Jeden Dienstag treffen sich über Mittag Kunstfans im Kunsthaus Zürich – und kompetente Expertinnen und Experten erläutern die Finessen einzelner Werke.
Der Kurs findet zweimal jährlich statt. Im Frühjahr von März bis Juni, im Herbst von September bis Dezember. Je zwölf Wochen.
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Die Reports auf dieser Seite sind keine «offiziellen Bildbesprechungen» der Referent:innen, sondern subjektive persönliche Wiedergaben des Gehörten, Gesehenen und Erlebten durch die Autor:innen von artfritz.ch.
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Sarah Morris (1967). «What can be explained can also be predicted», 2019. Kunsthaus Zürich.
Der knallblaue Ausreisser.
Transparentes und opakes.
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7. Dezember 2021, Referentin Gabriele Lutz Sarah Morris (1967). Skulptur aus farbigen Glaszylindern
Sarah Morris ist eine englische Künstlerin und Filmschaffende, die in London und New York arbeitet. Als Malerin ist sie bekannt für ihre grossformatigen Werke in geometrischen Rasterformen. Auch die heute besprochene Skulptur aus farbigen Glaszylindern kommt als Raster angeordnet daher. Der weisse Marmorsockel enthält Öffnungen, in die Glasröhren eingelassen sind, ebenmässig strukturiert in neun mal sieben Reihen. Acht Öffnungen sind unbestückt und in 55 stecken Glasröhren. Die meisten sind mannshoch, einige wenige sind kürzer gehalten. Es dominieren Rottöne und Schwarz, eine einzelne Säule sticht knallblau hervor. Einige sind transparent, einige opak. Die Farben Grün, Gelb oder Braun kommen gar nicht vor.
Welche Bedeutung haben die Farben für die Künstlerin? Und was stellt die Skulptur selbst dar? Der Werktitel «Was erklärt werden kann, kann auch vorhergesagt werden» hilft für das Verständnis dieses Werkes nicht gross weiter. Die Aussage bleibt rätselhaft und eine Antwort den Betrachtenden frei überlassen. Man darf mutmassen – es fallen Begriffe wie Orgelpfeifen, Architektur, aufrechte Bürger, PopArt, Töne, Design, sicher keine Natur, Silhouette einer Stadt, vielleicht Manhattan.
Könnte die Skulptur allenfalls die Abstraktion einer Grossstadt sein? Dafür spräche der filmische Hintergrund der Künstlerin. Morris befasst sich gerne mit Stadtporträts. Wie zum Beispiel in ihrem Kurzmovie «Capital». Der Film spielt in Washington in den letzten Tagen der Clinton-Administration und zeichnet ein komplexes Bild der Mächtigen und ihren Machtstrukturen. >mehr (YouTube)
Die Röhrenkomposition kann der >MinimalArt zugerechnet werden, wie sie in den 1960er-Jahren aufkam. Einige Charakteristika passen dazu: Die klare Geometrie, die starre Anordnung, zudem sollen sich die Betrachtenden rund um das Werk bewegen können. Einer der Grossen der MinimalArt, Donald Judd (1928-1994), schwor auf solche Grundstrukturen («Primary Structures») und auf Raster. Für Sarah Morris soll Judd ein Vorbild gewesen sein.
Die Skulptur ist ein Geschenk an das Kunsthaus Zürich von Cristina und Thomas W. Bechtler (2019). In Erinnerung an den tragischen Unfalltod von 2014 ihrer erst 15-jährigen Tochter Johanna Bechtler.
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Gabriele Münter (1877-1962). Sonnenuntergang über dem Staffel-see, 1910-11. Sammlung Merzbacher. Kunsthaus Zürich.
Wassily Kandinsky (1866-1944). Murnau – Kohlgruberstrasse, 1908. Sammlung Merzbacher. Kunsthaus Zürich.
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30. November 2021, Referentin Gabriele Lutz Sammlung Merzbacher im Kunsthaus Zürich.
Werner Merzbacher, geb. 1928, hat ein Faible für kräftige Farben. Zusammen mit seiner Frau Gabrielle begann er den 1960er-Jahren, Schlüsselwerke des Expressionismus, des Fauvismus und der abstrakten Kunst zu sammeln. >Die Sammlung mit über 100 Werken blieb längere Zeit unbekannt – erst nach der Ausstellung «Fest der Farbe» im Kunsthaus Zürich erhielt sie 2006 die verdiente Öffentlichkeit.
>Mehr über Werner und Gabrielle Merzbacher
Die heute besprochenen Bilder fallen in eine Phase des Aufbruchs: weg von der akademischen Malerei und vom «Abmalen der Natur» – hin zu expressionistischen und abstrakten Darstellungen.
>Gabriele Münter war eine Schülerin von >Wassily Kandinsky. Von 1903 bis 1914 waren die beiden Lebensgefährten. 1908 zogen sie nach Murnau am Staffelsee in Oberbayern. Murnau wurde eine wichtige Station in ihrem künstlerischen Schaffen. Dort trafen sie auch auf Alexej von Jawlensky und >Marianne Werefkin und bildeten mit diesen eine kleine Künstlergruppe, die den Expressionismus pflegte.
Im Gemälde «Sonnenuntergang über dem Staffelsee» von Gabriele Münter kommen die neuen Tendenzen sehr gut zum Ausdruck. Es ist ein Plein-air-Gemälde, enthält aber bereits keine der Natur entsprechenden Farben mehr, Landschaft und Himmel werden farblich verfremdet und in der Form nur noch angedeutet. Ähnliches gilt auch für Kandinskys «Murnau - Kohlgruberstrasse» aus dem Jahr 1908. Felder in Fantasiefarben, Gebäude und Bäume sind in groben Strichen und Punkten verarbeitet. Dieses Werk entstand allerdings nicht plein-air, sondern im Atelier, nach einer im Freien erstellten Studie.
Das Bild «Murnau - Garten» von 1910 geht punkto Abstraktion noch einen Schritt weiter. Zwar ist es noch «lesbar» (zu erkennen sind Blumen, Wolken, Häuser), aber die einzelnen Elemente verschmelzen zu Farbflächen und greifen ineinander über.
Kandinsky ist Mitbegründer der Künstlervereinigung >Blauer Reiter (zusammen mit Franz Marc). Noch im gleichen Jahr (1911) veröffentlicht Kandinsky sein Buch «Über das Geistige in der Kunst», das den Beginn seiner abstrakten Malerei markiert.
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Hans Leu der Jüngere (1490-1531). Johannes der Täufer und Maria mit Jesuskind, 1521. Kunsthaus Zürich.
Detail Schaf.
Detail Vogel.
Signatur.
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23. November 2021, Referent Daniel Näf Hans Leu der Jüngere (1490-1531). Johannes der Täufer und Maria mit dem Jesuskind, 1521.
Hans Leu d.J. ist der Sohn von >Hans Leu d.Ä. (1460-1507), der zu den Zürcher Nelkenmeistern gehörte. Nach dessen Tod – etwa ab 1515 – übernahm Leu d.J. die Werkstatt seines Vaters. In dieser Zeit nahm er auch als Mitglied einer Zürcher Zunft beim Kriegszug nach Marignano teil. Finanzielle Gründe veranlassten ihn 1519, in die Dienste von Herzog Ulrich von Württemberg zu treten. Solddienste waren aber damals verboten, Hans Leu wurde dafür vor Gericht gestellt. Zudem lief die Werkstatt nicht mehr gut, weil inzwischen die Reformation eingesetzt hatte und kirchliche Aufträge ausblieben. Nach den «Bilderstürmen» der Reformation setzte sich Hans Leu d.J. 1523 ins katholische Luzern ab, wo er noch einige kirchliche Aufträge ausführen konnte.
Nach seiner Rückkehr nach Zürich arbeitete er an Landschaftsbildern. 1526 wurde ihm wegen der Reisläuferei von 1519 nochmals der Prozess gemacht. Er kam zur Bestrafung in den Wellenbergturm, konnte sich aber auf Kaution freikaufen. In den >Kappelerkriegen kämpfte er auf der Seite der Zürcher Protestanten und starb 1531 in der Schlacht am Gubel.
Das Ölgemälde auf Hartplatte zeigt Johannes den Täufer als reifen Mann, obwohl er gemäss Bibel etwa zur gleichen Zeit zur Welt kam wie Jesus (Johannes' Mutter Elisabeth soll im sechsten Monat schwanger gewesen sein, als der Engel Gabriel Maria die Geburt Jesu verhiess).
>Mehr über Johannes den Täufer. Dass es sich auf dem Bild um Johannes den Täufer handelt, belegt symbolisch das Schaf. «Seht, das Lamm Gottes» soll er gesagt haben, als er Jesus seinen Jüngern vorstellte. Jesus dagegen wird in der Kunst oft mit einem Vogel in Verbindung gebracht («Sie säen nicht, sie ernten nicht, und der himmlische Vater ernährt sie doch»).
Leus Gemälde fällt in eine Übergangszeit zwischen Handwerker und Künstler. Erst jetzt beginnen die Maler, Signaturen zu hinterlassen. Leu signiert sein Werk unten mit «1521 HL». Die Figuren Johannes und Maria weisen zwar bereits eine gewisse Räumlichkeit auf (samt Faltenwurf und Schatten), aber der Hintergrund lehnt sich noch ans Mittelalter an – mit eindimensionalem, flachem und vergoldetem Himmel.
Die Malerei im süddeutschen Raum – wozu auch Zürich gehörte – lag damals noch ziemlich hinter der Kunstfertigkeit der italienischen Renaissancekünstler zurück. Das hängt auch mit der geografischen Entfernung und der Trennung durch die Alpen zusammen. Der künstlerische Austausch war noch relativ schwach, obwohl es wirtschaftliche Beziehungen zu Italien durchaus schon gab.
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Frank Buchser (1828-1890). Der Kuss, 1878-79. Kunsthaus Zürich.
Detail.
Detail.
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16. November 2021, Referentin Andrea Sterczer Frank Buchser (1828-1890). Der Kuss, 1878-79.
Geboren in Solothurn, gestorben in Solothurn – klingt nach eher ruhigem Leben. Aber mit dieser Annahme liegt man völlig falsch. Frank Buchser war ein Abenteurer durch und durch. Im Zeitraffer liest sich sein Leben so: Er soll Theologie studieren, will aber Künstler werden, wird in eine Lehre als Orgelbauer geschickt, zieht mit 22 nach Paris, Rom, Florenz und wird Maler. Dann dient er in der Schweizergarde im Vatikan, schliesst sich den italienischen Revoluzzern unter Garibaldi an, der Aufstand scheitert, er muss nach Paris fliehen, dann verkleidet er sich als Muslim und reist in Marokko zu verbotenen Moscheen. 1866 schifft er sich im Auftrag des Bundesrates nach Amerika ein, um dort das ideale neue Gewehr für die Schweizer Armee zu finden (!), malt dort Porträts von Generälen und Präsidenten, macht sich Feinde, weil er auf der Seite der Sklaven steht. 1871 gehts zurück in die Schweiz und seine Reiserei geht weiter...
Das heute besprochene Gemälde von Frank Buchser «Der Kuss» aus dem Jahr 1878-79 ist eine Pastorale. So nennt man idyllische Hirten- und Schäferszenen, die eine Leichtigkeit des Seins vortäuschen, die es in der Realität allerdings nicht gibt. Man beschwört die «Freiheit der Hirten» und setzt sie an Sehnsuchtsorte, gewissermassen in den «Garten Eden».
Im 19. Jht sind solche Bukolische Szenen (=Schäferszenen) stark gefragt. Sie zeigen «Schäferstündchen» und Schäferinnen in eleganten Kostümen, wie sie auch in Bühnenstücken des Barock und des Rokoko in Mode sind und von Adligen in «Schäferspielen» und «Fêtes galantes» getragen werden.
Diverse Accessoires im Gemälde «Der Kuss» deuten darauf hin, dass die abgebildete und elegant kostümierte Frau eine Spinnerin ist. Sie liegt mit geschlossenen Augen da – der junge Schäfer nähert sich ihr in dieser Liebesszene von hinten. Den wohl folgenden Kuss muss man sich virtuell vorstellen. Die ganze Idylle wird noch durch einen Ziegenbock, durch Olivenbäume, Blumen (Klatschmohn) und einen sehnsuchtsvollen Ausblick in die Ferne abgerundet. Eine theatralische und idealisierte Sehnsuchtsdarstellung eines «freien Lebens».
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Richard Hamilton (1922-2011). Interior I, 1964. Kunsthaus Zürich.
Detail: Fotografie der Schauspielerin Patricia Knight, 1949.
Detail: Gemälde von Berthe Morisot «Die Kirschen-pflückerin».
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9. November 2021, Referentin Tiziana Cafagna Richard Hamilton (1922-2011). Interior I, 1964.
Der 1922 in London geborene Maler und Grafiker Richard Hamilton gilt als Begründer der >PopArt. Er studierte ab 1938 Malerei an der Royal Academy of Arts, später auch an der Slade School of Fine Art. 1952 war er Gründungsmitglied der «Independent Group», die die theoretische Basis für die PopArt legte, indem sie sich mit Fragen rund um Werbung in der Kunst befasste. Richard Hamilton selbst wollte sich aber nicht als Vertreter der PopArt verstanden wissen.
Das heute besprochene Werk ist eine Collage. Die Basis bildet ein Ölgemälde, das der Künstler mit zusätzlichen Elementen versah, so mit einer im Siebdruck hergestellten «Fotografie» der Schauspielerin Patricia Knight, die 1949 im Film «Shockproof» eine Hauptrolle hatte. Ein weiteres Collage-Element ist ein richtiger Spiegel als Bestandteil des Werkes.
Hamiltons Collage enthält ein Merkmal, das für ihn typisch ist: das
Hamilton legte grossen Wert darauf, in seinen Werken einen Bezug zur Kunstgeschichte zu schaffen. In dieser Collage kommt das mehrfach zum Ausdruck: der Künstler schmückt den Hintergrund seines Bildes mit von ihm stilisiert dargestellten kunsthistorisch relevanten Ölbildern.
Gut erkennbar ist ein Gemälde von Berthe Morisot (1841-1895, eine Schwägerin von Edouard Manet). Es heisst «Die Kirschenpflückerin». Rechts im Hintergrund ein berühmtes biblisches Thema, das von zahllosen Künstlern schon im Mittelalter verarbeitet wurde: «Die Verkündigung» mit dem Erzengel Gabriel und der Jungfrau Maria. Welchem Künstler hier Hamilton die Ehre erweist, ist allerdings nicht erkennbar.
Mit seiner berühmten Collage von 1956 «Just what is it that makes today‘s homes so different, so appealing?» >mehr schuf Hamilton eine Ikone der PopArt. Das Werk gilt als Startschuss in die PopArt-Bewegung und gab auch Impulse für Collagen.
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Meister der Darmstädter Passion (1450-1480). Begegnung von Joachim und Anna an der Goldenen Pforte, 1460.
Werkstatt des Hohenlandenberg-Altars, 1480-1510. Kreuztragung und Kreuzigung, um 1490. Detail rechte Tafel.
Adrien Isenbrandt (1485-1551). Flucht nach Ägypten, 1525.
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2. November 2021, Referent Reto Bonifazi Landschaftsdarstellungen im späten Mittelalter. Von Meistern der Darmstädter Passion bis Adrien Isenbrandt (1485-1551).
Unser Referent zeigt auf, dass sich die Entwicklung der Landschafts-Malerei im späten Mittelalter nicht an die Chronologie hält: Während Spitzenkünstler wie >Jan van Eyck schon anfangs des 15. Jhts punkto Perspektive nahezu perfekt malten, hatten spätere Meister noch ihre liebe Mühe damit. Ihre Landschaften wirken wie «aufgeklappt» oder stellen die Grössenverhältnisse nicht richtig dar.
Im Bild «Joachim und Anna an der Goldenen Pforte» wird das Paar fast gleich gross wie der Tempel von Jerusalem dargestellt. Auch die Umarmung ist wenig realistisch – mit den Armen stimmt etwas nicht und die Gesichter wenden sich seltsam ab. Zudem scheint Joachim in der Luft zu schweben – es fehlt der Schlagschatten. Einer der ersten nordeuropäischen Künstler, die mit Schlagschatten arbeiteten, war >Konrad Witz (1400-1446).
Wer sind Joachim und Anna? Es sind die Eltern der heiligen Maria, also die Grosseltern von Jesus. Das Paar war lange kinderlos und bekam ihre Tochter Maria erst, als Joachim in der Wüste 40 Tage lang fastete und Anna mit Gott einen Deal einging...
Im Gemälde des Hohenlandenberg-Altars von 1490 fällt auf, dass einige Elemente nach den Vorgaben damaliger Skizzenbücher erstellt sind, zum Beispiel der Faltenwurf. Die Landschaft im Hintergrund der rechten Tafel – eine Burg, die sich im Wasser spiegelt – ist dagegen erstaunlich realistisch gemalt, auch die Perspektive stimmt ganz gut.
Verglichen mit den beiden Werken oben kommt das Gemälde des Niederländers Adrien Isenbrandt «Flucht nach Ägypten» wesentlich naturalistischer daher. Die Landschaft ist perspektivisch einwandfrei dargestellt, eine Tiefe ist sehr gut zu erkennen. Interessant an diesem Bild ist, was der Künstler alles mit eingebaut hat. Es zeigt nicht nur die «Titelstory» der Flucht nach Ägypten, sondern auch noch den Kindermord von Bethlehem. Dazu als Hintergrund eine fantasievolle Landschaft, in der gleichzeitig die Stadt Jerusalem, niederländische Windmühlen und erst noch hohe Bergspitzen vorkommen.
Es ist zu vermuten, dass sich Isenbrandt bei der Darstellung von Maria und Josef an einem Werk von Albrecht Dürer orientiert hat. Auffallend dabei sind die Ähnlichkeiten beim Bewegungsablauf des Esels und bei der Körperhaltung von Josef >mehr |
Lawrence Weiner, (1942). Over & Above, 2014.
Olafur Eliasson (1967). Your Submerged Spectator, 2021.
Alexander Calder (1898-1976). Cinq blancs, un rouge, 1972.
Rondell im Garten als Sitz-
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26. Oktober 2021, Referentin Maya Karacsony Permanente Kunstwerke im neuen Chipperfield-Gebäude und im «Skulpturengarten» des Kunsthauses Zürich.
Die heutige Führung ist ein Augenöffner. Unsere Referentin weist auf Werke hin, die man glatt übersehen könnte. Das beginnt schon in der Passerelle vom alten Moserbau zum Chipperfield-Gebäude. Hier lädt ein Schriftzug zum Überlegen ein: Was wohl der New Yorker Künstler mit seinem Wortspiel Over and Above meint? Wörtlich übersetzt heisst das «darüber hinaus». Man könnte den Erschaffer Lawrence Weiner eigentlich persönlich fragen – er ist erst 79.
In der Passerelle drin stösst man dann auf Marmorbrocken an der Decke. Hier hat der isländische Superstar Olafur Eliasson, Jahrgang 1967, Hand angelegt. Was an der Decke hängt, sind Marmor-Nachbildungen von echten Eisblöcken, die von Gletschern abgebrochen (Klimawandel?) und an den Strand geschwemmt worden sind. Der Künstler hat sie an der Diamond Beach in Island gefunden, gescannt und nach den digitalen Daten Marmor-Kunstwerke geschaffen. Aus Carrara-Marmor.
Zu den permanenten Kunstwerken im Chipperfield-Gebäude gehört ein grossformatiges Werk von Robert Delaunay (1885-1941), «Formes circulaires». Dann ein monumentales Mobile von Alexander Calder (1898-1976) mit dem Titel «Cinq blancs, un rouge» aus dem Jahr 1972, das wohl schon länger im Depot des Kunsthauses lagerte, aber im alten Haus zu wenig Raum fand. Jetzt hängt es prominent über der mächtigen Treppe zu den >Sammlungen im Chipperfield-Gebäude.
Die brandneue Bar des neuen Kunsthauses ziert ein Werk des berühmten Surrealisten Max Ernst (1891-1976), das er 1934 für die Corso-Bar gemalt hat. Jetzt ist es an der Rückwand der von David Chipperfield gestylten Bar zu sehen – permanent.
Vom in New York lebenden Zürcher Künstler Urs Fischer (1973) stammt die Skulptur «Grundstein», die wie aus Lehm gefertigt wirkt, aber tatsächlich aus Bronze besteht. Es ist ein Geschenk des Künstlers ans Kunsthaus Zürich zum Anlass der Grundsteinlegung für den Chipperfield-Erweiterungsbau.
Ein Geschenk von Meister Chipperfield himself ist das Rondell im Garten an der Rückseite seines mächtigen Bauwerkes. Der Garten trägt den stolzen Namen «Skulpturenpark». Von Skulpturen ist im Moment allerdings nicht viel zu sehen, vielleicht kommen die ja noch. Im nächsten Sommer sollen dann auch noch Sonnenschirme zum Verweilen einladen, und eventuell auch Stühle oder Bänke? Im Moment ist Chipperfields Rondell (noch) die einzige Sitzgelegenheit.
An der Westseite des Gartens steht ein Kunstwerk, das man auf den ersten (und zweiten) Blick als Tramhäuschen einstuft. Viele der Passanten gehen jedenfalls achtlos an ihm vorbei. Erschaffer der Skulptur ist der US-Amerikaner Dan Graham, Jahrgang 1942. Er ist als Konzeptkünstler bekannt und hat eine Vorliebe für Glashäuschen jeder Art. Für Zürich hat er sich ein geschwungenes Modell ausgedacht, in dem sich die BetrachterInnen spiegeln.
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Carlo Carrà (1881-1966). L'idolo ermafrodito, 1917. Kunsthaus Zürich.
Il cavaliere occidentale, 1917. Fondation Mattioli Rossi, Sion.
L'ovale delle apparizioni, 1918. Galleria Nazionale d'Arte Moderna, Roma.
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19. Oktober 2021, Referentin Andrea Sterczer Carlo Carrà (1881-1966). Das hermaphroditische Idol, 1917.
Carlo Carrà war ein italienischer Maler und Kunstschriftsteller. In seiner ersten Phase wandte er sich dem Futurismus zu. Dieser wurde 1909 durch den der Italiener Filippo Tommaso Marinetti gegründet. Dessen berühmtes futuristisches Manifest wurde auch von Carlo Carrà mitunterzeichnet. In diesem Manifest geht es ziemlich deftig zu. Der Verfasser besingt darin die «Liebe zur Gefahr», die Schönheit der neuen Geschwindigkeit und vor allem die Verherrlichung des Krieges – und die «Verachtung des Weibes».
In seiner 2. Phase befasste sich Carrà mit der >Pittura Metafisica, der metaphysischen Malerei. Hier geht es um das Übersinnliche, das Geistige, das Transzendente. Die Gemälde dieser Epoche erkennt man an den bühnenhaften, meist menschenleeren Plätzen, die wie ein Vakuum wirken. Weitere Charakteristiken der Pittura metafisca sind falsche Proportionen und unrealistische Farbgebungen. Neben Carlo Carrà hat sich auch sein Landsmann >Giorgio de Chirico mit der Pittura metafisica einen bedeutenden Namen gemacht.
Das besprochene Gemälde «Das hermaphroditische Idol» von 1917 bezieht sich auf ein griechisch-mythologisches Thema. Es geht um die zypriotische Gottheit Aphroditos. Der römische Dichter Ovid (43 v.Chr. bis 17 n.Chr) beschreibt, wie der 15-jährige Aphroditos – in der Liebe gänzlich unerfahren – von der Nymphe Salmakis bedrängt wird. Als sie ihn nicht bekommt, bittet sie die Eltern von Aphroditos um Hilfe: Hermes und Aphrodite. Diese sorgen dafür, dass die beiden zum Paar werden – aber nicht, wie es sich Salmakis gewünscht hätte, als Mann und Frau, sondern als Hermaphrodit, also als Zwitterwesen – weder Mann noch Frau oder beides.
In Carràs Werk ist von der mythologischen Geschichte kaum etwas zu erkennen. Der Künstler stellt die proportional verzogene Figur in einen engen Raum, gibt ihr ein ausdrucksloses Gesicht und lässt sie eine beschwörende Geste ausführen.
Was will der Künstler damit sagen? Es darf gerätselt und der Fantasie freien Lauf gelassen werden. Die Gestalt ist weder Mann noch Frau und steckt wie ein Gefangener in einem anstaltsähnlichen Anzug, wie in einer Zwangsjacke. Sie wirkt irgendwie gefangen. Das Bild ist typisch für die Pittura metafisca: Es zeigt kein Mensch, sondern eine Puppe, eine ausgedachte Figur fern jeglicher Realität.
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Paul Löwensprung,
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12. Oktober 2021, Referentin Andrea Sterczer Paul Löwensprung, der ältere Berner Nelkenmeister (1460-1499). Geburt Christi, um 1490.
Wer oder was sind Nelkenmeister? Das waren Schweizer Handwerker, die in der Zeit zwischen 1476-1510 sakrale Bilder malten. Sie waren in zunftähnlich organisierten, religiösen Bruderschaften zusammen geschlossen und betrieben ihre Werkstätten in Basel, Bern, Solothurn, Baden und Zürich. Die wenigsten sind namentlich bekannt, sie signierten ihre Werke auch nicht, oder dann höchstens mit ihrem gemeinsamen «Zunftsymbol», das aus einer weissen und einer roten Nelke bestand (weiss für Unschuld oder unbefleckte Empfängnis, rot für die Passion Christi).
Das besprochene Werk ist ein Diptychon, also ein zweiteiliges Bild. Es besteht die Vermutung, dass es einst fünfteilig und für einen Altar bestimmt war. Auf dem linken Panel sind Josef und die heilige Maria (mit Heiligenschein) abgebildet, beide mit finsteren Mienen. Josef löscht gerade symbolträchtig eine Kerze aus, denn er braucht jetzt kein Licht mehr, weil mit der Geburt Christi das Licht auf die Welt gekommen ist. Im zweiten Panel erkennt man oben rechts die Engelscharen und den Stern von Bethlehem. Zwischen Mutter und Kind fehlt jegliche emotionale Bindung, dafür scheinen im Stall der Ochse und der Esel dem Neugeborenen ihre ganze Liebe und Zuneigung zu schenken.
Beide Gemälde weisen künstlerische Stärken und Schwächen auf. Gut gelungen ist Josef mit dem spärlichen Haarwuchs; gekonnt vor allem auch der Faltenwurf und die Wiedergabe der Holzstrukturen. Dafür bekundet der Schweizer Künstler etliche Mühe mit der Perspektive. Diesbezüglich waren die italienischen Maler in dieser Epoche der Renaissance schon deutlich weiter.
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Arnold Böcklin (1827-1901). Liebespaar auf einem Hügel, 1863. Kunsthaus Zürich.
Arnold Böcklin (1827-1901). Liebespaar vor Buschwerk, 1865. Kunsthaus Zürich.
Arnold Böcklin (1827-1901). In der Gartenlaube, 1891. Kunsthaus Zürich.
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5. Oktober 2021, Referentin Andrea Sterczer Arnold Böcklin (1827-1901). Liebespaar auf einem Hügel, 1863. Liebespaar vor Buschwerk, 1865. Die Gartenlaube, 1891.
Das Thema der heutigen Session heisst «Liebe im Laufe der Jahre». Besprochen werden drei Werke von Arnold Böcklin zwischen 1863 und 1891. Im Werk «Liebespaar auf einem Hügel» von 1863 – da ist Böcklin 36-jährig – zeigt der Künstler eine nackte Frau beim Blumenpflücken. Der Mann, nur skizziert, schaut ihr dabei passiv zu. Beim «Liebespaar vor Buschwerk», 1865, wirkt der Mann bedeutend interessierter. Auch dieses Werk scheint nicht vollendet zu sein.
Ganz im Gegensatz zum dritten Gemälde, In der Gartenlaube, das um 1891 entstand. Dieses zeigt ein altes Paar im Herbst des Lebens. Der greise Mann scheint eingeschlafen zu sein, und die Frau hält seine Hand. Beide Figuren sind fein ausgearbeitet, genial das Gesicht der Frau im Schatten und ihr akribisch detailliert gemaltes Kleid. Der Greis trägt einen schweren Morgenmantel mit Pelzbesatz und violette Schuhe. Der Kreis zu seinen Füssen könnte als Symbol des Lebenszyklus interpretiert werden: Ständige saisonale Wiederholung und Vergänglichkeit der Zeit.
Arnold Böcklin kam 1827 in Basel zur Welt, studierte in Düsseldorf, reiste dann nach Paris, nach Belgien und in die Niederlande. Von 1850 bis 1857 lebte und arbeitete er in Rom. Dort lernte er die 17-jährige Römerin Angela Pascucci kennen, die er 1853 heiratete und mit ihr 14 Kinder hatte, von denen acht aber schon im Kindesalter starben. Das Paar reiste mit ihren Kindern durch halb Europa und wohnte immer nur ein paar Jahre an einem Ort. Ihre Stationen hiessen: Rom, Basel, Weimar, Rom, Basel, München, Florenz, Basel, Zürich, Florenz und Fiesole.
Von 1874 bis 1884 lebte und arbeitete Böcklin in Florenz. In dieser Phase erfolgte sein künstlerischer und wirtschaftlicher Durchbruch. In Florenz enstanden auch seine bedeutendsten Werke – darunter die fünf Versionen der berühmten >Toteninsel – die massgeblich seinen Ruf als >Symbolisten begründeten.
1885 kehrte die Familie Böcklin in die Schweiz zurück, diesmal nach Zürich, wo sie bis 1892 lebte. Nach einem Schlaganfall 1892 übersiedelte Arnold Böcklin samt Familie in sein Anwesen nach Fiesole bei Florenz – ganz in der Nähe des Klosters San Domenico. In seiner Villa Bellagio in Fiesole verbrachte er die letzten Jahre seines Lebens. Er starb am 16. Januar 1901.
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Germaine Richier (1902-1959).
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28. September 2021, Referentin Maya Karacsony Germaine Richier (1902-1959). Le Crapaud (die Kröte), 1942.
Sie kommt als Tochter eines Weinbauern in Arles zur Welt und beginnt ihr Studium in Bildhauerei in Montpellier. An der Académie de la Grande Chaumière in Paris lässt sie sich ab 1926 von >Antoine Bourdelle weiter ausbilden – einer ihrer Studienkollegen ist Alberto Giacometti. Hier lernt sie auch den Zürcher Bildhauer >Otto Charles Bänninger kennen. Die beiden heiraten 1929.
Die hier besprochene Bronze «Die Kröte» ensteht 1942 in Zürich und gilt als Schlüsselwerk für die Wende vom Naturalismus zum eigenen Stil der Künstlerin: Eine Mischung aus Mensch und Tier. Auf den ersten Blick ist eine nackte Frau in Kauerstellung zu erkennen – bei näherer Betrachtung fällt auf, dass Finger und Füsse der Frau/Kröte Schwimmhäute aufweisen und auf ein amphibisches Wesen hindeuten.
Ab der Rückkehr nach Paris 1946 folgen Fabelwesen, die ihren Ursprung in Südfrankreich haben, basierend auf Grillen und anderen Insekten. So die «Ameisenfrau», die heute in der Fondation Vincent van Gogh in Arles zu sehen ist. In Paris verkehrt die Künstlerin mit Surrealisten – sie selbst sieht sich auch als Surrealistin.
Später entstehen weitere surrealistische Hybrid-Fabelwesen, ein Mix aus Menschen, Tieren und Pflanzen. Für die Eglise Notre-Dame de Toute Grâce du Plateau d'Assy fertigt sie ein surrealistisches Altarkreuz.
1953 erkrankt Germaine Richier an Krebs. Sie hält ihre Krankheit aber jahrelang unter Verschluss und stirbt 1959 in Montpellier. Nach ihrem Tod, 1963, bietet ihr das Kunsthaus Zürich eine Einzelausstellung.
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Rebecca Warren (1965).Handbemalte Bronzen, 2012. Kunsthaus Zürich.
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21. September 2021, Referentin Martina Kaufmann Rebecca Warren (1965). Handbemalte Bronzen, 2012.
Als die 1965 in London geborene Bildhauerin nach ihrem Kunststudium an der Oxford University und am Chelsea College of Art and Design um 1996 ihre Künstlerkarriere startete, war sie zunächst fasziniert von den Arbeiten der Schweizer Künstler >Fischli/Weiss, die ausgehend von Alltagsgegenständen Kunst machten. Danach setzte sie Figuren aus Comic-Heften dreidimensional um, bevor sie ihren eigenen Weg als Bildhauerin ging.
Einen Namen machte sie sich mit grossformatigen Figuren weiblicher Sexualität aus gebranntem Ton mit monströs überzeichneten Brüsten und Hüften. Ihre ersten Ausstellungen hatte sie in London, Chicago und Zürich (Kunsthalle Zürich, 2004).
Eine bedeutende Anerkennung wurde ihr 2006 zuteil: Für ihre skulpturalen Installationen wurde sie für den Turner Prize nominiert. 2008 erhielt sie vom Stedelijk Museum Amsterdam den Vincent Award for Contemporary Art und 2014 wurde sie mit der Mitgliedschaft der Royal Academy of Arts in London geehrt. Im gleichen Jahr berief man sie als Professorin für Freie Kunst an die Kunstakademie Düsseldorf. 2020 wurde ihr bei den Queen’s Birthday Honours für Verdienste um die Kunst ein OBE verliehen (=Order of the British Empire).
Was stellen die drei Bronzefiguren im Kunsthaus Zürich dar? Die KursteilnehmerInnen rätseln. Klar zu erkennen ist in einer der Bronzen eine einsame weibliche Brust – die übrigen Formen sind schwer zuzuordnen, wirken teils wie langezogenes Gedärm.
Und warum hat die Künstlerin die Bronzen bemalt? Von ihr selbst kommt keine Erklärung. So darf man werweissen. Vielleicht aus kindlicher Freude? Dafür sprechen würden einige Farben, die an Schleckstengel erinnern. Oder an Türkisch Honig. Zum Dreinbeissen – wenn da nicht die Assoziation zu den Därmen wäre.
Eine etwas realistischere Erklärung könnte indessen diese sein: Durch die Handbemalung, die ja nie zweimal genau gleich herauskommt, wird aus jeder Bronze ein Unikat und nicht einfach eine Kopie. Von allen drei Bronzen wurden je drei Abgüsse erstellt.
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Frank Stella (1936). Jardim Botanico I, 1975. Kunsthaus Zürich.
Seitansicht 1.
Seitansicht 2.
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8. Juni 2021, Referent Daniel Näf Frank Stella (1936). Jardim Botanico I, 1975.
Der heute 85-jährige in Massachusetts geborene Amerikaner lebt und arbeitet ab 1958 in New York. Er absolviert keine akademischen Malschulen, sondern bildet sich als Autodidakt weiter. Man zählt ihn zur US-Künstlergeneration der abstrakten Expressionisten und Bildhauer (Carl Andre, Jackson Pollock, Mark Rothko, Jasper Johns, Donald Judd u.a.), die sich vom europäischen Kunstverständnis lösen wollen. Frank Stella will in seinen Werken das klassische Bildformat überwinden (keine Figur auf Grund, kein goldender Schnitt, keine Kompositionen mehr, sondern das Sujet soll gleich Aussenform sein). Mit seinen «Black Paintings» von 1958, in denen er weisse Linien auf schwarz anordnet, schafft er den Durchbruch und wird über Nacht berühmt. Später kommen seine Werke in L-, T- oder H-Formen daher («shaped canvases» = geformte Leinwände) oder auch als unregelmässige Polygone. Ab 1990 befasst er sich auch mit der architektonischen Umsetzung seiner Werke.
Wie ist sein Werk «Jardim Botanico I» von 1975 einzuordnen? Ist es ein Relief? Eine Konstruktion? Ein Modell für einen Garten?
Es ist eine neue Art von Gemälde ohne Rahmen, nicht mehr flach, sondern in «2.7-D» (heisst: nicht mehr zweidimensional, aber auch noch nicht 3D). Das vorgestellte Werk aus Aluminium ist geschraubt und geschweisst und besteht aus mehreren Farbflächen (Farbfeldmalerei) in Lack und Öl, die teils lasierend, teils mit Bürste bearbeitet sind – aber auf jeden Fall schnell und maschinell aufgetragen – und damit wie gewünscht weit weg von der «europäischen Feinmalerei» mit Dachshaarpinseln.
Charakteristisch für diese Art der US-Malerei sind auch die enormen Dimensionen der Werke: Es sind durchwegs grosse Konstruktionen, die ganze Räume einnehmen und es gibt noch weit grössere als das Werk «Jardim Botanico I». Dieses hat das Kunsthaus 1979 erworben.
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Anna Boghiguian (1946). Untitled, 2018. Kunsthaus Zürich.
Nebenraum mit Seglern.
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1. Juni 2021, Referentin Martina Kaufmann Anna Boghiguian (1946). Untitled, 2018.
Sie wird 1946 in Ägypten in eine armenische Familie geboren und studiert ab 1969 Wirtschafts- und Politikwissenschaften an der American University in Kairo. Gleichzeitig nimmt sie Malunterricht beim ägyptischen Künstler Fouad Kamel (1919-1973). Mit ihrer Familie wandert sie nach Kanada aus und studiert an der Concordia University Bildende Kunst und Musik.
Was stellt ihr Werk «Untitled» von 2018 dar, das im neu eingerichteten «Interventionsraum» im Moser-Bau des Kunsthauses ausgestellt ist? Es ist eine Installation aus mehreren expressiv bemalten Tüchern, die auf ein echtes Segel genäht sind. Im unteren Teil sind Schriften zu erkennen. Diese verweisen auf drei Themenbereiche: 1. Die industrielle Revolution und die damit verbundene Sklaverei. 2. Der Gewürzkrieg zwischen den Kolonialmächten. 3. Die digitale Revolution, die den USA eine Vormachtstellung gebracht hat (mit Firmen wie Google und Facebook).
Das Segel steht symbolisch für den Welthandel, schlägt aber auch einen Bogen zum nomadisierenden Leben der Anna Boghiguian, das sie sowohl als Person als auch als Künstlerin aufgrund ihres armenischen Hintergrundes führte und bis heute führt. Die Künstlerin ist jetzt 74 und immer noch ständig auf Achse. Im untern Teil des Segels sind Stationen ihrer Reisen in Schrift und Bild zu erkennen.
Und was hat es mit dem neuen Interventionsraum im Kunsthaus auf sich? Der prächtige Kuppelraum im klassischen Moser-Bau beherbergte bisher Werke von Arnold Böcklin. Künftig sollen hier Kunstwerke präsentiert werden, die in einen Kontext zu den Werken in den Nebenräumen gebracht werden können.
Der Anfang ist gemacht: Hier das Segel der Anna Boghiguian – dort im Nebenraum die Gemälde der passenden niederländischen Segler, die bei der Kolonialisation eine wichtige Rolle gespielt haben.
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Francesco Capella (1711-1774). Susanna und die beiden Alten, 1745-50. Kunsthaus Zürich.
Peter Paul Rubens (1577-1640). Susanna and the Elders, 1608. Academia Bellas Artes Madrid.
Albrecht Altdorfer (1480-1538). Susanna im Bade, 1526. Alte Pinakothek München.
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25. Mai 2021, Referentin Andrea Sterczer Francesco Capella (1711-1774). Susanna und die Alten, 1745-50.
Es geht um eine berühmte Geschichte in der Bibel: Die fromme Susanna wird von zwei alten Richtern bedrängt, während sie badet. Die beiden Alten wollen sie gefügig machen, indem sie ihr drohen, sie des Ehebruchs zu bezichtigen, was die Todesstrafe nach sich ziehen würde.
Das Gemälde von Capella wirft Fragen auf. Die beiden Alten scheinen in dieser Darstellung Susanna nicht ernsthaft zu bedrängen, sie wirken eher passiv im Gespräch – wieso also macht Susanna ein so entsetztes Gesicht und betet zum Himmel, damit Gott sie beschützen möge? Ihre dramatische Reaktion erklärt sich erst, wenn man sich die ganze Geschichte vor Augen hält
Wie haben andere Künstler den «Tatbestand» von Susannas Bedrängung verarbeitet? Die Referentin verweist auf die Gemälde von Peter Paul Rubens aus dem 17. Jht und von Albrecht Altdorfer aus dem 16. Jht. Während Rubens die «klassische» Variante wählt und das Bedrängen der nackten Frau explizit darstellt, haben sich bei Altdorfer die beiden Lüstlinge in die Nähe von Susannas Bad geschlichen und beobachten die Szene aus dem Hinterhalt.
Wer ist Francesco Capella? Der italienische Maler ist auch unter dem Namen Francesco Daggiù bekannt. Er stammt aus Venedig und arbeitet zunächst in der Werkstatt von Giovanni Battista Piazzetta. Seine ersten Werke sind Fresken. Ab 1744 gehört er der Fraglia der venezianischen Maler an. Als Künstler wird er vor allem in Bergamo bekannt, wo er Deckengemälde des Palazzo Albani ausführt. 1757 zieht er endgültig nach Bergamo. Hier richtet er seine Werkstatt ein und eröffnet später eine Malschule, in der auch einer seiner Söhne ausgebildet wird.
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Heinrich Keller (1771-1832). Atalanta, 1796-1800. Marmor. Kunsthaus Zürich.
Atalantas Hand mit drei stylisierten Aepfeln.
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18. Mai 2021, Referentin Maya Karacsony Heinrich Keller (1771-1832). Atalanta, 1796-1800.
Kellers Atalanta ist ein Auftragswerk des Earl of Bristol. Sie besteht aus Marmor, ist 175 cm hoch und gilt als eines seiner Hauptwerke. Er fertigt sie in Rom in den Jahren 1796-1800. Atalanta ist eine Figur aus der griechischen Mythologie. Sie ist die Tochter von Iasos, der aber lieber einen Erben hätte und sie deshalb aussetzt. Artemis rettet sie, indem sie ihr eine Bärin schickt, die das Kind säugt. Dann wächst sie bei Jägern auf und wird als Amazone zur schnellsten Läuferin Griechenlands. Sie kann schneller rennen als jeder Mann. Und fordert ihre Bewerber zum Wettkampf. Wer sie besiegt, kriegt sie zur Frau, wer verliert, stirbt. Dem schlauen Hippomenes gelingt es, sie mit einer List zu besiegen...
>mehr über Atalanta und Hippomenes
Was fällt auf an der sportlichen Atalanta? Sie wirkt sehr dynamisch, aber ihr Gesichtsausdruck weist auf keinerlei Anstrengung hin. Ihre Lippen sind durch Einschlüsse im Marmor verunstaltet. In ihrer Hand hält sie die (symbolisierten) drei goldenen Äpfel, die sie während des Wettrennens aufgelesen hat – und deshalb den Wettkampf verlor.
Heinrich Keller kommt 1771 in Zürich zur Welt, als Sohn des Baumeisters Johann Kaspar Keller, der eine bedeutende Bildersammlung besitzt. Heinrich Keller lernt Bildhauerei in der Luzerner Werkstatt von Joseph Maria Christen. 1794 zieht er nach Rom und befasst sich dort mit dem Klassizismus. Sein Vorbild ist der dänische Bildhauer Bertel Thorwaldsen (1770-1844). Ein weiteres wichtiges Werk Kellers ist «Die Geburt der Venus». 1803 holt er sich bei einem Sturz schwere Verletzungen und Knochenbrüche, von denen er sich nie richtig erholt. Er ist auf fremde Hilfe angewiesen. Nun konzentriert er sich mehr und mehr auf den Handel mit Marmorblöcken. Daneben schreibt er Artikel und Gedichte. 1810 wird er Mitglied der Päpstlichen Archäologischen Akademie. Er stirbt 1832 in Rom, wahrscheinlich an Lungentuberkulose.
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11. Mai 2021, Referentin Martina Kaufmann Marianne Müller (1966). Boxen mit Fotografien, 1995.
Wir besuchen die Grafische Sammlung des Kunsthauses Zürich. Simone Gehr, die wissenschaftliche Assistentin des Kunsthauses führt uns hinter die Kulissen der Sammlung. Diese umfasst rund 95'000 Arbeiten auf Papier, die gehegt, gepflegt, katalogisiert und wissenschaftlich erforscht werden. Auch Fotografien gehören dazu.
Die Fotografin Marianne Müller erzählt, wie es dazu kam, dass ihr Werk «Kartonschachtel mit zwölf Fotografien 9x13 cm» vom Kunsthaus Zürich erworben wurde.
1995 kam sie auf die Idee, 9 x 13 cm-Prints von Schnappschüssen
Marianne Müller besuchte von 1987 bis 1991 die Fachklasse für Fotografie an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich. Danach war sie als selbständige Fotografin und Künstlerin tätig – mit Ateliers in Paris und New York. Ihre Arbeiten präsentierte sie u.a. an der Biennale in Venedig, im Museum of Fine Arts in Houston, in den Museen für Gegenwartskunst von Santiago de Chile und Lyon. Sie publiziert auch Künstlerbücher und ist Dozentin für Fotografie, seit 2007 an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich im Studienbereich Fotografie. Sie lebt und arbeitet in Zürich.
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Francesco Napoletano (1460-1501). Maria col bam-bino, 1495-1500.
Bartolomeo Montagna (1449-1523). Cristo portacroce, 1515.
Paolo Veronese (1528-1588). San Girolamo 1580.
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4. Mai 2021, Referent Reto Bonifazi Francesco Napoletano (1460-1501). Maria col bambino, 1495-1500.
Napoletano war ein Schüler von Leonardo da Vinci. Da Vinci repräsentiert den Malertypus des ausgeprägten Naturalismus und die lineare Malerei, die später zur Grundlage der akademischen Malerei wurde. Mit seiner berühmten «sfumato»-Technik schaffte er es, an sich naturalistischen Bildern eine poetische Note zu verleihen. Wie machte er das? Er arbeitete zwar zunächst mit harten Linien, fügte diesen dann aber nach aussen einen weichen Übergang an und liess so das Bild soft, leicht verschwommen, erscheinen. Dieses Prinzip wandte auch sein Schüler Napoletano in seinem Madonnenbild mit Kind an, die beide ganz weich erscheinen.
Eine ganz andere Malweise hat
Bartolomeo Montagna (1449-1523). Cristo portacroce, 1515.
angewandt. Nicht nur das Gesicht des kreuztragenden Christus erscheint scharf abgebildet, sondern auch alle Details im Gemälde wie zum Beispiel der Holzbalken oder das Hemd mit seinen Falten. Hier basiert das Gemälde auf einer Zeichnung, die dann gewissermassen «ausgemalt» wurde. Mit Schatten und Lichtern erzielte der Künstler die natürliche Wirkung und eine Dreidimensionalität – besonders gut zu erkennen an den Falten im Hemd. Betrachtet man hingegen die Hand, so wirkt diese eher flach und wie eine Babyhaut. Wieso dies? Nicht auszuschliessen ist, dass der Meister die Hand gar nicht selber gemalt hat, sondern dass diese von einem Werkstattmitarbeiter ausgeführt wurde.
Nochmals ganz anders malte
Paolo Veronese (1528-1588). Heiliger Hieronymus, 1580.
Seiner Maltechnik lagen keine Zeichnungen zugrunde. Er benötigte keine vorbereitenden Linien und erreichte den Bildaufbau rein malerisch. Um die Illusion einer Dreidimensionalität zu erzielen, setzte er Hell-Dunkel-Werte ein, wie zum Beispiel an der Hand des heiligen Hieronymus zu erkennen ist: Durch geschicktes Setzen von Farbflecken an den richtigen Stellen entsteht der Eindruck von Venen und Sehnen.
Dass dieses Spiel mit Schatten und Licht manchmal auch schief gehen kann, zeigt sich unter dem Hals des Heiligen: Hier setzte der Künstler auf eine flache Stelle des weissen Unterkleides eine Schlangenlinie, die einen Schattenwurf darstellen soll, wo es gar keinen geben darf. Auch hier steht die (reine) Vermutung im Raum, dass das nicht vom Meister stammen könnte, sondern von einem Gehilfen seiner Werkstatt.
Als Beispiel eines perfekten Werkes eines grossen Meisters schaut sich die Gruppe noch ein Gemälde von >El Greco (1541-1614) an: Bildnis Charles de Guise, Cardinal de Lorraine, 1572. In diesem kommt die Kunst im Umgang mit Licht besonders im Kleid des Kardinals zur Geltung.
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Robert Zünd (1827-1909). Schlachtkapelle von Sempach, 1866. Kunsthaus Zürich.
Detail Schlachtkapelle.
Detail Wiese.
Albert Anker (1831-1910).
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27. April 2021, Referent Reto Bonifazi Robert Zünd (1827-1909). Schlachtkapelle von Sempach, 1866.
Auf den ersten Blick ist es ein realistisches Landschaftsbild. Ist es aber nicht, sondern «idealisierte Realität», wie es auch >Claude Lorrain (1600-1682) gemalt hätte. Lorrain war für Robert Zünd ein Vorbild, weil auch dieser die Realität idealisierte. Darum geht es in dieser Lektion: Die Darstellung von Szenen, die «real» aussehen, aber in Wahrheit gar nicht existieren.
Zünds Gemälde heisst «Schlachtkapelle von Sempach». Die Kapelle sieht man kaum, sie ist nur ganz klein im Hintergrund abgebildet. Es ging dem Künstler vielmehr darum, das «gesegnete Land» abzubilden, mit den «Idealen» Mutterschaft, Liebe, Arbeit. Für dieses Land kämpften die Eidgenossen gegen die Habsburger (denen das Land gehörte). Aus Sicht der Habsburger waren die Eidgenossen nur «primitive Untertanen», die Land erobern wollten, das ihnen nicht zusteht. Es kam zum Krieg.
In der Schlacht von Sempach am 9. Juli 1386 besiegten die Eidgenossen die Österreicher und töteten 400 Ritter, Herzog Leopold III kam in der Schlacht um. Die Eidgenossen verstanden ihren Sieg so, dass es Gott war, der ihnen dieses «gesegnete Land» zusprach.
Zünds Gemälde ist im Stil «Lorrain» aufgbaut. Eine mächtige dunkle Baumgruppe zwingt das Auge, das Bild von links nach rechts zu lesen, wo eine idealisierte Realität abgebildet wird, die «heile Welt im gesegneten Land»: Die Kapelle, Menschen an der Arbeit, der reitende Vater, der auf Frau und Kind zurückblickt.
Maltechnisch bemerkenswert ist, wie Zünd die Wiese verarbeitet. Auf den ersten Blick scheint er jeden einzelnen Grashalm abzubilden, aber tatsächlich – und erst in der Vergrösserung zu erkennen – malt er die Wiese grob und vermittelt die Illusion einer detailgenauen Abbildung, indem er geschickt Farbtupfer am richtigen Ort setzt.
Albert Anker (1831-1910). Kappeler Milchsuppe, 1869.
Auch dieses Bild hat mit der Realität nichts zu tun – selbst wenn es die «Kappeler Milchsuppe» gegeben haben sollte. Es zeigt einen idealisierenden Moment der >Kappelerkriege, in welchem sich die beiden Feindparteien darauf besinnen, dass sie «Brüder» sind. «Sie vergessen der alten Früntschaft nit», wie es auf dem Bilderrahmen heisst. Ein Beispiel, wie realitätsfremd das Bild ist: Woher soll dieser hübsche Zuber mit der Milch kommen? Wenn schon, dann wäre es ein Kessel über dem Feuer gewesen. Dem Künstler ging es aber nicht darum, die Realität abzubilden, sondern einen symbolträchtigen Moment aufzuzeigen, der die Grundzüge der «Willensnation» Schweiz in sich trägt.
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Serge Brignoni
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20. April 2021, Referentin Maya Karacsony Serge Brignoni (1903-2002). Tête, 1933.
Der Künstler stammt aus dem Tessin, er kommt in Chiasso zur Welt. Die Familie zieht 1907 nach Bern. Als 16-jähriger beginnt er dort ein Studium an der Kunstgewerbeschule. Mit zwanzig gehts nach Paris an die Académie Lhote. Er kommt in Kontakt mit der Surrealistengruppe um >André Breton, lernt u.a. die Schweizer Bildhauer Alberto Giacometti und Otto Charles Bänninger kennen.
Zu dieser Zeit ist es in Paris «Mode», afrikanische Kunst zu sammeln. Brignoni tut das auch, handelt damit und verdient sich so einen Teil seines Lebensunterhalts. Seine ersten eigenen Werke sind Holzskulpturen, die afrikanische Einflüsse aufweisen. Daneben schafft er surrealistische Gemälde. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs muss er 1940 Paris verlassen – vermutlich, weil er dort nach der Besetzung der Deutschen mit seiner «entarteten» Kunst Probleme bekäme. Er kehrt zurück in die Schweiz, nach Bern. Dort versucht er, seine surrealistischen Gemälde zu verkaufen, aber ohne Erfolg. Für einige Arbeiten findet er Abnehmer in Basel und Zürich.
Die besprochene Holzskulptur «Tête» von 1933 wird 1968 vom Kunsthaus Zürich erworben, Kaufpreis 1500 Franken. Was stellt sie dar? Die Meinungen sind geteilt. Einen Kopf zu erkennen, wie der Titel aussagt, ist schwierig. Ist es ein balancierender Mensch? Ein Papagei? Oder ein Phallussymbol?
In einer zweiten Phase schafft Brignoni auch Eisen-Plastiken, später auch Skulpturen aus Speckstein und Aluminium. Einige seiner surrealistischen Gemälde werden u.a. an der Ausstellung im Aargauer Kunsthaus gezeigt >Schweizer Surrealismus, gibt es das? (1.9.18 - 2.1.2019). Serge Brignoni arbeitet zeitlebens als Surrealist.
1944 bietet ihm das Kunsthaus Zürich eine Einzelausstellung. 1954 bis 1956 unterrichtet er an der Kunstgewerbeschule Zürich angewandte Malerei. 1985 schenkt Brignoni seine Kunstsammlung mit Werken aus Afrika, Ozeanien, Indonesien und Indien der Stadt Lugano, die 1989 in der Villa Heleneum ein Museum für aussereuropäische Kulturen eröffnet (heute in der Villa Malpensata, Museo >Musec).
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