-1954). Luxe, calme et volupté, Paris, 1904. Detail-Ausschnitt. Centre Pompidou Paris.
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Matisse' eigener Divisionismus
Den Sommer 1904 verbringt Matisse mit seiner Familie am Strand von St. Tropez – und in Gesellschaft des Malers >Paul Signac, der (heute) für seine pointillistischen Werke berühmt ist. Hier in St. Tropez holt sich Matisse die Idee zu seinem Gemälde
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Henri Matisse (1869-1954). Intérieur à Collioure (La sieste), 1905. Sammlung Merzbacher, Kunsthaus Zürich.
Henri Matisse (1869-1954). La fenêtre ouverte, collioure, 1905. National Gallery of Art, Washington.
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Der Fauvismus
Im südfranzösischen Fischerdörfchen >Collioure verbringt Matisse den Sommer 1905 zusammen mit seinem Malerkollegen >André Derain.
Hier findet eine künstlerische Revolution statt, die später den Begriff >Fauvismus bekommt. Es ist die totale Loslösung von der akademischen Malerei. Zwar immer noch figürlich, aber die Gegenstände und Figuren werden mit groben Pinselstrichen nur noch angedeutet. Dazu in satten Farben, die nicht mehr der Natur entsprechen müssen. Die Pinselführung ist sehr grob und auf auf eine detaillierte Ausarbeitung wird komplett verzichtet.
Für Anhänger der akademischen Malerei muss das wie ein «Geschmiere» gewirkt haben. Die Kritiken sind denn auch vernichtend: Man beschimpft die Maler als «wilde Bestien» (fauves) und verbannt deren Werke aus den traditionellen Ausstellungen im Salon de Paris. Der Kunstkritiker, der den Ausdruck «Fauvismus» prägt, ist heute fast so berühmt wie die Künstler selbst: Louis Vauxelles.
Anfänglich lassen sich diese Werke nicht verkaufen. Mit der Zeit freunden sich aber bekannte Kunsthändler mit dem neuen Stil an und kaufen fauvistische Werke ein. Heute gehören sie zu den begehrtesten Kunstwerken der Moderne.
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Henri Matisse (1869-1954). La serpentine, Issy-les-Moulineaux, 1909.. Bronze. Musée d'Orsay, Paris.
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Skulpturen in Issy-les-Moulineaux
1909 zieht Matisse von Paris weg und lässt sich im Pariser Vorort Issy-les-Moulineaux nieder. Dort baut er sich ein Atelier im Garten und widmet sich der Bildhauerei. Hier schafft er einige seiner wichtigsten Skulpturen, darunter die berühmte Serie aus vier grossen Rücken-Akten >Nu de dos.
Viele der Skulpturen, die er hier fertigt, zeigen vereinfachte, fast archaische Formen.
Das Atelier in Issy-les-Moulineaux ist aber nicht nur Arbeitsort für den Künstler, sondern auch ein kreativer Rückzugsort, wo er über seine Kunst reflektieren kann. Die Zeit in der ruhigen Vorstadt beeinflusst seine Werke stark – nicht nur in der Skulptur, sondern auch in der Malerei.
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Henri Matisse (1869-1954). Figure décorative sur fond ornemental, Nizza, 1915-26. Centre Pompidou Paris.
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Odalisken und Ornamentales
Ab 1919 folgt Matisse' Lebensphase in Nizza, die etwa bis 1930 dauert. 1921 bezieht er eine Wohnung mit Atelier in Nizzas Altstadt. Dort entstehen Werke mit starkem ornamentalen Bezug. Er verwendet Möbel und dekorative Objekten als Kulissen und lässt davor Modelle posieren, die er entweder in orientalischen Kostümen oder nackt malt.
Er nennt sie Odalisken (odalisques). Darunter versteht man weibliche Bedienstete oder Sklavinnen im Harem eines osmanischen Sultans. Der Begriff stammt vom türkischen Wort «odalik», was Kammermädchen oder Dienerin bedeutet.
Für Matisse wird die Odaliske zu einer Verkörperung von Farbe, Ornament und Sinnlichkeit – und dazu zu einem guten Geschäft. Es stellt sich schnell heraus, dass diese Werke gut verkäuflich sind. Sie sind es schon damals und Matisse profitiert davon.
Sie sind es aber bis heute, denn das teuerste Gemälde von Matisse, das je (bis 2024) versteigert wurde, ist... eine halbnackte Odalisque couchée aux magnolias aus dem Jahr 1923. Das Gemälde fand bei einer Versteigerung bei Christie's in New York im Jahr 2018 einen Käufer für sagenhafte
>das (bisher) teuerste Matisse-Bild
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Henri Matisse (1869-1954). Nu bleu, Cimiez-Nizza, 1952. Fondation Beyeler Basel-Riehen.
Henri Matisse (1869-1954). Nu bleu aux bas verts, Cimiez-Nizza, 1952. Fondation Louis Vuitton. |
Matisse' berühmte Scherenschnitte
Auf französisch heissen sie «découpages». Mit der Produktion beginnt er nach einer überstandenen Darmkrebs-Operation. Er ist ans Bett gefesselt und kann kaum noch malen. Nun nennt er seine neue Technik «Zeichnen mit der Schere». Die damals entstandenen Arbeiten zählen heute zu den bedeutendsten und bekanntesten Werken des Künstlers.
Wie entstehen diese Scherenschnitte?
Ausgangsmaterial ist farbiges Papier, das der Künstler in organische Formen zuschneidet und auf einen Papierträger klebt. Die meisten dieser Werke sind grossformatig und werden so zu Wandbildern.
Matisse sagt zu diesem Schaffensprozess, er «sei befreiend, da er keine präzisen Linien mehr zeichnen müsse, sondern durch das Schneiden von Formen direkte künstlerische Entscheidungen treffen könne».
Hätte Matisse damals auch noch geahnt, wie berühmt er einst für diese Scherenschnitte werden würde – er wäre stolz auf sein Werk. In der Tat sind seine Scherenschnitte ein herausragendes Beispiel für Matisse’ Fähigkeit, seine Kunst immer wieder neu zu erfinden. Seine Papierarbeiten gelten heute als Meilensteine in der modernen Kunst, da sie die Grenzen traditioneller Malerei überschreiten und das Verhältnis von Farbe, Form und Raum auf neue Weise erweitern.
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Werke in der Ausstellung Beyeler 2024
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>Ausstellung Matisse-Metamorphosen (Kunsthaus Zürich 2019)
>Ausstellung Matisse, Derain (Kunstmuseum Basel 2023)
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