Kunst über Mittag im Kunsthaus Zürich
2018


Jeden Dienstag treffen sich über Mittag Kunstfans im Kunsthaus Zürich – und kompetente Expertinnen und Experten erläutern die Finessen einzelner Werke.

 

 

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Der Kurs findet zweimal jährlich statt. Im Frühjahr von März bis Juni, im Herbst von September bis Dezember. Je zwölf Wochen.

 

 

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Hinweis

Die Reports auf dieser Seite sind keine «offiziellen Bildbesprechungen» der Referent:innen, sondern subjektive persönliche Wiedergaben des Gehörten, Gesehenen und Erlebten durch die Autor:innen von artfritz.ch.

 

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Edvard Munch. Winternacht, 1900.

 

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Edvard Munch. Winter in Kragero 1925-31.

 

 

 

 

 

 

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Giovanni Giacometti Nebbia, 1910.

 

 

 

27. November 2018, Referentin Gabriele Lutz

Edvard Munch (1863-1944). Winternacht, 1900.

Edvard Munch (1863-1944). Winter in Kragero, 1925-31.

Giovanni Giacometti (1868-1933). Nebbia, Winter in Maloja, 1910.


Thema des Tages: Drei Winterbilder im Vergleich.

Munchs «Winternacht» entstand am Nordstrand des Oslo-Fjords (damals noch Christiania-Fjord), der um 1900 eine beliebte Landschaftskulisse für Künstler bildete. Munch scheint sich mit diesem düsteren Ort identifiziert zu haben – seine Gemütslage muss ähnlich schwer gewesen sein. Vermutlich hat er das Bild vor Ort skizziert und dann im Atelier gemalt. Es kommt ganz ohne Menschen und ohne Zivilisation aus. Der Bildaufbau ist homogen und ruhig. Klare Horizontale, klare Vertikale. Die flächigen Bäume im Vordergrund sind weit entfernt vom Naturalismus und scheinen Augen zu haben.

 

«Winter in Kragero». Hier scheint Munchs Stimmungslage deutlich leichter und entspannter gewesen zu sein. Das Bild zeigt nicht mehr nur die Landschaft, sondern bezieht auch die Menschen mit ein, zumindest ihre Behausungen. Durch die Verwendung der hellen Blautöne wirkt das Gemälde wesentlich freundlicher.

 

>Giovanni Giacometti (1868-1933) – der Vater von Alberto Giacometti, (1901-1966) macht aus einer trüben Nebelstimmung ein Fest der Farben. Sogar der «weisse» Schnee besteht aus tausenden von Farbpunkten. Dieser Malstil kann dem Divisionismus zugerechnet werden, dessen bekannteste Form der Pointillismus ist (z.B. >Paul Signac, Georges Seurat). Giacometti setzt aber im Gegensatz zu diesen nicht kleine Punkte, sondern gröbere Pinselstriche. Aber auch hier ist das System dasselbe: Die Farben werden nicht auf der Palette gemischt, sondern die einzelnen «Flecken» werden in reiner Farbe gesetzt. Erst bei der Betrachtung aus der Distanz setzt das Auge die Punkte zu einer Fläche zusammen.

 

>mehr über Edvard Munch

 

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«Die Madonna und Petrus erscheinen den ersten Gefährten des Heiligen Bruno», 1637.

 

 

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Der heilige Bruno mit Jesuskind (Detail).

20. November 2018, Referentin Andrea Sterczer

Francesco Francanzano (1612-1656) zugeschrieben. La Madonna e San Pietro appaiono ai primi compagni di San Bruno, 1637.


Die Künstler haben im Laufe der Jahrhunderte immer neue Möglichkeiten gefunden, eine «Erscheinung» darzustellen. Mal in eine Wolke gehüllt, mal die Heiligen an den oberen Bildrand gesetzt, zu denen die Figuren im Bild hochblicken konnten. In diesem Beispiel stellt Francanzano die heilige Maria und Jesus auf ein Podest, um die Erscheinung darzustellen. Maria ist in blau-rot gekleidet, wie in vielen Bildern jener Zeit.

 

Der Heilige Bruno (1027-1101) war der Begründer des Kartäuser-Ordens. Er stammt aus Köln und starb in der Kartause La Torre in Kalabrien. 1084 errichtete er in Sèche-Fontaine eine Ensiedelei, der sich weitere Einsiedler anschlossen. Mit sechs Gefährten gründete er eine «Grosse Kartause» im Chartreusegebirge in den französischen Alpen, 1091 eine weitere in La Torre in Kalabrien. In seiner Blütezeit im 14. Jahrhundert umfasste der Kartäuserorden 220 Kartausen.

 

Francesco Francanzano war ein neapolitanischer Maler, der sich auf religiöse Bilder konzentrierte. Sein Lehrmeister war der spanische Maler Jusepe de Ribera, von dem er dessen typische hell-dunkel-Malerei übernahm. Das besprochene Bild zeigt die vom Kartäuserorden hoch verehrte Madonna mit dem Jesuskind. Dahinter der heilige Petrus, der als Stellvertreter Gottes galt. Rechts die zwei Mönche. Der heilige Bruno wendet sich Jesus zu, während der zweite Mönch zu Maria blickt und mit seiner Hand zur Kartause im Hintergrund oben rechts zeigt. Da auch Schiffsmasten zu erkennen sind, könnte es sich um die kalabrische Kartause La Torre handeln.

seerosenteich_monet

Le bassin aux
nymphéas avec
iris, 1914-1922.

 

 

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Detail 1.

 

 

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Detail 2.

 

 

orangerie

Musée de l'Orangerie, Paris.

13. November 2018, Referent Daniel Näf

Claude Monet (1840-1926). Seerosenteich mit Iris, 1914-22.


Ende der 1860er-Jahre begann der in Paris geborene Künstler impressionistisch zu malen. Damit entfernte er sich von den traditionellen Lehrmeinungen der Kunstakademien. Neu sollte der momentane, unmittelbare Eindruck von Licht und Farbe dargestellt werden. Und der Pinselstrich sollte sichtbar sein. >mehr über Claude Monet.

 

1890 erwarb Monet das Haus in Giverny und investierte viel Geld in den
Garten. Hier entstanden die Seerosenbilder. Der Horizont verschwindet,
es bleiben das Wasser, die Pflanzen und die Reflexionen des Lichtes.
Monet arbeitete mit transparenten Farbschichten.

 

Oft verwendete er das gleiche Sujet. Er studierte die Wirkungen des Lichtes auf die Farben im Wechsel der Tages- und der Jahreszeiten. Wie das Licht und die Farben, sollen alle Gegebenheiten beim Betrachter Aufnahmebereitschaft und Sensibilität bewirken für feinste Nuancen des Geschehens in der Natur. Die mythologischen Bedeutungen der Pflanzen sind nicht mehr wichtig, sondern ihr langsames Sich-Öffnen und Schliessen.

 

Monet wünschte sich, dass seine Gemälde in einem Raum gezeigt würden, der nichts anderes enthielt. Diesem Wunsch kam man im Musée de l'Orangerie in Paris ziemlich nahe: Monet erhielt in der oberen Etage des Museums zwei ovale Räume, in denen seine bis zu 8 Meter breiten Seerosenbilder gezeigt werden. Der Maler und Bildhauer André Masson nannte die Orangerie mit den Panoramabildern die «Sixtinische Kapelle des Impressionismus». (Text Ueli Kummer).


>mehr über Musée de l'Orangerie, Paris.

 

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6. November 2018, Referent Daniel Näf

Paul Cézanne (1839-1906). Les cinq baigneurs, 1880-82.


Nachdem Cézanne vom >Salon de Paris x-fach abgelehnt wurde, weil er sich der akademisch-klassischen Malschule widersetzte, stellte er seine Werke an der Parallel-Exhibition «Salon des refusés» aus. Dieser Salon war von Napoléon III 1863 ins Leben gerufen worden. Cézannes Werke trafen aber auch dort nicht den Geschmack des Publikums. Heute gilt er dagegen als eine Art «Vorvater» der Moderne, orientierten sich doch nach seinem Tod 1906 grosse Namen wie Braque, Picasso, Matisse oder Derain an seinem Stil, später auch die Expressionisten.

 

Badeszenen waren ein beliebtes Sujet des Künstlers, er hat davon um die 200 Varianten gemalt – die meisten mit badenden Frauen. Das hier besprochene Bild zeigt hingegen fünf nackte Männer beim Baden. Man kann davon ausgehen, dass das Bild keine Plein-air-Malerei ist, sondern im Atelier erstellt wurde, gemalt nicht nach Modellen, sondern aus dem Kopf. Die Personen sind in einer strengen Komposition fast geometrisch angeordnet. Auffallend ist der das gesamte Werk beherrschende Grünton – sogar die nackten Körper wirken grünlich. Mit dieser «Freiheit», Dinge in Fremd- oder Falsch-Farben darzustellen, eröffnete Cézanne einen neuen Weg, den später die Expressionisten noch weiter auf die Spitze trieben. Weiter fällt auf, dass die Gesichter der Badenden nur ganz rudimentär angedeutet sind. Man kann sich deshalb die Frage stellen, ob es sich bei diesem Werk um eine Skizze handeln könnte. Dass es nicht signiert ist, stützt diese These allein nicht, denn viele von Cézannes Werken sind nicht signiert.

 

>mehr über Paul Cézanne

chagall

Les lumières du mariage, 1945.

 

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Autour d'elle,
1945. Centre Pompidou, Paris.

30. Oktober 2018, Referentin Susan Huber

Marc Chagall (1887-1985). Les lumières du mariage, 1945.


1941 musste Chagall vor den Nazis aus Frankreich flüchten. Er zog mit seiner Frau Bella Rosenfeld – eine russische Autorin – nach New York. Sie starb dort schon 1944 an einer Viruserkrankung. Zu diesem Zeitpunkt waren die beiden fast 30 Jahre verheiratet. Ihr Tod war ein schwerer Schlag für den Künstler. Neun Monate später verarbeitete er seine Trauer in zwei Bildern, die er über einem bereits bestehenden breiten Gemälde (Schwarz-weiss-Foto unten) malte und in zwei Teile sägte. Der eine Teil («Les lumières du mariage») hängt heute im Kunsthaus Zürich, der andere («Autour d'elle) im Centre Pompidou Paris.

 

>mehr über Marc Chagall

 

Im besprochenen «Zürcher» Gemälde weicht Chagall stark von seinen früheren Hochzeitsbildern ab. Die Braut in weiss wirkt hier wie eine Erscheinung, der Bräutigam (also Chagall selbst) wird stark zurückgenommen.

 

Die Braut scheint in einer seltsamen Beziehung zum Mischwesen (im linken blauen Teil des Bildes) zu stehen. Das Wesen mit Ziegenkopf und Flügeln hält eine Karafe und ein Weinglas in der Hand, als wolle es auf die Hochzeit anstossen. Mischwesen mit Ziegenkopf spielen in Chagalls Werken oft eine Rolle. Manchmal lässt er es als Bräutigam auftreten, manchmal als Maler. Die blaue linke Seite des Gemäldes verkörpert einerseits die Nacht, anderseits das Unterbewusstsein.

 

Über dem Kopf der Braut schwebt ein Kronleuchter. Es ist aber keine Menora mit den üblichen sieben Kerzen, sondern ein Kronleuchter mit acht Lichtern – «Les lumières du mariage». Im geheimnisvollen «Nachtteil», ganz in Ultramarin-Blau gehalten, ist unten ein Liebespaar zu erkennen, das auf einem Hahn liegt (Bedeutung?). Die verschiedenen Hochzeitsmusikanten treten nicht als Orchester auf, sondern sind sonderbar auf dem Bild verteilt – einer schwebt sogar aus dem Himmel, mit einer Posaune in der Hand.

brancusi

L'oiseau dans l'espace, 1925.

 

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«Endlose Säule»
1937. Foto Mike
Master, Wiki.

23. Oktober 2018, Referentin Maya Karacsony

Constantin Brancusi (1876-1957). L'oiseau dans l'espace, 1925-31.


Den «Vogel im Raum» als Kunstwerk hat uns schon im November 2017 Susanne Huber näher gebracht, >mehr. Heute geht es um den Sockel. Ist der Sockel denn so wichtig? Ja. Wichtig für den Künstler, aber auch für das Museum. Damit das Werk richtig zur Geltung kommt. Brancusi legte grössten Wert auf den Sockel. Er fotografierte alle seine Arbeiten in seinem Atelier mit passendem Sockel, damit sich die Museen später an seinen Vorstellungen orientieren konnten.

 

Nach Brancusis Idee musste der Sockel von unten nach oben mit Holz, Stein, Marmor und Messing aufgebaut sein – in dieser Reihenfolge. Das Kunsthaus Zürich, das den Sockel vom Münchner Künstler Jürgen Partenheimer (*1947) erstellen liess, hielt sich nicht ganz an die «Anweisungen» des Künstlers. Der Aufbau wurde insofern geändert, als das zweite Element (das griechische Kreuz) aus Marmor besteht, erst dann folgt der Stein. Die weisse Platte unten hat das Kunsthaus als «Distanzhalter» angebracht, damit niemand zu nahe an das Werk tritt.

 

AugusteRodin, der neben Michelangelo wohl bekannteste Bildhauer der Welt, war ganz gegen Sockel. Am liebsten hätte er diese abgeschafft. Für Constantin Brancusi hingegen waren die Sockel ein wichtiger Teil seiner Werke. Er fertigte die Sockel meist selbst, und Holz gehörte oft dazu. Eine Ausnahme bildet seine «Endlose Säule» von 1937 von Targu-Jiu in den Südkarpaten, Rumänien. Das fast 30 Meter hohe und 29 Tonnen schwere Werk besteht aus 17 gusseisernen Elementen und kommt – optisch – ganz ohne Sockel aus. Es scheint einfach so im Park zu stehen.

 

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vitebsk

 

bettler

 

haeuser

 

kirchen

16. Oktober 2018, Referentin Susan Huber

Marc Chagall (1887-1985). Au-dessus de Vitebsk, 1922.


Vitebsk liegt (heute) in Weissrussland und ist die Heimatstadt des Künstlers. Zu seiner Zeit lebten dort 48'000 Menschen, die Hälfte davon Juden. Diese wurden allerdings ausgegrenzt und hatten ihre Wohnungen in der Peripherie der Stadt, das Zentrum war ihnen verboten. In seinem Werk von 1922, das eine Mischung aus Naturalismus und naiver Malerei ist, bildet er eine grosse, überdimensionale graue Gestalt mit einem Sack auf der Schulter ab, die über der Stadt schwebt. Wer ist der Mann? Es könnte sich um einen jüdischen Bettler handeln. Damals war es Brauch, dass man den Bettlern irgendwelche Gaben machte, die dann in einem Sack verstaut wurden. Möglich ist aber auch, dass es sich um den Propheten Elias handelt. Von ihm sagt man, dass er den Menschen in jeder Form erscheinen konnte – vielleicht hier als Bettler.

 

Von diesem Gemälde existieren zwei Versionen. Die erste ist in Privatbesitz. Sie unterscheidet sich von der Version im Zürcher Kunsthaus dadurch, dass der schwebende Mann etwas kleiner dargestellt ist und die Zwiebeltürme der Kirchen noch mehr beschnitten sind. Interessant ist die ausgesuchte Farbführung. Der Schnee im Vordergrund ist nicht weiss, sondern in einem zarten Grau gehalten, was das Bild wärmer erscheinen lässt. Dazu tragen auch die feinen Beige-Töne der Kirchen und des Hauses bei. Das Malachitgrün des Gartenzauns wird bei mehreren Kuppeln wiederholt, ebenso das Braun-Rot in den Türmen und Häusern und das Grau-Blau des Himmels in den Kirchendächern. Im Schnee sind geometrische Formen zu erkennen: Dreiecke in weiss und grau.

 

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andrea

 

 

recco

Giovan Battista.
La Dispensa,
1640.

 

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Detail: Lebendige
Vögel.

9. Oktober 2018, Referentin Andrea Sterczer

Giovan Battista Recco (1615-1660).
La Dispensa, 1640.

 

Vereinzelte Stillleben in Gemälden gab es zwar schon im Mittelalter, aber als Gattung kennt man die Stills erst seit dem 17. Jahrhundert. In dieser Zeit wurden sie noch weiter in Genres unterteilt: Blumen, Obst, Bücher, Musikgeräte, Jagd, Küche, gedeckter Tisch und so weiter. Das hier vorliegende – ziemlich grossformatige – Werk ist eine Mischung aus den Gattungen Küchentisch und Jagd. Der Künstler bildet die Tiere teils tot, teils lebend ab. Damit will er symbolisch auf die Kurzlebigkeit hinweisen – auf das Leben als Momentaufnahme – aber auch auf den religiösen Hintergrund: Im Himmel geht es weiter. Stillleben wurden aber oft auch ohne jegliche Symbolik gemalt, einfach um künstlerische Fähigkeiten zu beweisen.

 

Von Giovan Battista Recco ist nur wenig bekannt. Er wurde in Neapel geboren und stammt aus einer Malerdynastie. Deren berühmtestes Mitglied war Giuseppe Recco (1634-1695), ein Neffe von Giovan Battista. Währenddem Giuseppe sich mit seinen Stillleben einen Namen machte, schaffte es Giovan Battista nicht, ein «grosser Maler» zu werden. Das besprochene Bild zeigt warum: Es weist mehrere malerische Unstimmigkeiten und Schwächen auf. Anderseits sind aber einzelne Teile sehr gut gelungen.

dada-mühle Hannah Höch

Die Dada-Mühle,
1920.

 

portrait_hannah_höch

Porträt Hannah
Höch von Chris
Lebeau, 1933.
Drents Museum, Assen. Photo© Ronn, Wikipedia.

 

dompteuse

Domteuse, 1930.

2. Oktober 2018, Referentin Maya Karacsony

Hannah Höch (1889-1978). Die Dada-Mühle, 1920.

 

Sie ist Berlinerin und studiert am Kunstgewerbemuseum Berlin unter Emil Orlik. Dort lernt sie 1915 Raoul Hausmann kennen, ein bedeutendes Mitglied der Berliner Dada-Bewegung. Mit ihm hat sie eine mehrjährige Liebesbeziehung – mit dem Ergebnis, dass Hannah Höch lange nicht als selbständige Künstlerin gesehen wird, sondern eben nur als Frau an der Seite von Hausmann. Nach sieben Jahren trennt sie sich von ihm und lebt später (1926-1936) mit der niederländischen Schriftstellerin Til Brugman in Den Haag und in Berlin zusammen.

 

Die Dada-Bewegung wird 1916 in Zürich ins Leben gerufen, im Cabaret Voltaire. Eigentlich als Protest gegen den Irrsinn des Ersten Weltkriegs gegründet, vertritt sie in der Kunst die Sinnlosigkeit, die Zufälligkeit. Die Bewegung lehnt die klassische Kunst ab und parodiert diese, sie schafft satirische Elemente, unlogische Texte und sinnfreie Lautgedichte. Das Motto heisst «Alles ist Kunst». Die erste Dada-Kunstausstellung findet aber nicht in Zürich statt, sondern 1920 in Berlin. In Zürich werden vorgängig mehrheitlich Dada-Performances abgeliefert.

 

Hannah Höchs legendäre «Dada-Mühle» von 1920 ist eines dieser (sinnfreien) Werke der Dada-Bewegung. Es ist eine Collage auf Karton; eine Konstruktion in Metall und Holz mit Schnüren. Höchs künstlerische Markenzeichen sind aber vor allem ihre Fotomontagen mit politischem Inhalt, das Chaos jener Zeit aufzeigend.

 

Ihr Werk «Dompteuse» entsteht 1930, also noch kurz vor der Machtergreifung der Nazionalsozialisten. Es bildet «die neue androgyne Frau» ab, die noch immer die Hoffnung und die Möglichkeit einer Balance demokratischer Kräfte verkörpert. In der Nazizeit nach 1933 wird Höchs Kunst als «entartet» gebrandmarkt und die Künstlerin mit einem Ausstellungsverbot belegt.

 

Die «Dompteuse» ist im Besitz des Kunsthauses Zürich, wird im Moment aber im Depot aufbewahrt. Foto Website©Kunsthaus Zürich.

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Paulus Moreelse (1571-1638). Eine Schäferin, 1622. Kunsthaus Zürich.

 

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Paulus Moreelse (1571-1638). Die blonde Schäferin, 1624. Alte Pinakothek München.

 

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Nicolaes Berchem (1621-1683). Hirt und Hirtin in der Campagna, 1670-75. Kunsthaus Zürich.

 

25. September 2018, Referentin Andrea Sterczer

Paulus Moreelse (1571-1638). Eine Schäferin, 1622.
Nicolaes Berchem (1621-1683). Hirt und Hirtin, 1670-75.

 

Der Niederländer Moreelse stammt aus Utrecht und ist bekannt für seine Porträtmalerei. Vor allem malt er Bildnisse von Adeligen und wohlhabenden Bürgern. Er gründet die Malergilde «Sint Lucas» von Utrecht und wird deren erster Vorsitzender. Er ist auch Architekt und als Stadtrat von Utrecht politisch tätig, zudem beteiligt er sich an der Gründung der Universität Utrecht.

 

Sein Gemälde von 1622 zeigt eine Schäferin, die allerdings wenig mit dem Berufsbild einer Hirtin gemein hat. Vielmehr verweist das Werk auf die literarische Komponente der «Schäferdichtung», die in der Renaissance und vor allem im Barock eine grosse Bedeutung hatte.

 

Die Ursprünge der so genannten «Bukolischen Dichtung» gehen auf die Antike zurück (bukolos = griechisch für Rinderhirt). Die Weiterentwicklung der bukolischen Dichtung führte im Barock zur «Schäferdichtung» und zur «Schäferromantik». Diese behandelte das pastorale Leben der Hirten stark idealisiert. Man stellte die Schäferinnen und Schäfer als Menschen dar, die sich frei bewegen konnten und sich den – vor allem in den protestantischen Niederlanden des 17. Jahrhunderts – strengen Pflichten der Normalbürger nicht unterordnen mussten.

 

Im Ausdruck «Schäferstündchen» ist die romantische Seite des Hirtenlebens enthalten. In den Schäfer-Romanen und -Theaterstücken, die am Hof aufgeführt wurden, ging es vor allem um Gefühle wie unerfüllte Liebe und um Lobgesänge auf die schöne Schäferin. Die Gemälde symbolisierten in den Schäferinnen nicht nur die Freiheit, sondern zeigten die Hirtinnen oft auch als Verführerinnen.

 

Auch im Gemälde von Nicolaes Berchem kommt die sinnbildliche Freiheit der Hirten zu Ausdruck. Berchem war auch Mitglied der Malergilde Sankt Lukas (in Haarlem). Im Gegensatz zu Moreelse befasste er sich aber weniger mit Porträts als vielmehr mit der Landschaftsmalerei.

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Govert Flinck (1615-1660). Mädchen mit kleinem Hund im Arm 1645.

18. September 2018, Referent Reto Bonifazi

Rembrandt (1606-1669).
Der Apostel Simon, 1661.

 

Rembrandt, einer der ganz Grossen des niederländischen Barocks, wahrscheinlich der Berühmteste von allen. Aber warum wurde er so berühmt? Und ist er das zu Recht? Ist er als Maler besser als die andern? Referent Reto Bonifazi bejaht das. Fügt aber hinzu, dass er selbst viele Jahre gebraucht hat, um das Meisterhafte in Rembrandt zu erkennen. Anfänglich hatte er mit dem schweren, tristen Stil des Meisters Mühe.

 

Wo liegt nun die Genialität Rembrandts? Als Vergleich zieht Bonifazi ein Gemälde von Govert Flinck hinzu, der bei Rembrandt Malerei studierte. Sein Mädchenbildnis von 1645 ist eine gut gelungene, naturgetreue Wiedergabe, sauber verarbeitet. Ein Werk, das man gerne betrachtet. Aber durch die stark verriebene Farbe entstand ein fast unrealistisch wirkendes Porzellangesicht, das die Lebendigkeit vermissen lässt und kaum Wesenszüge preisgibt.

 

Ganz anders das Bild des Apostels Simon von Rembrandt. Dieser hat in jungen Jahren ähnlich gemalt wie Flinck. Seine Meisterschaft hat er erst in seinen Spätwerken erreicht. In der Abbildung des Apostels Simon von 1661 kommt das gut zum Ausdruck. Es ist kein naturalistisches Bild. Die Lichtführung ist mystisch und kommt mit zwei Spots aus, obwohl das einfallende Licht eigentlich auch die Haare und die Bekleidung beleuchten müsste. Die Genialität des Meisters kommt vor allem bei der Ausgestaltung des Gesichts zum Tragen. Hier gelingt es dem Künstler, die Haut des Apostels mit zahllosen Farbschichten so darzustellen, dass man gewissermassen in ihn hineinschauen kann. Man sieht mehr als die Oberfläche wie bei Flincks Mädchen, sein Wesen kommt zum Vorschein. Ein Geniestreich ist der Mund des Apostels. Die Lippen sind nur angedeutet, und durch einen kleinen schwarzen Punkt erreicht Rembrandt eine feine Öffnung des Mundes. Durch perfekt gesetzte feine Lichter und durch unzählige Farbschichten in verschiedenen Tönen stellt der Künstler das runzelige Gesicht des Alten dar.

 

>mehr über Rembrandt

 

Und wer ist Simon, der Apostel? Er gilt als der Patron der Holzfäller, Gerber, Weber und Färber. Meist wird er dargestellt mit einer Säge. Auch in Rembrandts Bild gibt es sie, unten rechts, ganz im Dunkeln, erst auf den zweiten Blick erkennbar.

 

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11. September 2018, Referent Reto Bonifazi

Alexandre Calame (1810-1864). Bergsturz, 1841.

Robert Zünd (1827-1909). Eichenwald, 1881-82.


Dieses Gemälde von Alexandre Calame wurde schon in «Kunst über Mittag» vom 24. Oktober 2017 besprochen (Referentin Susanne Huber). >mehr. Referent Reto Bonifazi fügt weitere interessante Details hinzu: Bei genauer Betrachtung realisiert man, dass hier nicht ein «Bergsturz» abgebildet sein kann – die Felsen sind nicht soeben runtergestürzt, sondern müssen schon lange hier liegen – sie sind bereits bemoost. In den beiden Menschen, die eben die Macht der Natur zu spüren bekommen haben und auf ihre zerstörte Behausung blicken, sieht er eine Form von «Erhabenheit» – typischer Ausdruck der Romantik.

 

Das Gemälde wurde nicht vor Ort gemalt, sondern im Atelier. Calame erstellte aber in der Natur detaillierte Skizzen, um dann später eine naturalistische Abbildung zu erreichen. Bei genauer Betrachtung ist zu erkennen, dass die Bäume keine Nadeln, sondern Blätter enthalten – eine wohl eher unrealistische Annahme in dieser Berglage, wo Nadelbäume wahrscheinlicher sind. Überhaupt ist das ganze Bild nicht naturalistisch, sondern idealisierte Natur.

 

>mehr über Alexandre Calame

 

Ein weiteres Beispiel dieser «idealisierten Natur» liefert Robert Zünd in seinem Werk «Eichenwald». Auch dieses ist nicht in der Natur, sondern im Atelier entstanden. Arnold Böcklin (1827-1901) soll über dieses Gemälde gesagt haben «Vor lauter Bäumen sieht man den Wald nicht». Andere meinten, man hätte das genausogut fotografieren können. Was aber unmöglich ist, denn diesen Wald gibt es nirgends, er ist in der Fantasie des Künstlers entstanden. Aufgrund von Skizzen neu komponiert. Das Bestechende an dieser Arbeit ist die Detailgenauigkeit.

 

>mehr über Robert Zünd

 

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12. Juni 2018, Referentin Andrea Sterczer

Pieter Coecke van Aelst (1502-1550).

Der Künstler, seine Frau und ihre Kinder, um 1545.


Auf den ersten Blick ist es ein Selfie als Doppelporträt, obwohl der Titel eine Familie verspricht. Die Kinder sind ganz klein über den Köpfen des Paars gesetzt, in einer Art Balustrade. Sie lassen spielend ein Blatt Papier nach unten fallen. In beiden oberen Ecken sind Beine und Füsse zu erkennen, gemalt in antiker Form – ein Verweis auf die humanistische Bildung des Künstlers? Die Dame ist seine zweite Ehefrau, Mayken Verhulst, von Beruf Lehrerin.

 

Pieter Coecke van Aelst war nicht nur der Lehrer des berühmten
Pieter Brueghel d.Ä. (1525-1569), sondern auch dessen Schwiegervater: Brueghel heiratete 1563 Coeckes Tochter Maria. Welche der drei Kinderfiguren im Gemälde Maria sein könnte, ist nicht bekannt. Im Ölgemälde auf Eichenholz legt der Künstler seine Hand auf einen Totenkopf. Das Sujet Totenkopf kommt in jener Epoche in der Kunst oft vor. Interpretationsansatz: Jeder Mensch ist sterblich, aber die Kunst überlebt alles.

 

Pieter Coecke van Aelst kommt 1502 in Aalst zur Welt (in der Nähe von Brüssel) und tritt mit 25 als Meister der St.Lukas-Gilde in Antwerpen bei. Er ist aber nicht nur Maler, sondern auch Schriftsteller, Übersetzer, Architekt, Designer und Tappissier. Seine Wandteppiche finden in ganz Europa Absatz, und grosse Herrscher wie der englische >Henry VIII, der französische König François I oder der erste Herzog der Toscana, Cosimo I de >Medici, gehören zu seinen Kunden. Er ist eine zeitlang auch Hofmaler des Habsburger Kaisers >Karl V, der etwa zur gleichen Zeit lebt (1500-1558). Ab 1506 ist Karl Herzog der burgundischen (katholischen) Niederlande und wird 1520 zum Kaiser des hl. römischen Reiches gewählt. Van Aelst stirbt 1550 in Brüssel.

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5. Juni 2018, Referentin Rebecca Gericke

Jacob van Ruisdael (1628-1682).

Die Bleichen von Haarlem, 1670-75.


Auf den ersten Blick ist es ein Landschaftsgemälde, aber bei näherer Betrachtung wandelt es sich zum Genre-Bild. Es zeigt nämlich ein Gewerbe: das Textil-Bleichen. Haarlem ist in dieser Epoche bekannt für diese Arbeit und das Weben und Bleichen von Tüchern ist eine wichtige Erwerbsquelle. Der Bleichvorgang mit Wasser und Buttersäure dauerte sieben Monate. Im Gemälde, das in einem extrem feinen Duktus erstellt ist (Duktus= Pinselstrich), sind die im Feld zum Bleichen an der Sonne ausgelegten Tücher gut zu erkennen. Die Niederlande waren zu dieser Zeit in einen reformierten und einen katholischen Teil aufgeteilt, im Norden (Holland) die Anhänger Calvins, im Süden (Belgien) die Katholiken, die noch von den Spaniern kontrolliert wurden. Weil bei den Reformierten keine Aufträge für die Kirchenkunst mehr hereinkamen, arbeiteten viele Künstler «auf Vorrat» – also ohne konkreten Auftrag – und verkauften dann ihre Werke an Bürgerliche. Falls es doch noch Aufträge gab, kamen diese meist vom Gewerbe. Hier könnte es sich also um einen Auftrag der Gilde der Bleicher gehandelt haben. In der Malerei dieser Zeit gab es eine Hierarchie in der Bedeutung der Werke. Zuoberst stand die Historienmalerei, gefolgt von Porträts. An dritter Stelle stand die Genre-Malerei (Beruf, Alltag), an vierter die Landschaftsmalerei und an unterster Stufe das Stilleben.

 

Jacob van Ruisdael wurde 1628/29 in Haarlem als Sohn eines Landschaftsmalers geboren. Er lernte das Handwerk bei seinem Vater Isaak van Ruisdael und bei seinem Onkel Jacob Salomonsz van Ruysdael. Mit 20 war er bereits Mitglied der Malergilde von Haarlem, acht Jahre später zog er nach Amsterdam, wo er 1682 starb und begraben ist.

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29. Mai 2018, Referentin Maya Karacsony

Hans «Jean» Arp (1887-1966).

Concrétion humaine, 1933. Französischer Kalkstein.


Eigentlich heisst Arps Credo, die «Kunst von der Natur zu entfernen», doch in dieser Skulptur wird er sich selbst untreu. Nicht nur sein Titel verrät die «forme humaine», auch jeder Betrachter (und jede Betrachterin) wird unschwer die Rundungen einer Frau erkennen. Sonst stellen die meisten seiner Plastiken mit fliessend-organischen Linien «nichts» dar, es sind keine Nachahmungen aus der Natur – schliesslich ist Arp ja ein Surrealist, der die Natur abstrakt abbilden will. Bei der Verarbeitung seiner Skulpturen wendet Arp die «direkte Methode» an, also ohne vorher Zeichnungen anzufertigen.

 

Hans Arp kommt 1887 in Strassburg zur Welt, das zu dieser Zeit noch zum deutschen Reich gehört. Sein Vater ist ein Zigarrenfabrikant, der seine Fabrik 1907 ins luzernische Weggis verlegt. Auch Hans Arp lebt ab 1909 dort. 1915 werden seine abstrakten Werke erstmals in Zürich ausgestellt. 1916 ist er ein Mitbegründer des Dadaismus. 1922 heiratet er Sophie Taeuber. 1923 nimmt er in Paris an einer Ausstellung von Surrealisten teil. Dort hat er ab 1925 auch ein Atelier und wird Mitglied in der Künstlerbewegung «Abstraction-Création». 1926 zieht er mit seiner Frau nach Strassburg.

 

Im Zweiten Weltkrieg werden seine Werke von den Nazi als «entartete Kunst» eingestuft. 1942 fliehen die Arps nach Südfrankreich und später in die Schweiz. Nach dem Krieg nimmt er 1954 an der Biennale von Venedig teil und erhält dort den Grossen Preis für Skulpturen. 1958 hat er in New York im Museum of Modern Art eine Retrospektive. Er stirbt 1966 im Alter von 79 Jahren in Basel. Sein Grab ist in Locarno auf dem Friedhof Santa Maria in Selva. In Locarno befindet sich auch das «Museo Comunale Casa Rusca» mit seinem Nachlass, gestiftet von seiner zweiten Frau, Marguerite Hagenbach, die er 1959 geheiratet hat.

 

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22. Mai 2018, Referentin Maya Karacsony

Sophie Taeuber-Arp (1889-1943).

Coquilles et fleurs, 1938.


Das Holzrelief besteht aus vier Schichten, es ist weiss mit Ölfarbe bemalt. Es gibt davon vier Versionen, eine weist gelb bemalte Stirnseiten der Muster auf. Reliefs sind ein Mittelding zwischen Malerei und Skulptur. Die Künstlerin ist auf dem Sektor der Holzreliefs keine Pionierin – sie wurde vielmehr durch ihren Gatten Jean Arp dazu inspiriert.

 

Sophie Taeuber-Arp kommt 1889 in Davos zur Welt, als Tochter eines preussischen Apothekers und einer Appenzellerin. Sie wächst in Trogen auf, studiert in St. Gallen Kunst und Gestaltung, dann ab 1910 in München und Hamburg. Ab 1916 leitet sie an der Kunstgewerbeschule in Zürich die Textilklasse. 1915 lernt sie Hans (Jean) Arp kennen. Die zwei suchen nach neuen Kunstformen und neuen Materialien. Arp führt sie in den Kreis der Dadaisten ein, sie tritt als Ausdruckstänzerin im Cabaret Voltaire auf. 1922 heiraten die zwei im Tessin, 1926 ziehen sie nach Strassbourg, erhalten die französische Staatsbürgerschaft.

 

Ab 1929 ist Sophie Taeuber-Arp als freie Künstlerin tätig. Sie ist extrem vielseitig und experimentierfreudig, arbeitet als Malerin, Bildhauerin, Textilgestalterin, als Tänzerin der Avantgarde, als Dada- und Marionettenkünstlerin. Möglich, dass ihre Vielseitigkeit der Grund dafür ist, dass sie bis heute nicht die Reputation erhält, die ihr eigentlich zustünde – auch nicht in der Schweiz. Zeitlebens wird sie vor allem als «Gattin von Jean Arp» wahrgenommen. Sie stirbt 1943 in Zürich-Höngg in der Wohnung von Max Bill an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung durch einen defekten Ofen.

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15. Mai 2018, Referentin Susanne Huber

Pablo Picasso (1881-1973).

Guitare, verre et compotier avec fruits, 1924.


Picasso kommt es bei seinen Stillleben nicht auf die Dinge an, – diese sind austauschbar. Und haben auch keine symbolische Bedeutung wie früher bei den barocken Malern. Das Bild ist ein gutes Beispiel für den synthetischen Kubismus, der etwa 10 Jahre vor diesem Werk seinen Höhepunkt hatte. Synthetisch=zusammengesetzt, hier Zusammenfügung von farbigen Flächen. Beim Kubismus wird die Zentralperspektive aufgegeben, die Darstellung erfolgt aus verschiedenen Blickwinkeln, und das gleichzeitig. Die Realität wird auseinandergebrochen. Die schweren dunklen Schatten haben einen Hintergrund: Picasso malte seine Stillleben vorzugsweise nachts. Die Schatten schaffen eine Anbindung zu den Dingen, indem sie mit ihren Formen auf andere hinweisen. Zum Beispiel der Schatten der Gitarre, der mit einem «Pfeil» auf die Zeitung hinweist. Oder die Spitzen des Bildrahmen-Schattens, auf die Gitarre verweisend. Picasso hat immer Wert darauf gelegt, dass seine Werke in einem labilen Gleichgewicht für Spannung sorgen.

 

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8. Mai 2018, Referentin Andrea Sterczer

Jan van de Cappelle (1626-1679).

Boote in der Schelde-Mündung, 1651.


Van de Cappelle lebt in Amsterdam von Geburt bis zum Tod. Er gehört zu den privilegierten Malern, die aus wohlhabendem Haus stammen und es nicht nötig haben, Bilder zu verkaufen. Im Gegenteil, er kann sogar für seine eigene Kunstsammlung Werke von Rembrandt kaufen. Er selbst malt rund 150 Gemälde, meist Marinebilder oder Winterlandschaften.

 

Im vorgestellten Werk «Boote in der Schelde-Mündung» hält er sich an die in niederländischen Werken oft vorkommende Aufteilung 1/3 Meer, 2/3 Himmel. Das Meer ist bei allen seinen Werken ruhig. Das ermöglicht ihm, mit Spiegelungen im Wasser zu arbeiten, gut zu erkennen auf der Detailaufnahme. Durch das ruhige Meer und die dramatische Wolkenbildung schafft der Künstler eine bewusst herbeigeführte Spannung.

 

Die Schelde ist ein Strom, der in Frankreich entspringt und das Meer bei Antwerpen erreicht. Zur Zeit der Entstehung des Gemäldes (1651) gehörten das heutige Belgien und die Niederlande noch zusammen.

 

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Matthias Stom,
Befreiung Christi

 

 

 

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Sebastiano Ricci,
Nessus entführt
Deianeira.

 

 

 

 

 

24. April 2018, Referent Reto Bonifazi

Matthias Stom (ca. 1600-1652)

Befreiung Petri, 1632.

 

Sebastiano Ricci (1659 - 1734)
Nessus entführt Deianeira, um 1700.

 

Der Bildvergleich zeigt die unterschiedlichen Malweisen im Barock.

 

Matthias Stom war ein niederländischer Maler des Frühbarocks, der
den grössten Teil seines künstlerischen Lebens in Italien verbrachte.
Erkennbar ist der Einfluss von Caravaggio. Die Befreiung Petri zeigt eine biblische Szene, die in der Apostelgeschichte 12, 4-11, beschrieben ist. Ein Engel befreit den schwer bewachten Petrus aus der Gefangenschaft des Herodes. Spontan hat das Bild eine fast «zeichnerische» Wirkung auf den Betrachter. Licht und Schatten sind die zentralen Elemente für die Gestaltung. Das Licht, das vom Engel ausgeht, kulminiert sich auf dem Gesicht von Petrus. Im Gegensatz zu den frühen Bildern der Verkündigung weicht Petrus nicht zurück.

 

Sebastiano Ricci war ein wichtiger venezianischer Males des

Hochbarocks. Die Szene stammt aus der griechischen Mythologie. Herkules muss mit seiner Gattin Deianeira einen Fluss überqueren, der Hochwasser führt. Der Kentaur Nessus anerbietet sich, die Frau auf seinem Rücken über den Fluss zu tragen. Das Bild zeigt drei Zeitabschnitte: Der Pfeil von Amor trifft den Kentaur, der von Liebe entbrannt, die Gattin entführt. Der vom Schmerz getroffene Herkules spannt seinen Bogen, um den Kentaur zu töten. Die Darstellung von Deianeira und Nessus zeigt eine gewaltige, vielschichtige, erotische Kraft. Die Maltechnik ist gut erkennbar am Bein des Kentaurs. Die «vibrierende Lockerheit des Pinselwerks» (Zitat aus 'Die Meisterwerke', Kunsthaus Zürich) zeigt das Spiel der Haare im Wind. In ähnlicher Weise ist der Fuss von Deianeira gemalt. Diese Technik führt zu einer Leichtigkeit, ohne dass die Genauigkeit verloren geht. (Text Ueli Kummer).

 

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17. April 2018, Referentin Susanne Huber

Henri Matisse (1869-1954)

Margot, 1906.


Henri Matisse war ein bedeutender Künstler der Klassischen Moderne. Aus der Zusammenarbeit mehrerer Maler entstand um 1900 eine neue Stilrichtung, die als >Fauvismus in die Kunstgeschichte einging.

Modell für das Werk Margot war seine 1894 geborene Tochter Marguerite.
Die tiefe Beziehung zwischen Vater und Tochter führte dazu, dass sie zu einer Kennerin seines Werkes wurde und zu einer Informationsquelle für die Kunstwelt.

 

Das Bild eignet sich gut, um die Merkmale der Arbeit von Matisse zu studieren: Die Farbflächen dienen als wichtigste Gestaltungsmittel. Jede Farbe steht in Beziehung zu einer anderen. Verzicht auf Tiefenwirkung. Räumlichkeit entsteht durch Farbklänge. Zur Komposition gehören auch die Rhythmen der Formen. Wegen des starken Windes hält Margot den Schleier fest. Das Hutband bildet eine Diagonale, die eine Fortsetzung in der Hand und im Arm findet. Matisse wählte seine Farben intuitiv. Seine Gedanken dazu hielt er fest in «Notizen eines Malers». Zentrales Anliegen des Künstlers: Er will neben der Schönheit das Wesen des Menschen darstellen, bei Marguerite also ihre Sensibilität, ihre Begabung und ihre Lebenskraft.

 

Aus der Biographie von Marguerite: Luftröhrenschnitt im Jugendalter, tragende Rolle im Hause Matisse (die Gattin des Maler führte ein Modegeschäft), Entwicklung zur Expertin für das Werk ihres Vaters, Deportation und Flucht im zweiten Weltkrieg. (Text Ueli Kummer).

 

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landschaft

 

 

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10. April 2018, Referentin Andrea Sterczer

Moyses van Uyttenbroeck (1595-1647).

Landschaft mit Io und Inachos, 1626.


Der in Den Haag geborene Künstler vermischt in diesem Gemälde eine Szenerie der Lebensfreude mit griechischer Mythologie. Das Bild gehört in die Kategorie der «visionären Sachlichkeit» >mehr. Im Zentrum steht Io, die Tochter des Flussgottes Inachos. Das ist aber nicht die nackte Dame, sondern die hübsche weisse Kuh mit Locken. Zeus hat Io nämlich in eine Kuh verwandelt, weil er sie vor seiner Gattin Hera verstecken muss. Hier die ganze Geschichte der >Io (griechische Mythologie).

 

Interessant an diesem Werk ist vor allem die Fantasie des Künstlers. Er bildet weder eine griechische noch eine niederländische Landschaft ab, sondern baut sie aus mehreren Elementen zusammen. Im Zentrum die Mythologie (Io und Inachos), im Hintergrund eine holländische Landschaft und links eine lebensfrohe Badeszene an einem alpinen (?) Wasserfall. Wie van Uyttenbroeck um 1626 herum auf diese Idee kam, ist ein Rätsel. Weder gibt es in den Niederlanden Wasserfälle, noch badeten die Menschen von damals so ausgelassen – und schon gar nicht nackt. Eine solche Szenerie könnte allenfalls in die heutige moderne Welt mit ihrem Freizeitaktivismus passen, aber vor 400 Jahren? Der Künstler muss zweifellos über eine sehr lebendige Fantasie mit geradezu visionärem Charakter verfügt haben.

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Annette, 1951.

 

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Buste d'homme,
Chiavenna I, 1964.

3. April 2018, Referent Daniel Näf

Alberto Giacometti (1901-1966).

Annette, 1951. / Buste d'homme, Chiavenna I, 1964.


Alberto ist der Sohn des Post-Impressionisten Giovanni Giacometti (1868-1933) und der Annetta, geborene Stampa (1871-1964). Das Bild «Annette» von 1951 zeigt aber nicht seine Mutter, sondern seine Ehefrau Annette Arm, die er 1943 in Genf kennenlernte. Sie war zunächst sein Modell. 1949 heirateten die beiden. Die Grundlage zu diesem Gemälde war Giacomettis Ziel, das «perfekte Bild» zu schaffen. Perfekt in dem Sinne, dass die Abbildung das verkörpern sollte, was das Auge sieht, genauer: sein Auge.

 

Im Zentrum steht dabei die Eigenschaft des menschlichen Auges, die Scharfstellung nur auf einen Punkt richten zu können – die «Umgebung» sieht man immer unscharf. Der Künstler legt die Schärfe auf den Kopf seines Modells. Das selbe Prinzip kommt auch bei seiner «Buste d'homme» zum Tragen: Nur der Kopf ist «scharf», das heisst fein ausgearbeitet, währenddem der Körper eine verschwommene Masse bleibt. Zurück zum Gemälde: Warum Giacomettis Auge den Kopf grau und nicht farbig sieht, lässt sich nicht schlüssig beantworten. Man müsste den Künstler fragen können.

 

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Herbert Esche

 

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Hanni Esche

 

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Erdmute und Hans-Herbert

27. März 2018, Referentin Gabriela Lutz

Edvard Munch (1863-1944).

Bildnisse der Familie Esche. Herbert, Hanni, Kinder, 1905.


Edvard Munch ist für seine Landschaften und emotionsgeladenen Werke («Der Schrei») weltberühmt. Er hat aber auch auf dem Gebiete der Bildnisse eine bedeutende Rolle gespielt. Anfänglich malte er vor allem Porträts in seinem engeren Umfeld, konnte damit jedoch kaum Geld verdienen. Durch die Vermittlung seiner Händler und Agenten erhielt er später lukrative Aufträge, besonders in Deutschland.

 

Der Kontakt zur Chemnitzer Unternehmerfamilie Esche, die Strumpfwaren herstellte, kam über den belgischen Architekten Henry van de Velde zustande. Dieser baute für Herbert Esche eine Villa und war auch für die gesamte Inneneinrichtung zuständig, vom Mobiliar bis zum Besteck. 1905 lud Herbert Esche Edvard Munch nach Chemnitz ein, um von ihm seine Familie porträtieren zu lassen. Es entstanden acht Bildnisse, von denen heute fünf im Kunsthaus Zürich zu sehen sind: Zwei Porträts von Herbert Esche, eines von Gattin Hanni, ein Einzelporträt von Tochter Erdmute sowie ein Doppelporträt der Kinder Erdmute und Hans-Herbert. In letzterem zeigt Munch eindrücklich, wie die Kinder bereits in frühen Jahren auf ihre künftigen Rollen eingestimmt waren: Der ernst blickende und seine Schwester beschützende Hans-Herbert als kommender Chef des Unternehmens Esche; das Töchterchen, fein herausgeputzt, in ihrer künftigen Rolle als Repräsentantin der Familie.

 

Herbert Esche verliess Chemnitz 1945 und zog zu seiner Tochter nach Küsnacht, wo er 1962 verstarb.

 

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La révolte des colombes, 1917. Kunstmuseum Basel.

20. März 2018, Referentin Maya Karacsony

Max Ernst (1891-1976).

Vier bemalte Steine, 1935.


Insgesamt 14 Steine gehören zu diesem Werk. Sie stammen vom Haus Giacometti im Bergell. Geformt wurden sie in Jahrtausenden durch Eis und Wasser, und Max Ernst bemalt sie 1935 in kindlicher Freude – als eine Art Poesie an die Natur. Hätte man den Surrealisten gefragt, was er damit ausdrücken wollte, es wäre eine vergebene Liebesmühe. Sie sind einfach entstanden.

 

Maximilian Maria Ernst kommt 1891 im Rheinland (Brühl) zur Welt. Er wird Bildhauer, Maler und Grafiker. Einen grossen Namen macht er sich als Surrealist, vor allem in Paris, wo er sich 1922 der Gruppe um André Breton anschliesst. Den Ersten Weltkrieg (1914-1918) überlebt er als Soldat. 1919 gründet er, «angeekelt von diesem blödsinnigen Krieg», mit Hans Arp die Kölner Dadagruppe «minimax dadamax». Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wird er 1939 mehrfach in Frankreich interniert. Er kann mit Peggy Guggenheim (die seine dritte Ehefrau wird) 1941 in die USA fliehen. In seinen Gemälden und Skulpturen schafft er – ganz Surrealist – bizarre Bildkompositionen von Landschaften und Vögeln.

 

An der 27. Biennale von Venedig wird er 1954 mit dem grossen Preis für Malerei geehrt. Damit geht seine Mitgliedschaft in der Surrealistengruppe zu Ende. Max Ernst gilt als Begründer von diversen neuen automatischen Maltechniken wie das Drip Painting, mit dem sich Jackson Pollock später einen berühmten Namen als abstrakter Expressionist macht. Seine letzten Jahre verbringt Ernst in Paris und in Südfrankreich. Mit 84 reist er 1975 ein letztes Mal nach New York: zur Eröffnung der Max-Ernst-Retrospektive im Solomon R. Guggenheim Museum.

 

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