So heisst der Kurs, der im Kunsthaus Zürich stattfindet – organisiert von der Migros Klubschule. Jeden Dienstag treffen sich Kunstfreunde über Mittag im Kunsthaus Zürich. KunstexpertInnen erläutern die Finessen einzelner Werke.
Der Kurs findet zweimal jährlich statt. Im Frühjahr von März bis Juni, im Herbst von September bis Dezember. Je zwölf Wochen.
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John Chamberlain (1927-2011). Knieschoner-Prüfer, 1976. Fondation Hubert Looser. Kunsthaus Zürich.
Das Knieschoner-Chromteil.
Das Prüf-Auge.
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6. Juni 2023, Referentin Andrea Sterczer John Chamberlain (1927-2011). Knieschoner-Prüfer, 1976.
Der amerikanische Bildhauer und Maler hat sich als Recycling-Künstler innerhalb der Sparte Junk-Art einen klingenden Namen gemacht. Seine Kunstwerke bestehen mehrheitlich aus Auto-Abfallteilen. Im Rahmen von Kunst über Mittag haben wir bereits 2022 ein solches Werk besprochen: den >Strohmann von 1991.
Das heutige Werk heisst «Knee Pad Examiner», zu deutsch Knieschoner-Prüfer. Was stellt dieses Werk dar, und was in aller Welt ist ein Knieschoner-Prüfer? Die Referentin bietet folgende Erläuterung an:
Die aus Auto-Abfallblechen zusammengesetzte Komposition besteht aus fünf Teilen. Formal weist das Werk eine gegenäufige Kräfteteilung auf. Das verspiegelte Chromteil weist nach oben; die Blechteile dagegen nach unten. Links aussen hat der Künstler ein weisses, unbearbeitetes Originalteil verwendet, sozusagen als Basis – es ist das Kernstück der Komposition. Die weisse Farbe könnte für Spiritualität stehen.
Die Blechteile rechts davon sind alle bearbeitet, zum Teil gepresst, gefalzt oder geformt. Die Bemalung der beiden Mittelteile ist freundlich-verspielt in leuchtenden Rot- und Gelbtönen gehalten. Der Teil rechts aussen dagegen in den dunklen, schweren Farben Ocker, Bordeaux und Blau. Am unteren Teil dieses «Armes» befindet sich ein flachgewalztes Blechstück in kräftigem Blau, gewissermassen als Abschluss.
Und was hat es mit dem «Knieschoner-Prüfer» auf sich? Zuoberst befindet sich ein verchromtes Teil einer Auto-Stossstange, das die Form eines Knieschoners aufweist. Dieses verspiegelte Teilstück überblickt (oder «prüft») die weitere Umgebung, die sich je nach Blickwinkel ständig und flexibel verändert, es «sieht» also eine sich immer wieder abwechselnde Realität. Im Gegensatz dazu «prüft» das starre Auge im Mittelblech unten einen fixen Ausschnitt der Realität.
Auf die Frage eines Kursteilnehmers, was >John Chamberlain wohl von dieser Definition halten würde, antwortet die Referentin augenzwinkernd: «Er wäre natürlich voll damit einverstanden!» – wohl wissend, dass der Künstler seine Werke grundsätzlich nie erklärt und die Definitionen ganz bewusst den Betrachter:innen überlässt.
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Nathalie Djurberg und Hans Berg erläutern ihre Arbeitsweise
>YouTube-Film
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30. Mai 2023, Referentin Maja Karacsony Nathalie Djurberg (1978) und Hans Berg, Claymation-Filme.
Geplant ist die Besprechung des Video-Werkes «Turn into Me», das seit 2008 im Besitz des Kunsthauses Zürich ist – heute aber leider nicht zur Verfügung steht. Die Referentin stellt die schwedische Künstlerin und ihren Lebenspartner, den Musiker Hans Berg, vor. Dieser komponiert die Musik zu Djurbergs Claymation-Filmen.
Was heisst Claymation? Man versteht darunter eine Animationstechnik, bei der Plastilinfiguren einzelbildweise fotografiert und nach jedem Schuss verändert werden. Zusammengefügt entsteht dann eine Animation.
Nathalie Djurberg machte ihren Master 2002 an der Kunstakademie Malmö. Sie arbeitet mit einer Mini-DV-Kamera. Ihre Kunstfiguren bestehen aus Plastilin oder anderen Knetmassen. Ihre meist skurrilen, manchmal auch grotesken Filme thematisieren Macht und Ohnmacht, Missbrauch und Fürsorge, generell Leben, Tod, Erotik und Gewalt.
Djurberg schreibt ihre Drehbücher selbst und ist gleichzeitig Regisseurin, Kamerafrau und Gestalterin der Kostüme für ihre Figuren, die sie auch selbst bemalt. Sie sagt (sinngemäss): «Eigentlich wiederspiegelt jeder meiner Filme meine eigenen Fantasien, jedes Werk wird damit zu einer Art Selbstporträt».
Ihre erste Ausstellung hatte Djurberg 2004 unter dem Titel «Tiger licking girls butt» in Stockholm. 2006 nahm sie an der Biennale Venedig teil, 2007 war sie auch im Kunst Museum Winterthur zu sehen. 2008 machte sie mit ihrer Ausstellung in der Fondazione Prada in Mailand auf sich aufmerksam. Weitere Auftritte hatte sie in der Fondation Beyeler in Riehen-Basel, in der Londoner Tate Modern, im MoMA New York und im Institute of Contemporary Art in Boston, USA. 2019 widmete ihr die Kunsthalle Schirn in Frankfurt eine Ausstellung unter dem Titel «Djurberg & Berg».
Heute lebt und arbeitet Djurberg mit ihrem Partner Hans Berg in Berlin.
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Camille Corot (1796-1875). Les Quatre Arbres en bordure de plaine, 1869-70. Sammlung Bührle, Kunsthaus Zürich.
Detail 1.
Detail 2.
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23. Mai 2023, Referentin Andrea Sterczer Camille Corot (1796-1875). Les Quatre Arbres en bordure de plaine.
Seine Gemälde kommen eher düster daher, mit Farben geht Corot sehr sparsam um. Ihm genügen braun, grün, grau. «Man soll möglichst wenig Farben verwenden, Farben stören nur» soll er einmal gesagt haben. Das versucht er auch seinen Schülern beizubringen (darunter >Pissarro und >Morisot), aber die halten sich nicht daran. Im besprochenen Gemälde von Corot kommt nur an einer Stellen ein bisschen Rot vor: auf der Schulter des blumenpflückenden Mädchens. Interessant ist der Aufbau in der klassischen Aufteilung 1/3 Erde und 2/3 Himmel. Der «Erdteil» besteht aus drei gekrümmten parallelen Horizontalen, die nach rechts aufsteigend sind (das könnte damit zusammenhängen, dass der Maler ein Rechtshänder ist). Das Gegenstück dazu ist die nach links oben gezogene Wolkenkette. Eine weitere Parallele besteht zwischen dem gebeugten Mädchen und den ebenso gebeugten beiden Bäumen rechts.
Corot gilt als «Vorreiter des Impressionismus». Auf den ersten Blick spricht wenig dafür. Er malt zwar gerne im Freien – eines der Charakteristika des Impressionismus – aber im Freien skizziert er nur, seine Werk entstehen dann im Atelier. Und eine weitere Bedingung, den schnell geführten Pinselstrich, erfüllt er scheinbar auch nicht. Oder doch?
Wenn man die Details im dunklen Bereich der Bäume rechts oben im Bild (siehe Detail 2) betrachtet, dann sind dort tatsächlich keine fein ausgestalteten Blätter zu erkennen, wie man sie vom Realismus her kennt, sondern nur fleckenhaft aufgetragene helle Farbpunkte, mit der der Künstler den Eindruck von Blättern erzielt. Angedeuteter Impressionismus.
Jean-Baptiste-Camille Corot, wie er mit ganzem Namen heisst, kommt 1796 in Paris zur Welt und wächst in wohlhabenden Verhältnissen in Rouen auf. Sein Vater ist Tuchmacher, die Mutter – eine Schweizerin – betreibt eine modische Hutmacherei. Auf Tücher und Hüte hat Camille keine Lust, er will Maler werden. Schliesslich stattet ihn der Vater mit Taschengeld aus und erlaubt ihm, seinem Traum als Künstler nachzugehen.
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Gerard ter Borch (1617-1681). Der Besuch, 1660. Sammlung Bührle, Kunsthaus Zürich.
Detail Kleid.
Detail Hut.
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16. Mai 2023, Referentin Andrea Sterczer Gerard ter Borch (1617-1681). Der Besuch, 1660.
Der holländische Maler hat eine interessante Biographie: Er stammt aus einer adligen Familie mit eigenem Wappen, die in Terborg ansässig war. Gerards Vater hiess auch Gerard und war ebenfalls Maler (Gerard ter Borch der Ältere, 1582-1662). Auch seine Schwester Gesina war Künstlerin. Gerard ter Borch d.J. erhielt seine künstlerische Ausbildung beim Vater und erwarb sich einen klingenden Namen als Genre-Maler (Abbildungen von Szenen aus dem Alltag, Menschengruppen). Er malte aber auch Porträts von vornehmen Amsterdamer Bürgern und Adligen und sogar vom spanischen König Felipe IV. Das machte ihn so bekannt, dass er 1646 zu den Friedensverhandlungen zwischen den Niederlanden und Spanien nach Münster eingeladen wurde, wo er die anwesenden Diplomaten porträtierte.
Das besprochene Gemälde zeigt die Meisterschaft des Künstlers vor allem in den fein ausgearbeiteten Details im noblen Kleid der Dame im Zentrum. Gerard ter Borch ist auch bekannt dafür, dass viele seiner Gemälde eine Art «Bilderrätsel» darstellen.
Dieses Werk ist ein gutes Beispiel dafür. Was spielt sich hier ab? Der Titel «Der Besuch» scheint auf den ersten Blick darauf hinzudeuten, dass ein hochrangiger, berühmter Gast einer Familie seinen Besuch abstattet. Doch etwas stimmt da nicht in diesem Ablauf: Die drei Personen links aussen kümmern sich überhaupt nicht um den eintretenden Gast, sie blicken in die Leere. Also kann er kaum ein wichtiger Besucher sein.
Was also könnte das Bild darstellen? Es gibt Hinweise darauf, dass es sich um einen Bordell-Besuch handeln könnte. Wichtigstes Indiz dafür ist der eintretende «Nobelmann» mit prominentem Hut in der Hand. Wie der Herr diesen Hut präsentiert – wie eine geöffnete Muschel – kann dieser als Symbol für eine Vagina gedeutet werden. Falls das zutrifft, würde das auch erklären, warum die sitzende Dame (Puffmutter?) sich nicht um den Gast kümmert und den Empfang der jungen Dame überlässt, einer Kurtisane oder Edel-Dirne in prächtiger Aufmachung.
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Alberto Giacometti (1901-1966). Diego, 1920. Kunsthaus Zürich.
Alberto Giacometti (1901-1966). Nu, 1923. Kunsthaus Zürich.
Giovanni Giacometti (1868-1933). Die Lampe, 1912. Kunsthaus Zürich.
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9. Mai 2023, Referent Daniel Näf Alberto Giacometti (1901-1966). Diego, 1920.
Im Zentrum der heutigen Bildbesprechung steht das Porträt von Albertos Bruder Diego (1902-1985). Es handelt sich um ein 3/4-Porträt. Bei diesen Porträts gibt es für die Künstler eine knifflige Stelle: das entfernte Auge hinter der Nase. Giacometti hat das hier gut gelöst, überhaupt ist es ein sehr gelungenes Werk.
In traditionellen naturalistischen Gemälden bis Mitte des 19. Jahrhunderts sind in der Regel keine Pinselstriche zu erkennen. Erst mit >Paul Cézanne, dem «Vater der Moderne», wurde es Mode, mit «taches» (Flecken) zu malen, sodass der Pinselstrich erkennbar wurde. Ein gutes Beispiel für die «Taches-Malerei»: Cézannes «Montagne Sainte Victoire». Auch beim Pointillismus (>Seurat, >Signac), sind die Pinselstriche klar definiert, und zwar mit Punkten. Oder mit Strichen wie bei >Segantini.
In diesem um 1920 entstandenen Gemälde von Alberto Giacometti kommen verschiedene Pinselführungen zur Anwendung. Da gibt es die taches à la Cézanne – zum Beispiel in der Stirn des Porträtierten, in den Haaren, auch auf der hellen Seite der Bekleidung und im Hintergrund oben. Da gibt es aber auch Flächen im Hintergrund unten links und auf der dunklen Schulter. Da gibt es horizontale und vertikale Linien. Da gibt es dunkle Konturen, die das Gesicht umranden oder die Nase, und mit grün unterlegte Konturen am Kinn.
Auch im Gemälde «Nu» von 1923 arbeitet Alberto Giacometti mit «taches», sehr gut zu erkennen im Oberkörper. Auch hier sind Konturen zu sehen, vor allem an den Armen. Durch diese Konturen erscheint das Bild schärfer und besser «lesbar».
Im Gegensatz dazu steht das Gemälde von Giovanni Giacometti – Albertos Vater – das mit Flächen und ohne Abgrenzungen erstellt wurde und ziemlich «verschwommen» wirkt.
>Wer sind die verschiedenen Giacometti?
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Maurice de Vlaminck (1876-1958). Lastschiff auf der Seine bei Le Pecq, 1906. Sammlung Emil Bührle, Kunsthaus Zürich.
Detail roter Baum.
Detail Lastkahn.
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2. Mai 2023, Referent Reto Bonifazi Maurice de Vlaminck (1876-1958). Lastschiff auf der Seine, 1906.
De Vlaminck gehört zusammen mit Henri Matisse und Alain Derain
Fauvistisch kommen indessen die einzelnen Bildelemente daher: Der rote Baum links hat mit der Natur nichts gemeinsam, zudem scheint er in Einzelteile aufgelöst zu sein – die Äste sind zu einfachen Strichen reduziert. Auch der Lastkahn ist aus der Nähe betrachtet «nur» eine Kompilation von Farbflächen – aus der Distanz gesehen erwacht er aber zum Leben.
>mehr über Maurice de Vlaminck
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David Smith
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25. April 2023, Referentin Maya Karacsony David Smith (1906-1965). Woman Music, 1944.
In den USA ist der Künstler wesentlich bekannter als in Europa. Er wurde 1906 im Bundesstaat Indiana geboren, zog dann nach Ohio und besuchte dort ab 1924 die Universität in Athen. Zwischenzeitlich arbeitete er am Fliessband der Autofabrik Studebaker. Anschliessend studierte er Kunst an der George Washington University in Washington, D.C.
1926 zog er nach New York und richtete sich in Brooklyn eine Schmiede-Werkstatt ein, in der er aus Auto-Abfallteilen Kunst machte. 1927 heiratete er Dorothy Dehner, die sein Künstlerleben massgeblich beeinflusste: Dank ihrer Erbschaft konnte sich das Paar nördlich von New York ein Grundstück samt Haus und Werkstatt kaufen. Auf dem grossen Gelände – Bolton Landing – konnte Smith seine Skulpturen open-air in der Landschaft platzieren und ausstellen.
Auf einer Europareise lernte er 1935 Pablo Picasso kennen und liess sich von dessen kubistischen Ideen anstecken. Zurück in den Staaten gehörte er zu den ersten Künstlern, die geschweisste Stahlskulpturen produzierten.
Die surrealistische Skulptur «Woman Music» aus dem Jahr 1944 besteht aus geschweisstem, lackiertem Stahl und ist 46 cm hoch. Kubistische Einflüsse sind insofern erkennbar, als die Figur aus mehreren Einzelteilen zusammengesetzt ist. Diese sind in feiner Schmiedekunst in Form gebracht worden und ergeben zusammen eine leichte, luftige, fast schwebende Figur.
Die musizierende Frau scheint gleichzeitig mehrere Instrumente zu spielen. Was genau, darf geraten werden. Harfe? Lyra? Bass? Die «Lyra-Saiten» beim Kopf könnten indessen auch die Haartracht der Frau verkörpern.
In vielen seiner Werke zeigt Smith, dass er eine «Entmaterialisierung» anstrebt, heisst: Verwendung von möglichst feinem Material, um eine schwebende Leichtigkeit zu erzielen. Er hat sich denn auch einen Namen als «zeichnender Bildhauer» gemacht, weil seine Skulpturen oft so filigran daher kommen (Beispiel: «Arc in Quotes», auch in der Sammlung Hubert Looser, Kunsthaus Zürich).
Smith vertrat die USA 1951 auf der Kunstbiennale von São Paulo; 1954 und 1958 auf der Biennale von Venedig. 1962 fertigte er für das Festival Spoleto IT innerhalb eines Monats 27 Stahlskulpturen an. 1965 starb er bei einem Autounfall bei Bennington, Vermont, im Alter von nur 59 Jahren.
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François Boucher (1703-1770). Deux Paysannes près d'une fontaine, 1765. Kunsthaus Zürich.
Detail.
Detail.
Detail.
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18. April 2023, Referentin Andrea Sterczer François Boucher (1703-1770).
Rokoko, die Epoche des Überschwangs, der Galanterie, des Prunks und der Liebe zur Schöpfung, zum Universum, zur Natur – und zur Verliebtheit. Sie fällt in die Zeit des französischen Königs Louis XV, deshalb nennt man sie auch Epoche Louis-Quinze. >mehr über Rokoko
François Boucher ist ein berühmter Repräsentant des Rokoko. Er ist «Premier Peintre du Roi» und Lieblingsmaler der Madame Pompadour – der Hauptmätresse» von König Louis XV. Sie liebt besonders Bouchers erotische Darstellungen von mythologischen Wesen wie Venus & Co und nimmt bei Boucher auch Malunterricht.
Boucher malt Madame Pompadour im Auftrag des Königs x-fach in prunkvollen Kleidern und royaler Umgebung im Schloss Versailles. Aus Madame Pompadour wird dann später die Marquise de Pompadour: Der König ernennt sie nicht nur zu seiner offiziellen Mätresse («maîtresse en titre»), sondern adelt die Bürgerliche sogar zur Marquise.
Ihrerseits ist sie als Intellektuelle auch als Beraterin des Königshofs tätig und fördert Philosophen und Schriftsteller wie Denis Diderot oder auch Künstler wie François Boucher.
>mehr über François Boucher
Der Künstler bringt das «Rokoko-Gefühl» durch eine Reihe von Allegorien zum Schwingen. Das Gemälde ist aufgeladen mit Symbolen der Schöpfung: Der Brunnen als Quelle des Lebens; auf dessen Gemäuer die nackten Putten; im Hintergrund die üppige Vegetation und ein Fluss. Und die Ziege im Vordergrund scheint die Hirtin ganz verliebt anzublicken (vielleicht auch nur, weil sie gerade von ihr gefüttert wird). Insgesamt ist das Werk eine Hommage an die Schöpfung und an die Leichtigkeit des Seins.
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Félix Vallotton (1865-1925).
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11. April 2023, Referentin Gabriele Lutz Félix Vallotton (1865-1925). La Malade, 1892.
Der in Lausanne geborene Künstler musste zeitlebens unten durch. Sechs Jahre vor seinem Tod schreibt er in sein Tagebuch: «Ich fürchte, dass ich erst nach meinem Tod Anerkennung finden werde». Und so kam es auch: Heute gehört er auch international zu den berühmtesten Schweizer Malern und wird in Ausstellungen von London bis New York gezeigt.
Sein Gemälde «La Malade» ist ein Frühwerk. Es entsteht in einer Zeit, als bereits der Postimpressionismus blüht, aber Vallotton geht da noch seine eigenen Wege. Als Anhänger von >Albert Anker und >Charles Gleyre übernimmt er auf diesem Bild deren Naturalismus und fertigt es in ausgeprägter Detailtreue, wie das Stillleben mit den Flaschen auf dem Tisch oder das Hemd der Kranken am Nacken belegt.
Auffallend an diesem Gemälde ist vor allem, dass keinerlei Beziehung zwischen den beiden Personen zu bestehen scheint. Die Kammerzofe, die der Kranken einen Tee bringt, schaut ins Leere. Zudem ist sie nicht in Bewegung, sondern posiert statisch – wie ein Modell. Überhaupt scheint die Komposition aus voneinander unabhängigen Einzelbildern zu bestehen, das gilt auch für die abgebildeten Möbelstücke (Stuhl, Tisch mit den Flaschen).
Als Modell für die abgebildete Kranke wirkte die damalige Lebenspartnerin Vallottons, Evelyne Chatenet. 1899 heiratete er dann Gabrielle Bernheim, eine Tochter des Pariser Kunsthändlers und Inhabers der Galerie Bernheim-Jeune. Damit fand Vallotton Eingang in gutbürgerliche Kreise.
Vallotton war nicht nur Maler, sondern auch Kunstkritiker. Er schrieb für Lausanner Zeitungen. Schon in jungen Jahren begann er damit, seine eigenen Werke aufzulisten (1885: «Livre de Raison», Werkverzeichnis). Das besprochene Bild von 1892 ist in diesem Verzeichnis aufgeführt. Es war so etwas wie der Endpunkt der naturalistischen Phase des Künstlers. Kurz danach wandte er sich dem Modernismus zu.
Mit seinem Skandalgemälde «Le bain au soir d'été», das 1893 am Salon des Indépendents in Paris zum ersten Mal dem Publikum gezeigt wurde, verschaffte er sich grosse Aufmerksamkeit. Dieses Werk wurde im Rahmen von «Kunst über Mittag» am >22. Sept 2020 besprochen.
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Sophie Taeuber-Arp (1889-1943). Triptychon, 1918. Kunsthaus Zürich.
Wandteppich, 1925. Fondazione Marguerite Arp Locarno.
Perlbeutel, 1918. Kunst Museum Winterthur. |
4. April 2023, Referentin Gabriele Lutz Sophie Taeuber-Arp (1889-1943). Triptychon, 1918.
Die Schweizer Künstlerin war auch Jahrzehnte nach ihrem Tod noch nicht wirklich anerkannt – heute hat sie sogar international einen klingenden Namen. Im Anschluss an eine umfassende >Retrospektive im Kunstmuseum Basel 2021 wurden ihre Werke auch in der Tate London und im MoMA New York gezeigt. Sophie Taeuber stand lange im Schatten ihres Ehemannes, >Hans Arp. Als Avantgardistin war sie in der Dada-Szene unterwegs und trat in Zürich als Ausdruckstänzerin auf; sie war aber auch Innenarchitektin und befasste sich mit angewandter Kunst. Ab 1916 war sie zwölf Jahre lang Lehrerin an der Kunstgewerbeschule Zürich. Aus dieser Zeit stammen textile Werke wie Stickereien, Wandteppiche, Kissen und Taschen. Die meisten weisen abstrakte Motive mit geometrischen Formen auf.
Diese geometrisch-konstruktivistischen Formen übertrug sie dann ohne Umweg in ihre «bildende Kunst». Das vorgestellte Werk aus dem Jahr 1918 heisst mit ganzem Titel «Triptychon, Vertikal-horizontale Komposition mit gegenseitigen Dreiecken». Es ist ein Ölgemälde auf Leinwand. Damit hob sie sich von den Dada-Werken ab, die meist aus Holz, Papier und Collagen bestanden. Auch durch die Verwendung von Goldfarbe brach sie mit Dada und machte Anleihen bei Kunst aus dem Mittelalter. Das Triptychon ist ein Solitaire aus ihrem frühen Schaffen und gilt in Kunstkreisen als Meisterwerk. >mehr über konstruktive Kunst
Die an der Zürcher Hochschule der Künste tätige Medea Hoch fand heraus, dass dieses Triptychon ursprünglich ein Paravent war und deutlich höher als das heutige dreiteilige Gemälde. Der Hintergrund: Sophie Taeuber-Arp wollte das Werk 1939 an eine Ausstellung in Paris geben, wusste aber, dass es als Paravent wohl nicht angenommen werden würde – als verkürzte sie es und machte daraus das heutige 3-teilige Werk. Im Werkverzeichnis, das ihr Gatte Hans Arp erstellte, ist das Triptychon nicht enthalten. Vermutlich deshalb nicht, weil er den Paravent wohl als «angewandte», aber nicht als «echte» Kunst verstand. Das Triptychon ist ein Geschenk von Hans Arp an das Kunsthaus Zürich (1958).
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Carola Giedion-Welcker, 1958. Foto Maria Netter, SIK-ISEA, Courtesy Fotostiftung Schweiz.
Moderne Plastik, Verlag Dr. H. Girsberger, 1937.
Plastik des XX. Jhts. Von Carola Giedion-Welcker, Verlag Gerd Hatje, 1955. |
28. März 2023, Referentin Maya Karacsony Carola Giedion-Welcker (1893-1979). Kunsthistorikerin.
Carola Giedion-Welcker war selbst keine Künstlerin, aber eine wichtige Vermittlerin für die Kunst der klassischen Moderne. Sie engagierte sich auch persönlich für moderne Künstler.
Carola Welcker wurde 1893 in Köln als Tochter eines Bankiers geboren. In München studierte sie Kunstgeschichte. Dort lernte sie den Schweizer Sigfried Giedion kennen; die beiden heirateten 1919.
1923 trafen die Giedions den ungarischen Künstler László Moholy-Nagy, der im >Bauhaus als Lehrer tätig war. Dieser machte sie mit >Hans Arp bekannt, der die Giedions 1925 in die Surrealisten-Ausstellung in Paris einführte. Durch Hans Arp lernten sie auch Piet >Mondrian und Constantin >Brancusi kennen.
Im Jahr 1925 zog das Ehepaar Giedion nach Zürich. Ihr Heim im so genannten «Dolderhaus» wurde mit der Zeit zu einem beliebten Treffpunkt von Künstlern der Moderne wie Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Kurt Schwitters und Max Ernst. Auch der irische Schriftsteller James Joyce zählte zu den regelmässigen Gästen der Giedions.
Carola Giedion-Welckers erste Publikation war die eigene Dissertation, die sie der bayerischen Rokoko-Plastik widmete. Sie schrieb insgesamt 17 Bücher zum Thema Kunst, darunter viele über die klassische Moderne. 1937 publizierte sie ihr Werk Moderne Plastik – Elemente der Wirklichkeit, Masse und Auflockerung; dann Plastik des XX. Jahrhunderts - Volumen und Raumgestaltung, 1958.
Sie schrieb auch Biografien über Paul Klee (1952), Hans Arp (1957), Constantin Brancusi (1958) und Alfred Jarry (1960) sowie ungezählte Essays in Tageszeitungen und Fachzeitschriften.
2007 widmete das Kunsthaus Zürich Carola Giedion-Welcker eine von Cathérine Hug kuratierte Ausstellung. Diese Ausstellung zeigte auf, wie die Wahlzürcherin als Kunsthistorikerin und Autorin die künstlerische Ausrichtung des Kunsthauses Zürich und dessen Ankaufpolitik mitgeprägt hat. Carola Giedion-Welcker sass auch in der Sammlungskommission des Kunsthauses und war Mitglied der Vereinigung Zürcher Kunstfreunde, die bei den Ankäufen neuer Werke bis heute eine bedeutende Rolle spielt.
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Jan van Goyen (1596-1656). Flusslandschaft mit Fähre, 1625. Kunsthaus Zürich.
Detail.
Detail.
Detail.
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21. März 2023, Referentin Andrea Sterczer Jan van Goyen (1596-1656). Flusslandschaft mit Fähre, 1625.
Der niederländische Künstler lebte in einer interessanten Epoche – im >Golden Age. Er kam als Sohn eines Schuhmachers zur Welt. Sein Vater wollte, dass er Glasmaler lernt. Das war aber nicht sein Ding. Nach zwei Jahren Ausbildung in verschiedenen Glasmaler-Werkstätten entschied er sich, Landschaftsmaler zu werden. Sein erster Lehrer war Willem Gerritsz; seine Ausbildung schloss er dann in Haarlem beim Landschaftsmaler Esaias van der Velde ab, der allerdings nur sechs Jahre jünger war als er selbst. 1618 eröffnete van Goyen sein Atelier in Leiden. Von der Malerei konnte er aber nicht leben, sodass er nebenbei als Kunstschätzer und -Händler tätig war, dann auch als Immobilienmakler und sogar als Tulpenspekulant. Trotzdem musste er bös unten durch. 1632 zog er mit Frau und Töchtern nach Den Haag, doch auch hier hatte er keinen Erfolg und starb 1656 mit nichts als Schulden.
Kunsthistorisch gesehen ist van Goyen zwar ein erfolgloser Maler zu Lebzeiten, aber heute zählt er zu den eher höher eingestuften Meistern.
Das Bild «Flusslandschaft mit Fähre» ist seiner Fantasie entstanden. Es ist eine erfundene Landschaft, die er aufgrund von zahlreichen Zeichnungen und Skizzen komponierte. Seine Skizzen entstanden zwar «vor Ort» aufgrund effektiv vorhandener Gebäude, Mühlen und Szenerien, aber dann setzte er Einzelteile im Atelier zu einem Bild zusammen – zu einer fiktiven «Realität».
Das Gemälde wirkt sehr dunkel. Ob es bei seiner Entstehung auch so düster war, ist nicht klar. Die Farben könnten auch über die Jahrhunderte hinweg nachgedunkelt haben. Die Handlung im Bild: Die abgebildeten Bauern scheinen auf dem Weg zum Markt – oder zur Mühle – zu sein, denn sie sind alle schwer beladen, vielleicht mit Kornsäcken. Um zur Mühle zu kommen, müssen sie mit einem Kahn über den Fluss gelangen. Die Fähre scheint eine ziemlich robuste zu sein, trägt sie doch auch zwei Kühe. Im Hintergrund links ist ein schlossähnliches Gebäude zu erkennen. Dieses wirkt abgehoben und isoliert von den einfachen Bauern im Vordergrund. Um die «Distanz» zu den Normalbürgern noch weiter zu betonen, malt der Künstler ein vornehm gekleidetes Paar vor dem Schloss.
Das Gemälde ist ein Frühwerk van Goyens. Später malte er offenere Szenerien mit niederländisch-typischen Himmel- und Wolkenansichten, die zwei Drittel des Bildes ausmachen. Er war auch ein Meister der tonalen Malerei (in braun/beige).
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