Eines Tages kommt Gott in den Garten Eden und sucht Adam. «Adam, wo bist du?» fragt Gott. Und Adam antwortet: «Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich, DENN ICH BIN NACKT, darum versteckte ich mich.» So steht es in der Bibel in der >Schöpfungsgeschichte (Genesis, 1. Buch Mose,
Kapitel 3), über den Sündenfall.
Damit ist der Grundstein gelegt für die kommenden Jahrhunderte. Wie soll man es den Kirchenführern verargen, dass sie Nacktheit zur «Sünde» erklären, wenn es doch so in der Bibel steht? Obwohl das mit Adam eigentlich ein krasses Missverständnis ist: Adam schämt sich ja nicht, sondern er fürchtet sich. Vor der Strafe Gottes. Weil er etwas Verbotenes getan hat: Er hat von der «Frucht der Erkenntnis» gekostet. Und erst damit erkannt, dass er nackt ist.
Im frühen Mittelalter ist die Abbildung von Nackten noch ein Tabu. Erst in der >Renaissance tauchen die ersten Bilder von unbekleideteten Personen auf. Es sind zunächst Figuren mit biblischem Hintergrund, vorzugsweise Adam und Eva.
Frühwerk der Akt-Malerei:
Masaccio (1401-1428).
Vertreibung aus dem Paradies,
1423-25. Brancacci-Kapelle, Florenz.
Auch Motive aus der griechischen Mythologie werden bei den Künstlern immer beliebter, wie zum Beispiel >Das Urteil des Paris. Die Geschichte stammt aus Homers «Ilias» und spielt im 8./7. Jahrhundert vor Christus. Da konnten die Künstler gleich drei nackte Frauen malen, ohne befürchten zu müssen, Probleme mit den kirchlichen Anstandsregeln zu bekommen – es war ja nur griechische Mythologie.
Das Urteil des Paris. Von Peter Paul Rubens
(1577-1640). Gemälde von 1597-99.
National Gallery London.
Die Aktmalerei ist zu allen Zeiten eine Gratwanderung – bis heute. Im Laufe der Jahrhunderte sind damit zahlreiche «Skandale» verbunden. Immer wieder wurden Nacktabbildungen als anstössig empfunden und führten zu teils grotesken Situationen.
So zum Beispiel in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan. 1536 erteilt Papst Clemens VII dem grossen Michelangelo den Auftrag für ein «Jüngstes Gericht». Michelangelo malt ein Fresko von 13 x 12 Metern (!) – mit vielen nackten Männern. Das sorgt für Ärger. Noch vor dem Tod Michelangelos 1564 erlässt die Kirche einen Erlass: die «unsittlichen Stellen» müssen übermalt werden. Der Auftrag dazu geht an Daniele da Volterra. Ein ganz Eifriger, denn er übermalt sie nicht nur, sondern kratzt die «unsittlichen Stellen» ab und legt frischen Putz drauf, bevor er die Genitalien überpinselt. Als dann im 20. Jahrhundert das Werk restauriert wird – gesponsort von einem japanischen Konzern – kann Michelangelos Urzustand noch noch an wenigen Stellen wieder hergestellt werden – dort, wo der Putz nicht abgekratzt wurde.
Michelangelos «Jüngstes Gericht» (Ausschnitt)
in der Sixtinischen Kapelle von 1536. Die Genitalien der Männer mussten überpinselt werden.
>mehr über Michelangelos Jüngstes Gericht
Am Ende des 20. Jahrhunderts fallen dann die Schranken. Nun gibt es sogar Künstlerinnen (!), die erigierte Penisse malen. Was aber noch nicht heisst, dass solche Werke überall geschätzt würden. Viele Betrachter und Betrachterinnen halten «so etwas» auch noch im 21. Jahrhundert für unerhört, anstössig und skandalös. So gesehen hat sich in tausenden von Jahren nicht viel verändert: Akte bleiben Geschmacksache – und heftig umstritten.
Tizian (1490-1576). Venus von Urbino, 1538.
Galleria degli Uffizi, Firenze.
Titelbild (Ausschnitt)
Alessandro Allori (1535-1607).
Venere e Amore, 1575-1580.
Palazzo Strozzi, Firenze.
Barberinischer Faun. Marmor-statue eines trunkenen Satyrs. Ca. 220 v.Chr. Glyptothek München.
Praxiteles (390-320 v.Chr.). Aphrodite (röm. Kopie 4. Jht. n.Chr.). Museo nazionale Romano di Palazzo Altemps, Roma.
Venus von Milo, ca. 120 v.Chr. Musée du Louvre Paris. |
Nacktheit in der Antike – ein Mythos?
Griechische Statuen nackter Männer und Frauen sieht man in jedem Museum. Daraus zu schliessen, Nacktheit sei damals «normal» gewesen, ist aber falsch. Auch im alten Griechenland brauchte es einen längeren Prozess, bis eine gewisse Nackheit akzeptiert wurde.
Skulpturen von männlichen Nackten gab es schon seit dem siebten Jahrhundert vor Christus. Aber die erste weibliche Nackte entstand erst hunderte Jahre später. Es war ein Standbild der Aphrodite des Bildhauers Praxiteles, der etwa von 390 bis 320 v.Chr. lebte. Er schuf die Statue für ein Heiligtum in Knidos in Kleinasien. Das Werk aus Marmor gilt heute als die erste nackte weibliche Figur der Geschichte.
Praxiteles zeigt die Göttin Aphrodite, wie sie gerade ihre Kleider abgelegt hat und ins Bad steigt. Interessant dabei, dass sie ihre Scham zu verdecken versucht. War also Nacktheit auch damals nicht der Normalfall? Oder war nur die weibliche Nacktheit ein Problem?
Bekannt ist ja, dass sich die Männer an den olympischen Wettkämpfen nackt um Medaillen balgten. Der Bildhauer Praxiteles war also ganz schön mutig, diesen Schritt zur weiblichen Blösse zu wagen. Griechische Quellen berichten davon, dass er damit einen Skandal ausgelöst habe.
So «berichtet» der römische Dichter Ovid (43 v.Chr. bis 17 n.Chr.) über den Jäger Aktaion, der auf der Jagd die Göttin Artemis nackt beim Bad überrascht. Das missfällt der Göttin ganz und gar. Zur Strafe verwandelt sie Aktaion in einen Hirsch und lässt ihn von seinen eigenen Hunden zerfleischen. Was schliessen wir daraus? So ganz frei von Scham waren auch die alten Griechen nicht.
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Michelangelo (1475-1564). David, 1501-1504. Detail. Galleria dell'Academia, Firenze.
Gianlorenzo Bernini (1598-1680). Raub der Proserpina, 1621-22. Detail. Galleria Borghese, Rom. |
Highlights der Bildhauerei
Der heute bekannteste Bildhauer-Akt der Welt stammt von >Michelangelo: Sein monumentaler David ist in der Galleria dell'Academia von Florenz das Publikums-Highlight. Wie konnte der Künstler diesen perfekten Körper aus Marmor meisseln? Michelangelo studierte an der Akademie des Lorenzo de Medici die antiken griechischen und römischen Skulpturen. Darüberhinaus erforschte er bei der Sezierung von Leichen Muskeln, Adern und Gliedmassen. Das scheint die Grundlage gewesen zu sein, um so ein Kunstwerk zu schaffen. Es wurde zunächst auf der Terrasse des Palazzo Vecchio in Florenz aufgestellt. Dort blieb es bis 1882, bevor es zu seinem Schutz in die >Accademia überführt wurde. Vor dem Palazzo Vecchio steht heute eine Kopie.
So eindrücklich der David gelungen ist – es gibt Werke, die qualitativ mit ihm mithalten können.
Zum Beispiel die Skulptur «Raub der Proserpina» von >Gianlorenzo Bernini. Was dieser Künstler aus dem Marmor meisselte, ist schlechthin Extraklasse. Wie sich die Hand Plutos in den Schenkel der Proserpina gräbt und förmlich zu Fleisch werden lässt... irgendwie unfassbar, dass jemand das so aus dem harten Marmor herausarbeiten konnte.
>mehr über Pluto und Proserpina
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Gemälde ab der Renaissance |
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Jan van Eyck (1390-1441). Genter-Altar, 1432-35. Adam und Eva. Sankt Bavo, Gent.
Michelangelo (1475-1564). |
1400-1600: Biblisches und erste Highlights
Die ersten Akte Nordeuropas malt der flämische Künstler >Jan van Eyck (1390-1441). Sie gehören zum Altarbild des >Genter Altars in der St. Bavo-Kathedrale. Nackte auf einem Altar? Es ist Bibelkunde für Kirchgänger: Warum bedecken sich Adam und Eva mit Feigenblättern? Weil sie verbotenerweise von der Frucht der Erkenntnis gekostet haben und deshalb ihrer Nacktheit bewusst wurden. Damit ist klar, dass das Gemälde eine Szene nach dem Sündenfall abbildet.
Kurz nach 1500 entstehen die ersten Highlights von Akt-Abbildungen: >Michelangelo erschafft 1501-04 seinen weltberühmten David aus Marmor.
Und 1508-12 für die Sixtinische Kapelle im Vatikan das Deckengemälde mit einer der bekanntesten Abbildungen der Welt: die Erschaffung Adams durch Gott. Eigentlich ist ja die Abbildung von Gott verboten. Aber Michelangelo bekommt den Auftrag dafür direkt vom Papst...
>Mehr: Du sollst dir kein Bild Gottes machen
1506 schafft >Dürer das allererste nackte männliche Selbstbildnis; 1530 fertigt >Cranach seine Nymphe am Brunnen und 1538 >Tizian die wunderschöne Venus von Urbino.
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Peter Paul Rubens (1577-1640). Die drei Grazien, 1635. Museo del Prado, Madrid.
Francisco de Goya (1746-1828). Die nackte Maja, 1797-1800. Prado. |
1600-1800: Füllige Frauen und ein Skandal
In den «Drei Grazien» von 1635 manifestiert sich die Wandlung im (Frauen)Geschmack von Peter Paul >Rubens. Im Vergleich zu früheren Darstellungen (z.B. Urteil des Paris von 1597) werden jetzt seine Figuren deutlich fülliger.
Diesem Trend folgen allerdings nicht alle Künstler. Bei >Diego Velazquez' Venus von 1647 – also ein paar Jahre nach Rubens Tod – räkelt sich eine wohlgeformte, schlanke und eher dem griechischen Schönheitsideal entsprechende Frau vor dem Spiegel.
>Francisco de Goya geht mit seiner «nackten Maja» ein hohes Risiko ein. Das Bild sorgt nicht nur für einen Skandal, 1815 wird er sogar vor die spanische Inquisition zitiert. Man bedrängt ihn mit der Frage, wer der Auftraggeber des «obszönen Bildes» sei. Zu einer Verurteilung des Künstlers kommt es zwar nicht, aber er verliert den Titel als königlichen Hofmaler.
>mehr über die «nackte Maja» von Goya
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Gustave Courbet (1819-1877). L'origine du monde, 1866. Musée d'Orsay Paris.
William Adolphe Bouguereau (1825-1905). Biblis, 1884. Salar Jung Museum, India. |
1801-1900: Deftiger Realismus
Im 19. Jahrhundert brauchen die Künstler nicht mehr zwingend biblische oder mythologische «Vorwände», um Nackedeien zu malen. Sie üben sich jetzt in deftigem Realismus. Allen voran >Gustave Courbet, Meister des >Realismus. Sein Gemälde «Origine du monde» sorgt für höchste Aufregung und muss ständig vor der Öffentlichkeit versteckt werden.
>mehr über Courbets «Origine du monde»
Ganz anders der Akt-Spezialist >William Bouguereau, der seinen naturalistisch gemalten Akten griechische Idealmasse und makellose Haut verpasst und so jedes Bild zu einer Augenfreude werden lässt. Damit ihm niemand Pornographie vorwerfen kann, wählt er antike und mythologische Szenen und macht so seine Akte salonfähig. Mit seinen schönen Nackedeien trifft er in Frankreich den Nerv jener Epoche.
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Pablo Picasso (1881-1973). Les Demoiselles d'Avignon, 1907. Museum of Modern Art, New York.
Gustav Klimt (1862-1918). Danae, 1907. Leopold Museum Wien. |
1901-1930: Alles wird möglich
Im 20. Jahrhundert scheint alles möglich zu werden. Da zerteilt >Picasso die Frauen in Kuben oder malt sie hässlich verzerrt. Sein berühmtestes Aktbild zeigt die «Demoiselles d'Avignon». Mit der französischen Stadt Avignon hat der Titel nur insofern zu tun, als es in Barcelona eine Strasse mit diesem Namen gibt. Und die war für ihre Bordelle bekannt. An seinen «Demoiselles d'Avignon» arbeitet Picasso fast ein Jahr lang.
>mehr über die «Demoiselles d'Avignon» Der als Frauenverehrer berühmte Maler des Jugendstils >Gustav Klimt schafft anfangs des 20. Jahrhunderts die schönsten Akte von Judith über Salome bis Danae.
Auch der Expressionist >Ernst Ludwig Kirchner ist von weiblichen Akten besessen. Er zeichnet und malt sie hundertfach. Der junge >Egon Schiele sorgt dann mit deftigen Akten von Männern und Frauen für weitere Aufregung und Aufruhr in Kunstkreisen.
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Marlene Dumas (1953). Mann im Käfig.
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1931 bis heute: Nacktheit ohne Schranken
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts treten dann auch selbstbewusste und mutige Künstlerinnen auf den Plan, die nackte Männer und sogar erigierte Penisse in ihre Werke einfliessen lassen. Wie >Marlene Dumas oder >Miriam Cahn.
Und wieder heisst es: Unerhört! Abstossend! Skandalös!
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